Hamburg. Schauspielerin Sandra Keck wird zur Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt, künstlerischer Leiter legt sein Amt nieder. Die Hintergründe.

Noch läuft am Theater die Spielzeit 2022/23. Am Ohnsorg lautet das Motto der Saison „Tosamen“, derzeit jedoch hängt der Haussegen hinter der Fassade mächtig schief. Grund ist die jährliche Mitgliederversammlung des Vereins Niederdeutsche Bühne Hamburg, immerhin Eigentümer des Theaters. Auf der Versammlung habe es „einschneidende Veränderungen“ in der Besetzung der Gremien gegeben, formulierte es die Ohnsorg-Pressestelle.

So wurde im Großen Haus von den mehr als 100 Anwesenden Sandra Keck in geheimer Abstimmung zur ersten Vorsitzenden des Vereins gewählt. Die Schauspielerin, die dem festen Ohnsorg-Ensemble bis Mitte 2020 drei Jahrzehnte lang angehört hatte, gab ihre Kandidatur erst auf der Mitgliederversammlung bekannt. Sie sei von vielen Vereinsmitgliedern darum gebeten worden, sagte sie dem Abendblatt. Keck erhielt 60 Stimmen, der bisherige langjährige Vorsitzende Christian Breitzke, ein Jurist, nur 49 Stimmen.

Theater Hamburg: Drama am Ohnsorg – ist die „Vertrauensbasis zerstört“?

Eine Wahl mit mehrfacher Brisanz: Der Vorsitzende des Vereins ist zugleich auch zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Ohnsorg-Theater GmbH gewählt. Der oder die Gewählte soll mit seinem Gremium die Zahlen, die Bilanzen und die Geschäftsführung kontrollieren, nimmt normalerweise aber keinen Einfluss auf die künstlerische Gestaltung.

Indes: Die 55-jährige Keck ist bisher vor allem als Künstlerin bekannt geworden, außer als Schauspielerin noch als Sängerin, Regisseurin und Autorin.

Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Eggert Voscherau nahm die Wahl nicht an

Der Gesellschaftsvertrag der Ohnsorg-Theater GmbH sieht vor, dass der erste Vorsitzende und der zweite Vorsitzende des Vereins Niederdeutsche Bühne Hamburg Aufsichtsratsvorsitzender respektive stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Ohnsorg-Theater GmbH sind. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Eggert Voscherau, jüngerer Bruder des 2016 gestorbenen Hamburger Ex-Bürgermeisters Henning Voscherau, wurde zwar vom Plenum der Niederdeutschen Bühne Hamburg mehrheitlich im Amt bestätigt, nahm die Wahl jedoch nicht an.

Der langjährige hauptberufliche Vorstandsvizevorsitzende des Chemieriesen BASF trat noch auf der Versammlung von seinen bisherigen Ämtern mit sofortiger Wirkung zurück. In Folge der Wahl der neuen Aufsichtsratsvorsitzenden erklärten zudem spontan sowohl Christa Goetsch, Hamburgs ehemalige Zweite Bürgermeisterin und seit zehn Jahren bestellte Aufsichtsrätin, als auch Maike Brunk ihren Rücktritt aus dem Aufsichtsrat während der Versammlung. „Es muss für den Erhalt des Theaters alles getan werden, dass es den eingeschlagenen, sehr erfolgreichen Weg weitergehen kann“, sagte Christa Goetsch.

Der künstlerische Leiter Murat Yeginer hat sein Amt niedergelegt

Zweck des Vereins Niederdeutsche Bühne Hamburg ist die Förderung von Kunst und Kultur. Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch die Förderung von Aufführungen von Bühnenwerken, Vorträgen, Publikationen und Matineen in niederdeutscher Art und Sprache und die Unterstützung des Ohnsorg-Theaters. Zwar wurde auf der Versammlung ein Schriftführer sowie die Kassenwartin bestätigt und eine Beisitzerin neu gewählt.

Programmatisch schwerwiegender für das Ohnsorg ist jedoch, dass auch der Regisseur Murat Yeginer sein Amt als künstlerischer Leiter niedergelegt hat. „Dafür stehe ich nicht mehr zur Verfügung“, sagte er dem Abendblatt, er sehe die Vertrauensbasis zu einem Teil der Belegschaft zerstört.

Yeginers Vertrag läuft noch bis Juli 2024, der vom seit 2017 amtierenden Intendanten (und Geschäftsführer) Michael Lang war erst vor einem Jahr bis Mitte 2027 verlängert worden – vom damaligen Aufsichtsrat. Lang stand bis Mittwochabend für Anfragen „nicht zur Verfügung“. Dem Vernehmen nach ist er krankgeschrieben.

Theater Hamburg: Drama am Ohnsorg sorgt für Spaltung der Belegschaft

Mit dem Abstimmungsergebnis auf der Versammlung, manche sprachen von „Putsch“, andere von „Revolution“, hat sich eine Spaltung der Belegschaft dramatisch manifestiert, personell offenbar vom Ensemble bis hinter die Kulissen sowie über die Inhalte. Mithin über den von Lang und Yeginer eingeschlagenen Kurs eines Spielplans mit modernen und zeitgenössischen Stücken und – wenn dramaturgisch sinnvoll – mehr hochdeutschen Sprachanteilen.

Auch der Hamburger Kulturbehörde sind die Turbulenzen rund um den Aufsichtsrat nicht verborgen geblieben. Schließlich erhält das Ohnsorg laut eigenen Angaben pro Spielzeit rund 2,2 Millionen Euro Subventionen.

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Niederdeutsche Bühne: Kultursenator Brosda nach Verlauf der Sitzung „in Sorge“

„Den Verlauf der Sitzung des Vereins Niederdeutsche Bühne Hamburg sehe ich mit Sorge“, sagte Kultursenator Carsten Brosda. „Wir werden jetzt zunächst versuchen, herauszufinden, welche Konsequenzen die jüngsten Entscheidungen des Vereins für das Ohnsorg-Theater haben und führen hierzu diverse Gespräche.“

Bis jetzt waren jedoch meist nicht der Aufsichtsrat, sondern eher Geschäftsführung und Intendanz der Ansprechpartner der Behörde. „Michael Lang hat unter dem bisherigen Aufsichtsrat in den letzten Jahren am Ohnsorg-Theater einen umsichtigen Modernisierungsprozess gestartet und erst vor wenigen Tagen ein vielversprechendes Programm vorgelegt, so Brosda. Der Behörden-Präses hofft, „dass alle Beteiligten alles dafür tun, dass diese traditionsreiche Hamburger Theater-Institution eine verlässliche Zukunft hat.“

Sandra Keck galt und gilt als Kritikerin dieses neuen Weges. „Ich bin ein Seeler-Kind“, hat sie mal so schön von sich gesagt. Dem im Sommer 2017 nach 22 Jahren als Intendant ausgeschiedenen Christian Seeler sei sie noch immer sehr verbunden. Welche Rolle Seeler jetzt spielt, ist unklar: Er hatte dem Aufsichtsrat damals Michael Lang, bis dato Leiter der Komödie Winterhuder Fährhaus, selbst als seinen Nachfolger vorgeschlagen.

Keck wollte sich im Detail nicht äußern und ihr weiteres Vorgehen zunächst mit einem Juristen abstimmen.