Hamburg. Die nächste Spielzeit am Ohnsorg-Theater bringt gleich drei Uraufführungen. Und im festen Ensemble gibt es Veränderungen.

Auf die Barrikaden geht ein Intendant nicht so schnell, auf die Fensterbank schon mal. So geschehen am Mittwochmittag im Bieberhaus, im Rangfoyer des Ohnsorg-Theaters. Mit Blick auf den Hachmannplatz und das Museum für Kunst und Gewerbe erklärte anschaulich Michael Lang, der Chef der niederdeutschen Traditionsbühne, was womöglich in einigen Jahren auf die Beschäftigten und das Publikum des Ohnsorgs zukäme. Wenn der – Achtung: Wortungetüm – Verbindungsbahnentlastungstunnel gebaut werden soll, der den S-Bahn-Verkehr zugunsten des Fernverkehrs der Deutschen Bahn aus dem Hamburger Hauptbahnhof verlagert.

Der Tunnel würde knapp unter dem Bieberhaus hindurchführen, deshalb müsste das Ohnsorg-Theater ausziehen, etwa für drei bis fünf Jahre. Frühestens 2028, eher 2030, meint auch Lang. Er ahnt, dass ein Umzug in eine noch zu findende Ausweichspielstätte für alle Beteiligten „eine ganz große Herausforderung“ wird. Alles noch Zukunftsmusik.

Ohnsorg-Theater: Neue Stücke, Schauspieler – undmehr hochdeutsche Anteile

Denn eigentlich ging es am Mittwoch im Ohnsorg um die vorige, die noch laufende und die nächste Spielzeit. Die Herausforderung der Corona-Krise und den ersten Winter der Energiekrise mitsamt der Folgen des Ukraine-Kriegs hat das seit elfeinhalb Jahren am Hauptbahnhof ansässige Theater einigermaßen gemeistert. Die Spielzeit 2021/22 konnte das Haus trotz der damaligen Kapazitätseinschränkungen dank der zahlreichen Fördermaßnahmen des Bundes und der Stadt Hamburg mit einem ausgeglichenen Betriebsergebnis abschließen.

Für diese Saison zog Lang ein erstes Zwischenfazit. Das Theater stehe solide da: „Der Aufwärtstrend nach der Pandemie setzt sich langsam fort.“ Bei den Abendstücken im Großen Haus „im behutsamen Tempo“, dort liege die Auslastung bei 50 bis 60 Prozent. Bei den Programmen für Kinder, Jugendliche und Familien habe das Interesse sogar „sehr merklich angezogen“.

Wie beim Weihnachtsmärchen sollen hochdeutsche Titel den Zugang erleichtern

Das Weihnachtsmärchen, zuletzt „Hase und Igel“, fand mit 95 Prozent Auslastung und fast 29.000 Menschen traditionsgemäß den größten Zuspruch. Es wird von jeher auf Hochdeutsch gespielt. Und hochdeutsch sind fast ausnahmslos auch alle Titel der sechs neuen Stücke im Großen Haus für 2023/24.

Potenziell Interessierten soll getreu dem Spielzeitmotto „Wir verstehen uns!“ der Zugang zum Theater erleichtert werden. Der Untertitel „Mit dat Ohnsorg op du un du“ deutet indes an, dass die plattdeutsche Sprache weiterhin das Hauptelement der Erwachsenen-Stücke sein wird. Jedoch immer wieder mit hochdeutschen Passagen dramaturgisch sinnvoll angereichert, wie Oberspielleiter Murat Yeginer erläuterte.

Er und Lang haben gleich zweimal den erfahrenen Harald Weiler mit der Regie betraut. Zum Spielzeitauftakt am 27. August mit der Komödie „Frau Bachmanns kleine Freuden“ von Sam Bobrick mit Meike Meiners als einfallsreiche Seniorin in der Titelrolle und im April 2024 mit der Uraufführung des Hallig-Krimis „Landünner – Eine Nacht am Ende der Welt“ (mit Meiners und ihren Ensemble-Kollegen Birte Kretschmer sowie Robert Eder). Das Stück hatte Autor Hendrik Berg dem Ohnsorg unabhängig vom Autoren-Wettbewerb „Große Freiheit Schreiben“ zugesandt.

Oberspielleiter Yeginer inszeniert erste Umwelt-Komödie am Ohnsorg: „Der letzte Pinguin“

Am 5. November bringt Regisseurin Nora Schumacher dann „Eine Stunde Ruhe“ auf Platt- und Hochdeutsch heraus. Die Komödie des französischen Autors Florian Zeller hatte vor einigen Jahren bereits Herbert Knaup im St. Pauli Theater hierzulande zum Durchbruch verholfen. Im Ohnsorg nennt es Oberspielleiter Yeginer salopp „Erkkis Stunde Ruhe“ – Publikumsliebling Erkki Hopf wird den Egozentriker Michel spielen.

Yeginer selbst steht im neuen Jahr gleich zweimal vor Uraufführungen: Im Januar inszeniert er wiederum mit Erkki Hopf (und mit Peter Kaempfe) die erste Umwelt-Komödie am Ohnsorg. „Der letzte Pinguin“ von Erfolgsautor Sönke Andresen („Plattdüütsch for Anfängers“) spielt auf einem Polarkreuzfahrtschiff auf dem Weg in die Antarktis. Ein spannendes Wagnis verspricht Yeginers eigenes Stück „Bittersüße Zitronen“ zu werden.

Der Erfinder der Show „Auto, Auto!“ wirkt erstmals auf der Ohnsorg-Bühne mit

Das Schauspiel mit Musik (Uraufführung: 25. Februar) ist frei nach „Die Ratten“ von Gerhard Hauptmann und Motiven aus dem Leben der Zitronenjette eine Melange zweier Themen. Dafür schreibt der bekannte Musiker und Schauspieler Christian von Richthofen, Erfinder der Schrott-Percussion-Show „Auto, Auto!“ eigens die Musik und wirkt erstmals auf der Ohnsorg-Bühne mit.

Ein ebenfalls überraschender Name im Ohnsorg ist der Bochumer Autor Frank Goosen. Die Fassung seines Romans „Sommerfest“ ist auch eine Heimat-Komödie, untermalt mit dem Sound der 80er. Regie führt mit Yeginers Kollegin und Tochter Ayla Yeginer nicht nur ein Kind der 80er, sondern auch die künftige Co-Intendantin (ab 2025) des Ernst Deutsch Theaters.

Das Weihnachtsmärchen „Rumpelstilzchen“ inszeniert mit Adisat Semenitsch eine am Boulevard (Komödie Winterhude) erfahrene und beliebte Schauspielerin. Ins Märchen sollen die eine oder andere kindgerechte plattdeutsche Redewendung einfließen, damit der Nachwuchs schon mal in die Sprache hineinhören kann.

Im Ohnsorg-Studio feiert „De Schimmelrieder“ nach Theodor Storm Premiere

Dank der Arbeit im Ohnsorg-Studio verfügt das Theater im Bereich Zweisprachigkeit über sehr gute Erfahrungen und entsprechende Expertise. In der Spielzeit 2023/24 wird sich das Theater auch künstlerisch mit der Zukunft von Regional- und Minderheitensprachen auseinandersetzen, etwa mit der Produktion „Dat Leven vun de Liven“ im September 2023. Sie hatte kürzlich im Lichthof Uraufführung gefeiert.

Im Ohnsorg Studio steht mit „Die Muskeltiere – Een für all, all för een“ von Ute Krause eine Hamburger Nagetiergeschichte für Menschen ab sechs Jahren auf dem Spielplan. Premiere ist am 1. Oktober, Regie führt Julia Bardosch.

Eine der bekanntesten Erzählungen der deutschen Literatur kommt dann Mitte März 2024 auf die kleine Bühne des Ohnsorgs: „De Schimmelrieder“ nach der Novelle von Theodor Storm. In der Inszenierung im Abendspielplan des Studios geht es um den Kampf des Menschen gegen die Naturgewalten am Schauplatz der Küste Norddeutschlands. Regie führt Ingo Putz („Soul Kitchen“).

Ohnsorg: Zwei neue feste Ensemblemitglieder

Dass in der neuen Saison nur zwei Premieren im Ohnsorg-Studio anstehen, stört die künstlerische Leiterin Cornelia Ehlers nicht. „Wir sind glücklich, dass wir unsere weiteren erfolgreichen Inszenierungen noch mal zeigen könne“, sagte sie. Dazu gehören Dörte Hansens „Altes Land“ (ab 8.12.) und das bei den bundesweiten Privattheatertagen 2019 ausgezeichnete „Buten vör de Döör – Draußen vor der Tür“ nach Wolfgang Borchert.

Und: Zwei neue, Mitglieder werden von der der kommenden Spielzeit an das feste Ensemble des Ohnsorg-Theaters bereichern. Mit Flavio Kiener, einem gebürtigen Schweizer, und dem schon seit 2017 regelmäßig am Ohnsorg spielenden Holsteiner Marco Reimers konnten zwei junge Schauspieler für das Theater gewonnen werden. Sie ersetzen den im Vorjahr in den Vorruhestand getretenen Til Huster und Markus Gillich – den bayerischen Schwaben zieht es nach Schwerin

Programm und Karten (Vorverkauf ab 1.6.): www.ohnsorg.de