Hamburg. Janne Mommsens Roman „Die Bücherinsel“ ist am Altonaer Theater eine charmesprühende Bühnenpremiere mit ernsten Untertönen.
Das nennt man wohl eine passgenaue Spielplanprogrammierung: Erst vor wenigen Tagen wurden in der Bildungsstudie IGLU gravierende Mängel im deutschen Schulsystem festgestellt, insbesondere die Lesefähigkeiten seien erschreckend, ein Viertel der Viertklässler könne nicht richtig lesen und schreiben.
Kurz darauf bringt das Altonaer Theater einen Stoff auf die Bühne, der Analphabetismus als warmherzige Sommerkomödie thematisiert: Janne Mommsens Roman „Die Bücherinsel“, fürs Theater adaptiert und inszeniert von Hausherr Axel Schneider.
Theater Hamburg: In Altona erzählt Axel Schneider Loblied auf die Literatur
Handlungsort ist Gretas Dorfbuchhandlung auf einer Insel im Wattenmeer. Regelmäßig treffen sich hier Literaturbegeisterte zum Lesekreis, und weil Putzhilfe Sandra während des Regalabstaubens immer wieder kenntnisreiche Kommentare zum Gespräch beiträgt, wird sie gefragt, ob sie nicht beim Lesekreis mitmachen möchte. Problem: Sandra kann kaum lesen. Sie ist das Kind von Schaustellern und ging immer nur phasenweise zur Schule. Ihr literarisches Wissen hat sie sich mittels Hörbüchern angeeignet.
In Altona erzählt Schneider das nicht als Problemstück über die Schwierigkeiten einer Außenseiterin, sondern als Loblied auf die Literatur, die hier als utopischer Raum erscheint, ebenso wie die kleine Inselgemeinschaft, die es schafft, Probleme schnell wegzuintegrieren. Wobei, und das ist der Pluspunkt dieser Inszenierung, diese Probleme durchaus ernst genommen werden.
Altonaer Theater: Ensemble traf sich mehrfach mit Selbsthilfegruppe
Regisseur Schneider und das Ensemble trafen sich im Vorfeld der Premiere mehrfach mit dem „Alpha-Team“, einer Selbsthilfegruppe für Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können – die Darstellung von Schreibproblemen in „Die Bücherinsel“ ist authentisch und somit mehr als nur das Transportmittel für eine Geschichte, die ihren sentimentalen Gehalt gar nicht verhehlt. Denn das ist dieser Abend eben auch: leichte Kost, die verhältnismäßig vorhersehbar abschnurrt.
Natürlich versucht Sandra, ihre Leseschwäche zu verstecken, natürlich fällt ihr Schwindel irgendwann auf, natürlich erkennt der zufällig anwesende Verleger irgendwann ihr literarisches Talent, natürlich wird als Höhepunkt des Abends auch noch die Liebe gefunden. Und die Sonne versinkt zwischendurch immer wieder malerisch im Watt. Dass diese Vorhersehbarkeit nicht langweilt, das liegt eben einerseits daran, dass Schneider seine Figuren und ihre Probleme ernst nimmt. Es liegt ebenso am gut aufgelegten Ensemble.
Wer Bücher liebt, kann kein ganz schlechter Mensch sein
Der Lesekreis als Inselkosmos im Kleinen bietet die Möglichkeit, schauspielerisch aufzudrehen. Weil man sich vorstellen kann, dass es in einer Dorfbuchhandlung tatsächlich so zugeht: dass sich hier eine sehr diverse Gesellschaft trifft und über Liebesromane, Horror und große Literatur diskutiert, dass da der Lehrer Björn (Tobias Dürr) neben der Polizistin Ellen (Chantal Hallfeldt) sitzt und der wortkarge Krabbenfischer Jan (Ole Schloßhauer) neben der Betriebsnudel Andrea (Ute Geske). Man kann sich auch vorstellen, dass so eine Gemeinschaft es sogar schafft, die zugezogene Franziska (Valerija Laubach) in kürzester Zeit einzugemeinden.
Mittendrin: Sandra, die Nadja Wünsche als plietschen Charmebolzen gibt, der zwar nicht dazugehört, aber trotzdem sofort von Interesse, Sympathie und Herzlichkeit umgarnt wird. Weil man es sich auf der Insel gar nicht leisten kann, jemanden auszuschließen, man ist ja aufeinander angewiesen. Wer Bücher liebt, kann ohnehin kein ganz schlechter Mensch sein.
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Die Bühnenumsetzung ist minimalistisch. Die Spielorte Strand beziehungsweise Buchhandlung werden per Strandkorb und Bücherregal angedeutet, und nur als die Handlung sich am Ende auf den Rummelplatz verlegt, darf Ausstatterin Birgit Voß ihr Können etwas umfangreicher ausspielen. Was nicht hätte sein müssen: ein harmloses Witzchen über gendergerechte Sprache und dass sich zwischen Franziska und Sandra kurz eine Romanze andeutet, nur um dann im Happy End doch wieder in die heterosexuelle Ordnung einzubiegen – da fragt man sich, ob die Insel sexualpolitisch nicht weiter sein müsste. Andererseits will sich Sandra vielleicht nicht zwischen den Geschlechtern entscheiden, dann ist das auch ihr gutes Recht. Also: gar nicht schlimm.
Theater Hamburg: „Die Bücherinsel“ in Altona – gar nicht schlimm
Womöglich lässt sich „Die Bücherinsel“ so auf den Punkt bringen: gar nicht schlimm. Eine Leseschwäche ist ein Problem, aber nichts, das sich nicht in den Griff kriegen ließe. Liebeskummer hat man halt mal. Und dass das familiäre Schaustellerunternehmen vor die Hunde geht, wenn die Tochter lieber auf der Insel sitzt, statt den Autoscooter zu übernehmen? Auch dafür wird sich eine Lösung finden. Wichtig ist erst mal nur, dass die Sonne atemberaubend schön untergeht.
„Die Natur hat mit Kitsch überhaupt kein Problem!“, fasst Jan das Zusammenspiel von Weltbetrachtung, Ästhetik und Literatur einmal zusammen, und das könnte auch ein Fazit sein, mit dem sich dieses charmesprühende, sommerliche, liebenswerte Schauspielertheater fassen ließe.
„Die Bücherinsel“, wieder am 25., 26., 27. Mai, 1., 2., 3., 6., 11., 13., 14., 15., 16., 21., 22., 23., 25. Juni, Altonaer Theater, Museumstraße 17, Tickets unter 39 90 58 70, www.atonaer-theater.de