Hamburg. Wiener Philharmoniker spielen in der Elbphilharmonie ein spektakuläres Programm. Dirigent Jakub Hrůša verteilt reichlich Extralob.
Es hatte schon seinen Grund, weshalb Jakub Hrůša im Schlussapplaus nicht nur alle Bläser und Schlagwerker aufstehen ließ, sondern auch jede einzelne Teilgruppe der Streicher. Weil die Wiener Philharmoniker bis ans letzte Pult hervorragend besetzt sind – und das unter seiner Leitung auch in Galaform demonstrierten. Was die Klangkultur angeht, ist das Orchester einfach das Nonplusultra-Plus.
Elbphilharmonie: Was für ein Orchester, was für ein Klang!
Nehmen wir etwa die rund 30 Geigen. Obwohl die Musikerinnen und Musiker teilweise ziemlich weit voneinander entfernt sitzen, finden sie einen perfekt gemischten Ton. Selbst in der empfindlichen Akustik der Elbphilharmonie klingt das rund und geschlossen. Ob beim süßen Gesang in der Einleitung zu Prokofjews „Romeo und Julia“, ob in leichtfüßigen Staccati, mit denen der Komponist das Trippeln der jungen Julia nachzeichnet, oder bei den gehetzten Figuren in „Tybalts Tod“. Alles kommt genau auf den Punkt.
Hrůša modelliert die Stimmungen der Ballettmusik mit einer gut geerdeten Körpersprache und prägnanten Gesten. Er formt die Charaktere des Stücks plastisch aus. Den Tanz der Ritter grundieren große Trommel, Posaunen und Tuba mit einem satten, präzise getimten Donnern. Das Solo-Cello – sensationell gespielt – erzählt schwärmerisch von der aufkeimenden Liebe der Julia. Dagegen taucht das Orchester ihren Abschied von Romeo später in einen sanften Wehmutston. Schwer vorstellbar, dass man das irgendwo auf der Welt schöner zu hören bekommt.
Schostakowitschs Sinfonie ist alles andere als die simple Volksbeglückungsmusik
Das gilt über weite Strecken auch für die fünfte Sinfonie von Schostakowitsch. Mit nur wenigen Abstrichen. Da gibt es schon auch mal Momente, die nicht ganz so perfekt synchronisiert sind, etwa bei den zarten Tupfern von Harfe und Celesta. Und der seidig-warme Sound der Wiener Streicher passt zwar wie gemalt zum Sehnsuchtsidyll im Largo – doch im ersten Satz hätten die Bässe und Celli vielleicht ein bisschen schwärzer klingen, die Geigen etwas mehr Eiseskälte verströmen können. Denn die Sinfonie ist alles andere als die simple Volksbeglückungsmusik, die Genosse Stalin eigentlich von den sowjetischen Komponisten erwartete.
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Aber natürlich wissen Hrůša und die Wiener um den doppelten Boden des Stücks. Das offenbaren sie zunächst im ramponierten Marsch und dann, noch deutlicher, im Allegretto. Sie lassen den scheinbar volkstümlichen Ländler so derb und ruppig rumpeln, dass sich der aufgesetzte Frohsinn zur Fratze verzerrt. Das Sowjetregime verlangt Jubel – und bekommt von Schostakowitsch einen ins Groteske überzeichneten Zwangstriumph.
Elbphilharmonie: Jakub Hrůša holt wirklich das Letzte aus dem Orchester heraus
Wie unerbittlich Piccoloflöte und Geigen ihre Achtelketten mit dem penetrant wiederholten Ton a ins Trommelfell fräsen, wie Hrůša den riesigen Spannungsbogen bis ins Ende führt und dann kurz vor Schluss noch einmal Schwung nimmt, um wirklich das Letzte aus dem Orchester rauszuholen: Das hat eine Intensität, der man sich nur schwer entziehen kann. Diese schmerzhaft glühenden Klänge hallen am nächsten Tag noch nach.