Hamburg. Kuscheln ist für die meisten Menschen eher was fürs Sofa oder Bett. In Hamburg kann man sich nun aber auch im Museum ganz nah kommen.
„Nimm mich in den Arm“, „Lasst uns kuscheln“ – das sind Aufforderungen, die man im Museum selten zu hören bekommt. Meist ist schon das Berühren der Exponate untersagt, und dass man sich aber an die Kunst schmiegt, ist nahezu undenkbar.
Valentina Karga weiß, dass hier über die Jahre gewisse Hemmungen eingeübt wurden, weswegen die Künstlerin die Besucher ihrer Installation „Well Beings“ im Museum für Kunst und Gewerbe nachdrücklich zum Kontakt motiviert. „Die Leute sind es nicht gewohnt, die Schuhe auszuziehen und die Objekte zu benutzen“, meint die 1986 in Griechenland geborene und heute an der HfBK als Designprofessorin lehrende Karga. „Aber Design sollte benutzt werden.“ Also: „Lasst uns kuscheln!“
Für „Well Beings“ hat die Künstlerin Kuschelobjekte aus nachhaltigen Materialien geschaffen: Wesen aus weichem Stoff, die man sich auf die Haut legen möchte, ein Sofa, das sich beklettern lässt, mit erhitzbaren Apfelkernen gefüllte Kissen, die eine wohlige Wärme verströmen. Kunst, die einen berührt, und Kunst, die einem eine Ausflucht aus dem Alltag ermöglicht. Und diesen Alltag sollte man nicht unterschätzen: Kargas Motivation ist das, was man als „Klimaangst“ bezeichnet, eine wachsende Panik angesichts der apokalyptischen Gegenwart, die sich in einem Bildschirm manifestiert, über den ununterbrochen Katastrophenmeldungen flimmern. „Doomscrolling“ nennt man dieses Gefangensein in schlimmen Nachrichten, und raus kommt man da nur mit bewusster Selbstliebe. Mit Kuscheln.
Ausstellung im Museum lädt zum Knuddeln ein
Wobei die Ausstellung nicht dem Eskapismus das Wort reden will. „Well Being“ lässt sich nur unzureichend mit „Wohlbefinden“ übersetzen, erklärt Museumsleiterin Tulga Beyerle, vielmehr hat man es hier mit einem politischen Begriff zu tun, der eine gesellschaftliche Vereinbarung beschreibt, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen. Zärtlich sollte dieser Umgang sein, zumindest empfiehlt das diese raffiniert immersive Ausstellung
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Die freilich nicht ausschließlich auf sich selbst bezogen bleibt. Kargas Kuschelwesen nämlich leihen sich ihr Aussehen von Objekten aus der Sammlung des MK&G, es sind Hybride aus Mensch und Tier, die einen Raum weiter als historische Idole wiederauftauchen: eine Terrakottafigur, entstanden im sechsten Jahrhundert vor Christus in Griechenland, oder ein weibliches Fabelwesen, entstanden im zweiten Jahrtausend vor Christus in Syrien. Karga nimmt so Bezug auf mythologische Strukturen, die jenseits von der konkreten Gegenwart relevant bleiben. Und die im Jahr 2023 wieder erspürbar sind, in der Berührung, in der Umarmung.
Valentina Karga: „Well Beings“ bis 3. September, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di-So 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr, www.mkg-hamburg.de