Hamburg/Berlin. Parteien streiten über Umgang mit geraubten Kunstschätzen in Nigeria. MARKK-Direktorin hält deutsche Einmischung für „neokolonial“.
Die Rückgabe der aus dem ehemaligen Königreich Benin geraubten Bronzen hat sich zu einem parteipolitischen Schlagabtausch entwickelt. Ende des vergangenen Jahres waren Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) nach Nigeria gereist, um einen ersten Teil der insgesamt rund 1100 in deutschem Besitz befindlichen Bronzen ans Herkunftsland zurückzugeben.
Großer Streit um Rückgabe von Bronzen an Benin
Zuvor hatte sich die Stadt Hamburg als erste dazu verpflichtet, die im MARKK beherbergten Objekte zu restituieren – was weltweit für großes Aufsehen gesorgt hatte. Direktorin Barbara Plankensteiner hatte im Interview mit dieser Zeitung davon gesprochen, dass mit dem Edo Museum Of West African Art (EMOWAA) ein großes, vom Bund mitfinanziertes Museumsprojekt im Bau sei, wo die Metalltafeln und Skulpturen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, Gedenkköpfe sowie Tier- und Menschenfiguren, gezeigt werden sollen.
Die Benin-Bronzen schmückten einst den Palast im Königreich Benin und gelangten durch Plünderungen britischer Truppen Ende des 19. Jahrhunderts als Raubkunst in verschiedene Sammlungen deutscher Museen. Im Sommer 2022 wurde nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Berlin und Abuja ein Abkommen über die Rückgabe historischer Ausstellungsstücke geschlossen, die auf etwa 20 deutsche Depots und Sammlungen verteilt sind.
CDU wirft Regierung Naivität vor, AfD fordert, Bronzen in Deutschland zu behalten
Im März verkündete der scheidende Staatspräsident Nigerias, Muhammadu Buhari, dass sämtliche Benin-Bronzen in den Besitz von Oba Ewuare II., Oberhaupt der früheren Königsfamilie Benins, übergeben werden. Mit dieser Äußerung ist nun unklar, was mit den Artefakten geschehen wird und ob sie weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich sein werden.
„Das nigerianische Volk hat rein gar nichts davon. Die Stücke verschwinden im Privatbesitz des nigerianischen Königs. Und unsere Staatskasse ist um fünf Millionen Euro ärmer, die in den Bau eines Museums in Nigeria geflossen sind, das die zurückgegebenen Schätze nie erblicken wird. Rückgaben zu vereinbaren, ohne sicherzustellen, dass Kulturgüter nicht zerstört oder vor der Öffentlichkeit versteckt werden, ist naiv und unverantwortlich“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär. Die AfD fordert gar, noch nicht restituierte Bronzen in Deutschland zurückzuhalten.
Die Fraktionen der Ampelkoalition verteidigen die Rückgabe und deren Modalitäten aber. „Rückgabe von Raubkunst mit Vorgaben und an die betroffenen Staaten und Herkunftsstaaten wäre Fortschreibung des Kolonialismus mit anderen Mitteln“, sagt der SPD-Abgeordnete Helge Lindh. „Selbst wenn Objekte gänzlich der Öffentlichkeit entzogen werden, müssen wir das gefälligst ertragen.“ Auch die Grünen und die FDP erklären, es sei falsch, Bedingungen für die Rückgabe zu formulieren.
Forscher: Zivilgesellschaft hätte stärker einbezogen werden müssen
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin betont, dass die Skulpturen mit dem Ziel an Nigeria zurückgegeben wurden, „historisches Unrecht wiedergutzumachen“. Daher halte man die Rückgabe der Bronzen weiterhin für richtig. „Jetzt zu insinuieren, dass diese Bronzen auf Nimmerwiedersehen verschwinden werden, nur weil Deutschland nicht die Kontrolle darüber ausübt, sondern Nigeria, ist eine Denkweise, von der wir eigentlich gehofft hatten, dass wir sie hinter uns gelassen haben.“
Jürgen Zimmerer sieht in der mangelnden Transparenz eine der Ursachen für den jetzt aufgekommenen Streit: „Es zeigt sich, wie fatal es ist, wenn Verhandlungen nur zwischen Regierungen und Diplomaten geführt werden und nicht mit der Zivilgesellschaft“, sagt der Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ an der Universität Hamburg. „Man hätte Fachleute, Künstlerinnen und Aktivisten aus Deutschland und Nigeria viel stärker mit einbeziehen müssen, dann gäbe es jetzt keine Überraschung über die Details und auch mehr Rückhalt für die ausgehandelte Position.“
Man wollte schnelle Erfolge – und ist nun enttäuscht
Die angekündigte Subvention des EMOWAA-Baus mit vier Millionen Euro aus Bundesmitteln deute darauf hin, dass man eigentlich eine andere Lösung bevorzugt hätte. „Der Wunsch danach war groß, man wollte schnelle Erfolge vorzeigen. Nun ist man auf deutscher Seite enttäuscht, dass die Erwartungen nicht erfüllt werden.“
Der Vorwurf aus konservativer Richtung, die Benin-Bronzen würden nun im Keller eines mächtigen wie willfährigen Privatmannes landen und für immer aus der Öffentlichkeit verschwinden, sei geradezu absurd: „Oba Ewuare II. ist eben nicht nur Privatmann, sondern Vertreter eines untergegangenen Königreiches Benin, dem die Bronzen ursprünglich geraubt wurden“, so Zimmerer.
Problematisch sei der mit Klischees und Rassismus aufgeladene Diskurs, der auf Stereotype – naive Frauen auf der einen, räuberische Afrikaner auf der anderen Seite – abzielt: „Annalena Baerbock und Claudia Roth werden von einigen Kritikern dargestellt, als hätten sie sich von nigerianischen Regierungsmännern über den Tisch ziehen lassen.“
Barbara Plankensteiner macht sich keine Sorgen um die Bronzen
Dazu komme, dass die vermeintliche Unklarheit über die Zukunft der Bronzen nun denjenigen in die Karten spiele, die ohnehin Gegner der kolonialen Aufarbeitung sind. Das könne sich hinderlich für künftige Restitutionen auswirken, so der Historiker und Afrika-Experte. Man dürfe jetzt nicht zulassen, dass die Gesprächssituation mit Herkunftsländern wie etwa Namibia oder Kamerun, wo Restitutionen anstehen, durch derartig „hochgekochte“ Debatten vergiftet werde.
Auch Barbara Plankensteiner hält den Parteien-Streit für „verfrüht und übersteigert. Ich mache mir keine Sorgen um die Zukunft der restituierten Benin-Bronzen. Im präsidentiellen Dekret, das im letzten Amtsmonat des scheidenden Präsidenten Buhari veröffentlicht wurde, ist verankert, dass die Objekte unversehrt bleiben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“
Sich von deutscher Seite nun nach erfolgter Restitution in den Verbleib der Objekte einzumischen bezeichnet die MARKK-Direktorin als „neokolonial“: „Die Werke sind als koloniales Raubgut völlig zu Recht und bedingungslos zurückgegeben worden. Es wird nun Gespräche zwischen der nigerianischen Regierung und dem König geben, wie mit den Bronzen verfahren wird.“
Streit unterstreicht die große Bedeutung der Rückgabe
Durch Kontakte zu den verschiedenen Partnern in Nigeria wisse sie aber, dass eine Ausstellung – in welcher Form auch immer – geplant sei. Dies werde von allen Seiten bekräftigt, und das sei auch im Interesse des Königshauses. Gleichwohl gebe es im Land gerade „einige Unklarheit über dieses Thema“, die erst nach Amtsübernahme der neu gewählten Regierung aufgelöst werden könne.
- Hamburgs umstrittenes Denkmal: Künstler sollen Bismarck neu denken
- Auszeichnung: Hamburger Kunsthistorikerin erhält Bundesverdienstorden
- Diskussion: Kunstzerstörung als Kriegsziel
Und letztlich sei diese Restitution ein Jahrhundertereignis und damit für die Sozialanthropologin nachvollziehbar, dass solch ein Prozess vieles in Bewegung setzt und Diskussionen entfacht. Nicht nur in Nigeria, sondern eben auch in Deutschland. „Dies unterstreicht einmal mehr die große Bedeutung dieser Rückgabe“, so Plankensteiner. (Mit Material von epd und AFP)