Hamburg. Ein Wettbewerb sucht die besten künstlerischen Ideen, die das umstrittene Denkmal im Alten Elbpark neu einordnen.

Am 18. Januar 1871, ziemlich genau vor 152 Jahren also, wurde das Deutsche Reich gegründet, und der erste deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) ging in die Geschichte ein. Als der Mann, der das Land unter der Führung Preußens von der Vielstaaterei befreit, das allgemeine Wahlrecht und soziale Sicherungssysteme eingeführt habe. Dafür wurde er von vielen Deutschen verehrt, Türme, Straßen und Eichen wurden nach ihm benannt, Gedenksteine und Denkmäler für ihn errichtet.

Das größte Monument steht im Alten Elbpark oberhalb der Landungsbrücken: Auf einem von stämmigen Halbsäulen getragenen Sockel ragt die Kolossalfigur aus Beton und Granit 34 Meter in den Himmel. Den Rücken hat die Bismarck-Statue der Stadt abgewandt, ihr Blick geht gen Westen, die Hände ruhen mittig aufgestützt auf einem mächtigen Schwert.

Bismarck galt als "Kriegskanzler mit Pickelhaube"

Schon 1906, als das Denkmal nach Plänen von Emil Schaudt und Hugo Lederer mit finanzieller Unterstützung durch Hamburger Reeder und Kaufleute errichtet wurde, stieß es auf Ablehnung. Denn Bismarck galt auch als „Kriegskanzler mit Pickelhaube“, er war verantwortlich für die Verfolgung von Sozialisten, Katholiken und Homosexuellen sowie für die Errichtung deutscher Kolonien in Afrika und Asien.

Zwischen 1939 und 1941 wurden die Katakomben unterhalb des Denkmals ausgehoben und zu Luftschutzräumen ausgebaut; die Wände bemalte man mit Bismarck-Zitaten, völkischen Motiven und Hakenkreuzen. In völkisch-nationalen und auch konservativen Kreisen hielt die Bismarck-Glorifizierung an.

2020 gab es Proteste gegen die Instandsetzung des Denkmals

Seit 1960 steht die Statue unter Denkmalschutz und wird regelmäßig vom Bezirk Mitte saniert und gereinigt. Wie auch jetzt gerade: Schon von Weitem ist die eingerüstete Statue zu sehen, umgeben von einem feinen Nebel aus Wasser, das auf Beton spritzt – der „Eiserne Kanzler“, er steht unter Dampf.

Zuletzt hatte es 2020 im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung und der weltweiten Denkmalstürze lautstarke Proteste gegen die Instandsetzung des Bismarck-Denkmals in Hamburg gegeben. Aktivisten forderten gar, das Bauwerk abzureißen. Dagegen steht die Meinung, dass es sich bei dem Denkmal um typische Repräsentationskunst der damaligen Zeit handelt.

Bismarck-Denkmal: Bauwerk mit problematischer Historie

Dass solch ein prominentes Bauwerk mit problematischer Historie nicht einfach so im Stadtraum stehen gelassen werden kann, darauf hat sich die Stadt bereits 2014 verständigt und zur Aufarbeitung ihres kolonialen Erbes verpflichtet. Als erstes von weiteren noch folgenden Teilprojekten im Rahmen von „Hamburg dekolonisieren!“ soll das Bismarck-Denkmal kontextualisiert werden. Die Kulturbehörde und die Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMS) starten Anfang kommender Woche den künstlerischen Wettbewerb „Bismarck neu denken!“; um möglichst viele Interessierte anzusprechen, wurden die Ausschreibungsunterlagen auf Englisch, Französisch, Arabisch und Spanisch verfasst.

Wie könnte man sich rund um das Denkmal künstlerisch und kritisch mit der Geschichte der Stadt und der Person Bismarcks auseinandersetzen? Wie kann die Stadtgesellschaft in diesen Diskurs einbezogen werden, und mit welchen Mitteln kann es gelingen, die bisherige Wahrnehmung zu brechen und eine andere Sichtweise zu erlangen? Diesen Fragen sollen sich Künstler, Architektinnen und Stadtplaner in den kommenden Wochen stellen. Dem Wettbewerb vorangegangen waren Workshops, in denen Fachleute die Bedeutung des Denkmals diskutierten und so die Grundlage für eine künstlerische Intervention schufen.

Bismarck-Denkmal: Gewinnerentwurf mit 15.000 Euro honoriert

So sollen Bezüge zu Kolonialismus, Nationalsozialismus, Diskriminierung und Fragen der sozialen Gerechtigkeit, die bislang unsichtbar bleiben, herausgearbeitet und das Spannungsverhältnis zu den Vorstellungen von Demokratie, Diskurs und Pluralität in einer offenen Gesellschaft, stellvertretend für Hunderte weiterer Bismarck-Denkmäler in Deutschland, verdeutlicht werden. „Es gilt, zeitgemäße Formen von Gegendenkmälern, Nach-Denkmälern oder Interventionen zu finden, die eine Antwort auf die massive Präsenz und emotionale Wirkung des monumentalen Denkmals geben. Nicht zuletzt ist die unmittelbare Umgebung des Bismarck-Standbilds einzubeziehen“, heißt es in den Wettbewerbsunterlagen.

Von Lichtinstallation bis zur Verhüllung á la Christo – gewünscht ist ein möglichst starker Verfremdungseffekt, ohne das geschützte Bauwerk an sich zu verändern oder das umliegende Grün zu beeinträchtigen. Sich mit der Geschichte auseinandersetzen, das Denkmal als Bau- und Kunstwerk analysieren, Bismarck als Identifikations-, aber auch Antifigur betrachten sind Denkanstöße von Seiten der Veranstalter.

„Der Wettbewerb ist für das Projekt ‘Hamburg dekolonisieren!’ ein bedeutender Meilenstein, um die von verschiedenen Gruppen und Institutionen der Stadt angestoßene Diskussion um das Denkmal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und fortzusetzen“, sagt Hans-Jörg Czech, Stiftungs-Vorstand. „Unser Anliegen ist es, zusätzliche Plattformen für die Diskussion über geeignete post- und dekoloniale Formen des Erinnerns und Gedenkens in der Stadtgesellschaft zu verankern. Hierfür wollen wir Anlässe und Möglichkeiten für Austausch und Begegnungen schaffen.“ Im März wird eine elfköpfige Jury die Beiträge bewerten, im Juli soll es eine große Ausstellung der besten Entwürfe im Museum für Hamburgische Geschichte geben und der Gewinnerentwurf gekürt werden. Dieser wird mit 15.000 Euro honoriert.

Der Wettbewerb ist laut Kultursenator Carsten Brosda (SPD) derzeit „der anfassbarste Prozess der Stadt in der Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe. Ich bin gespannt auf die künstlerische Auseinandersetzung mit der vielschichtigen Person Bismarcks und ihrer Bedeutung für unsere Geschichte. Ziel ist es, dass künftig das Denkmal künstlerisch so kommentiert wird, dass man nicht umhin kann, sich auch mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen. Nur wenn wir uns unserer Geschichte bewusst werden, können wir aus ihr für die Zukunft lernen.“

Informationen und Wettbewerbsunterlagen unter www.luchterhandt.de