Hamburg. Bejubelte Bestseller-Premiere: In „Achtsam morden“ stemmt ein spielfreudiges Mini-Ensemble ein Maximum an Figuren.

Es ist ein Pointen-Erfolgskonzept: das Aufeinandertreffen von Gegensätzen, der Clash von Milieus, das Zusammenprallen von Killer und Komik. Im Kino kombinierten etwa die Blockbuster „Reine Nervensache“ mit Robert De Niro und Billy Crystal (ein Mafiaboss und ein Psychiater) und „Keine halben Sachen“ mit Bruce Willis und Matthew Perry (ein Auftragsmörder und ein Zahnarzt) die organisierte Kriminalität mit harmloser Spießigkeit und einer daraus resultierenden großen Portion Chaos.

In der Netflix-Serie „Ozark“ stolperte ein unbescholtener Finanzberater in die Welt der Drogenkartelle und wurde – teils aus Arglosigkeit, teils aus Selbstschutz – schließlich selbst zum Gangster.

Altonaer Theater: In „Achtsam morden“ trifft Killer auf Komik

Weniger düster, weniger offen brutal als „Ozark“, aber doch auf demselben Prinzip baut auch der deutsche Bestsellerautor Karsten Dusse seine schwarzhumorige Krimikomödie „Achtsam morden“ auf, die inzwischen ebenfalls eine eigene Reihe ist. Band vier erscheint im kommenden Jahr, im Altonaer Theater hat nun Hausherr Axel Schneider den Auftaktroman auf die Bühne gebracht.

Bei Dusse (und Schneider) ist es ein Anwalt mit Ehekrise, der durch ein Achtsamkeitsseminar erst den Stress mit seiner Ehefrau und ziemlich schnell auch seinen Klienten beseitigt. Und dessen Geschäfte übernimmt.

„Achtsam morden“: Der Jurist profitiert von den Ratschlägen des Lebensberaters

Prostitution, Glücksspiel, Waffen – der finstere Dragan ist thematisch vielseitig aufgestellt, und der smarte, aber brave Björn mit seinem fünfstelligen Monatsgehalt ist nicht nur ein vernünftiger Rechtsverdreher, sondern auch das Statussymbol seines Mandanten. Björns Familienleben ist das nicht zuträglich: „Der Gedanke, ständig etwas tun zu müssen, ist ein Hauptgrund für Stress“, erklärt ihm sein Coach, den der Jurist zunächst als lästigen Pflichttermin einschiebt, von dessen Ratschlägen er allerdings rasch konkreter profitiert, als der besonders atmungsaktive Lebensberater ahnt.

Galt bisher die Leitlinie „Bist du Anwalt – regel die Scheiße“, regelt der smarte Björn ab sofort nur noch auf eigene Rechnung. Lustig wird das insbesondere dann, wenn die Zuschauer mehr wissen als manch eine Figur auf der Bühne: Die vermeintlich alltägliche Feststellung „Der Papa hat noch Arbeit im Kofferraum“ sorgt für Lachsalven, da kein Aktenordner im abgeschlossenen und sich langsam aufheizenden Auto schmort, sondern eine Leiche.

Altonaer Theater: Der Clou in Axel Schneiders Inszenierung ist die sparsame Besetzung

Der Clou in Axel Schneiders Inszenierung ist jedoch nicht die erwartbar ordentliche Umsetzung der fraglos amüsanten Buchvorlage. Der Clou ist die sparsame Besetzung. Denn Dirk Hoener ist als Anwalt Björn Diemel der Einzige, der seiner Figur das gesamte Stück über treu bleibt. Er ist Ruhepol, Sympathieträger und Identifikationscharakter zugleich, wobei Hoener zwar souverän den zentralen Part übernimmt, aber keineswegs den dankbarsten.

Den Rest des umfangreichen Personals teilen sich Georg Münzel und Chantal Hallfeldt – und wie sie das tun, ist furios (was Hoeners Leistung, sich davon eben nicht an die Wand spielen zu lassen, umso erwähnenswerter macht).

Altonaer Theater: Der Verwandlungsfundus ist offen sichtbar

Ein Streifen vor dem eisernen Vorhang ist für das Trio die schmale Spielfläche, links und rechts durch dicht behängte Garderobenstangen begrenzt. Das ist ebenso so schlicht wie charmant: Die Hängeklamotten sind einerseits Auf- und Abgang, andererseits offen sichtbarer Verwandlungsfundus, wenn Georg Münzel vom Achtsamkeitscoach zum Mafiaboss zum schärfsten Konkurrenten des Clan-Vorstands zum Austro-Kleinkriminellen switcht. Unter anderem.

Oder wenn Chantal Hallfeldt gerade noch die (etwas arg zickige) Anwaltsgattin sein muss, schon im nächsten Moment Mafia-Fahrer (und ausgebildeter Erzieher) Sascha oder Vertriebsleiterin für Prostitution. Unter anderem.

Vor allem Münzel, der am Altonaer Theater zuletzt regelmäßig Regie geführt hat, rotiert hier mit spürbar großer Spielfreude zwischen Wiener Schmäh, Sächsisch und weiteren Dialekten und Akzenten. Das, was das Ensemble hier in schönster Präzision, Lust an der Übertreibung und in rasantem Tempo abliefert, ist Theaterleistungssport. Dass es dafür vor allem auf die Sahne hauen muss, versteht sich von selbst; dass Klischees bisweilen bis zum Quietschen bedient werden, ist der dafür zu zahlende Preis und zum Teil auch in der literarischen Vorlage angelegt.

Die Tatsache, dass hier zwei Schauspieler und eine Schauspielerin alle Rollen spielen, macht „Achtsam morden“ übrigens nicht automatisch zum Dreipersonenstück: Ohne Jana Schweers, die für die Kostüme verantwortlich zeichnet, wäre die logistische Meisterleistung kaum denkbar.

Altonaer Theater: Premierenpublikum ist restlos begeistert

In aller Ruhe, voll verinnerlichter Achtsamkeit, sucht sie den Akteuren am Bühnenrand ihre jeweiligen Jacken und Kappen heraus, reicht die entscheidenden Requisiten an, krempelt, wenn es für die Rolle nötig ist, die Socken über die Hosen, oder kommentiert bei Bedarf auch mal kurz aus dem (sichtbaren) Off.

„Schaffen Sie sich eine Zeitinsel“, lautet einer der Achtsamkeitsratschläge im Stück. Ergänzen kann man um die Empfehlung, diese Zeitinsel für einen Theaterbesuch zu nutzen. Zum Beispiel im Altonaer Theater. Das Premierenpublikum jedenfalls zeigte sich nach zwei Stunden (inklusive Pause) restlos begeistert.

„Achtsam morden“ am Altonaer Theater, Karten unter T. 39905870 und www.altonaer-theater.de