Hamburg. Packend und liebevoll inszenierte Schumann-Balladen im Großen Saal der Elbphilharmonie: Wie toll ist diese hinreißende Musik?

Die Bilanz am Ende dieses rührenden, sensationellen Konzert-Abends ist eindeutig: zwei tote Sänger und jede Menge über Robert Schumann gelernt. Es muss leider wohl erst „Musikfest!“ im Elbphilharmonie-Kalender stehen, damit sich jemand traut, einige von Schumanns Balladen für Solisten, Chor und Orchester auf die Bühne des Großen Saals zu stellen.

Wie toll, bitte schön, ist diese hinreißend eigenwillige, dramatisch-romantisch bis zur Oberkante aufgeladene Musik denn? Und warum holt sie niemand so leidenschaftlich aus der Nische, wie es die französische Dirigentin Laurence Equilbey mit ihrem Pariser Insula Orchestra, dem Accentus-Chor und einer Handvoll toller Solistinnen und Solisten packend vorführte?

Musikfest Hamburg: Laurence Equilbey in der Elbphilharmonie

Geboten wurden zwei „Game of Thrones“-Vorfahren in einem pausenlosen Durchgang, stilistisch irgendwo zwischen nicht mehr biedermeierlicher Liedertafel und nicht ganz spieloperiger Kurz-Oper. Damals Publikumsrenner, heute vergessen. Die eine über eine schöne Prinzessin, die sich arg standeswidrig in einen Pagen verliebt, dem der erboste Vater deswegen am Ende die Kehle mit dem Schwert durchschneidet.

Auch jener wackere Vortragskünstler, der eine (kurz nach dem deutschen Schicksalsjahr 1848 komponierte) Chor-Ballade weiter in „Des Sängers Fluch“ hoffnungsfroh davon singt, dass nun „frisch der Freiheit Blüten wachsen“, endet wegen seines Aufbegehrens gegen die Obrigkeit als „verröchelter Jüngling“ auf dem Bühnenboden. Den Herrscher ereilt dafür ein finsterer Fluch, von Sébastien Brohier mit voller, rabenschwarzer Wucht in die gebannte Stille geschmettert, der es an schauerlicher Inbrunst mit dem frühem „Holländer“-Wagner aufnehmen kann.

Musikfest Hamburg: Konzertsaal der Elbphilharmonie wird Drama-Bühne

Als Soundtrack-Scharnier zwischen den Episoden hatte Equilbey sich raffiniert bei zwei Schauspielmusik-Portionen von Beethoven bedient, getragene Trauermärsche, die er als Gebrauchsmusik für „Leonore Prohaska“ und „König Stephan“ lieferte. Nicht der allerstärkste Beethoven, aber in diesem Kontext stimmig und wirkungsstark. Überhaupt, das Orchester: historisch straff durchinformiert und zugleich liebe- und respektvoll im Umgang mit diesen Stücken.

Equilbey unternahm hier keine verdruckste Ehrenrettung für verjährte Sonderbarkeiten, sondern betonte die szenische Kraft, fantasievoll verstärkt durch leicht theatrale Personenführung, die den Konzertsaal zur Drama-Bühne machte. Und weil es nach den Kapitalverbrechen noch ein Happy End geben sollte, rundete Equilbey mit Schumanns idyllisch verträumtem „Nachtlied“ diese Lektion ab, bei dem sich der Chor mit Glühwürmchen-Lampen im abgedunkelten Saal zum „schützenden Kreis“ um das Orchester aufstellte.

CD: Louise Farrenc „Sinfonien 1–3“ Laurence Equilbey, Insula Orchestra (Erato, ca. 17 Euro)