Hamburg. Im Museum für Kunst und Gewerbe spüren Künstlerinnen dem feministischen Projekt in Hessen nach, das kuriose Verbindungen zu Hamburg hatte.

Man konnte Tulga Beyerle den Enthusiasmus förmlich ansehen, als sie die Gäste zur Pressekonferenz begrüßte. „Frauen in der Gestaltung sichtbarer zu machen ist mir ein besonderes Anliegen. Mit ,Learning from Loheland’ stellen wir Fragen, die Künstlerinnen vor über 100 Jahren schon beschäftigt haben und holen das Thema ins Heute. Ich bin stolz, dass eine neue Energie im Haus ist und das Museum Träger dieser Entwicklung ist“, so die Direktorin des Museum für Kunst und Gewerbe.

Sie hat sechs jungen Künstlerinnen einen Galerieraum im Erdgeschoss des Hauses überlassen, um eine kleine, aber sehr besondere Ausstellung zu kuratieren. Darin geht es um das 1919 von Hedwig von Rohden und Louise Langgaard gegründete Siedlungs- und Schulprojekt „Loheland“ von Frauen für Frauen nahe Fulda. Mit großem Gestaltungswillen und viel Improvisationstalent wurden auf einem Acker Häuser und Werkstätten errichtet, es wurde Tanz und Gymnastik unterrichtet – mit dem Ziel, naturnah zu leben und moderne, unabhängige Frauen auszubilden – Markenzeichen waren die kurz geschnittenen Haare.

Loheland: Was wir von den mutigen Frauen lernen können

Auch heute existiert die Siedlung in der hessischen Rhön noch, allerdings sind auf dem Gelände ein Kindergarten und eine Schule der Waldorfpädagogik untergebracht. Dem Geist von „Loheland“ nachspüren konnten die Künstlerinnen dennoch: Zusammen mit den langjährigen „Loheland“-Dozentinnen Sabine Podehl und Simone Koring nahmen sie an einem Volkstanzkursus teil, durchforsteten das Archiv der „Loheland Stiftung“ nach historischen Fotografien und Objekten, die damals entstanden waren.

Doch wie kommt man überhaupt auf „Loheland“, die ebenso engagierte, aber weitaus nicht so populäre Einrichtung wie das Bauhaus, das zur selben Zeit gegründet worden war? Die Hamburger Malerin Judith Kisner ist die Tochter einer ehemaligen „Loheländerin“. Allerdings habe ihre Mutter, die vor Kurzem verstorbene Gymnastiklehrerin Viola Hoffmann, selten von ihrer Ausbildung erzählt, sagt die Initiatorin der Ausstellung.

„Loheland“ tauchte plötzlich im Vorlesungsverzeichnis auf

Und doch sprang Judith Kisner der Begriff sofort ins Auge, als sie im Oktober 2018 das Vorlesungsverzeichnis der Hochschule für bildende Künste Hamburg studierte: „Loheland“, ein Seminar mit Exkursionen, das von Astrid Mania, Professorin für Kunstgeschichte, angeboten wurde. Ihre familiäre Verbindung mit dem Ort und dieser kuriose Zufall waren der Ausgangspunkt für eine vier Jahre dauernde, intensive Beschäftigung, auch mit ihrer persönlichen Geschichte.

Ihre Arbeit „Milimani (Eva-Haus)“ bezieht sich auf ein Haus der Siedlung mit einem extremen Spitzdach, von dessen Obergeschoss man damals wohl bis zur Rhön blicken konnte. Anhand von Bild- und Studienmaterial aus dem Nachlass ihrer Mutter tauchte die Künstlerin in die Geschichte des Ortes ein und setzte diese Sammlung mit Archivmaterial aus ihrem eigenen Atelier zu einer textilen Wandinstallation zusammen, deren Module dem jeweiligen Raum angepasst werden können.

Frauen sollten sich von Heirat und Kinderkriegen verabschieden

Um möglichst viele Blickwinkel auf das Thema zu bekommen, lud Judith Kisner fünf Kolleginnen ein, sich dazu Gedanken zu machen. Alex Hojenski, ebenso wie die Initiatorin HfbK-Absolventin, hat sich in ihrer Arbeit „Freie Geister“ mit der Überschneidung von ideologischer Lehre und individueller Emanzipation beschäftigt – früher wie heute eine Herausforderung in Lehrsituationen.

Ausstellungsansicht aus „Learning from Loheland“ im Museum für Kunst und Gewerbe.
Ausstellungsansicht aus „Learning from Loheland“ im Museum für Kunst und Gewerbe. © Henning Rogge | Henning Rogge

„Die jungen Frauen, viele von ihnen aus bürgerlichen Verhältnissen stammend, mussten sich erst einmal von konventionellen Rollenerwartungen wie Heirat und Kinderkriegen verabschieden. Stattdessen kamen sie in Kontakt mit Gruppen und starken Persönlichkeiten.“ Ihre begehbaren Objekte in der Ausstellung, die an einen Schutzschirm, eine Behausung und überdimensionale Kostüme erinnern, spielen mit der Gleichzeitigkeit von Gemeinschaft und Individualität.

Hamburger Kaufleute stiegen in die „Loheländer Werkstätten GmbH“ ein

Die „Loheländerinnen“ seien äußerst kreative (Kunst)Handwerkerinnen gewesen, die sowohl für den Eigenbedarf als auch für den Verkauf produziert hätten. „Durch die Abgeschiedenheit der Siedlung waren sie darauf angewiesen, Dinge für den täglichen Bedarf selbst herzustellen, aber natürlich auch Geld zu verdienen“, sagt Alex Hojenski. Um ihre Waren zu vertreiben, wurde die „Loheland Werkstätten GmbH“ gegründet.

Allerdings lief das Geschäft zunächst schleppend an und stand kurz nach der Gründung wieder vor dem Konkurs. Es waren Hamburger Kaufleute und Rechtsanwälte, die mit Kapital unterstützten und als Gesellschafter in die Firma eintraten. Fortan waren die Produkte auf allen wichtigen Messen vertreten, gelangten Deckelkörbe aus Stroh und gewebte Stoffe sogar in den Verkauf des Alsterhauses.

„Loheland“: Auch mit einer Doggenzucht weltweit erfolgreich

Eine weitere kluge Geschäftsidee, wie sich herausstellen sollte, war die Doggenzucht. Gleich durch den ersten Welpen, Fionne von Loheland, der 1931 von Hamburg aus mit dem Schiff in die USA zum Wettbewerb reiste, wurde der Zwinger von „Loheland“ weltweit erfolgreich und ermöglichte den Bau weiterer Häuser.

Tanz, Gymnastik und Anatomiestudien sollten ein Bewusstsein für den eigenen Körper schaffen. Es sei üblich gewesen, dass die Frauen nackt in geschützten Räumen tanzten und ihre Wirbelsäulen mit Kohlestiften zeichneten, so Alex Hojenski. Berühmt waren die „Loheländerinnen“ aber auch für ihre öffentlichen Tanzaufführungen, unter anderem im damaligen Hamburger Conventgarten, der an der Stelle des heutigen Axel-Springer-Verlagsgebäudes an der Kaiser-Wilhelm-Straße war.

Wie identifizieren sich Frauen als Künstlerinnen und Mütter?

Bewegung ist das, was dem Körper Seele einhaucht; davon war „Loheland“-Gründerin Louise Langgaard überzeugt. In „Von der Bewegung zur Form“ sammelte die Gymnastiklehrerin Margarethe Voegele später Zeichnungen, die die Dynamik und Bewegung verdeutlichten. Darauf bezieht sich die Künstlerin Julia Romas in ihrer Filmarbeit, der nachgestellten Performance „Das Haus mit dreiunddreißig Säulen“.

Den damals wie heute wichtigen Aspekt, wie sich Künstlerinnen als Frauen und Mütter identifizieren, stellt Jasmin Preiß in ihrer Videoarbeit „Loveable Intoxication“ (Liebenswerte Berauschung) in den Fokus. Die Grafik-Designerin Lea Sievertsen lenkt mit einer Collage aus historischen „Loheland“-Fotografien die Aufmerksamkeit auf die Verbindung von weiblichem Kollektiv und der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und Körperbild.

Kuratorin fand in ihrer Mutter das langgesuchte künstlerische Vorbild

Marie Gimpel hat die Ausstellungsarchitektur durch ihre aus blauem Schaumstoff gebauten Wege maßgeblich geprägt; sie sollen die geschlungenen Wege in „Loheland“ imitieren, auf denen die Frauen damals zur Arbeit oder zu ihren Kursen gingen – mal in der Gruppe, mal allein, um aus der Ruhe schöpferische Kraft zu ziehen. Die Besucherinnen und Besucher werden eingeladen, sich auf Socken auf diese Pfade zu begeben.

Auf diese Weise ist ein Gesamtkunstwerk mit vielen spannenden Facetten und Perspektiven entstanden, das sich ganz dem „Loheland“-Prinzip der individuellen Entfaltung in der Gemeinschaft , hier in Form des Künstlerinnen-Kollektivs, verschrieben hat. Judith Kisner hat dieses Kollektiv zusammengeführt und nach langer Suche nach einem Vorbild in der künstlerischen Ausbildung ihre eigene Mutter als solches entdeckt.

„Leraning from Loheland“ 16.6.–13.8., Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 14,-/8,- (erm.); Rahmenprogramm unter www.mkg-hamburg.de, u.a. Bewegungsworkshop mit Sabine Podehl und Simone Koring, 8.7., 10.30, 13.30, 15.30, Spiegelsaal des Museums, 35,-, Anmeldung unter leraningfromloheland@gmx.de