Hamburg. Die deutschsprachige Erstaufführung der französischen Komödie „Chers Parents“ zündet im Ohnsorg auch op Platt. Sogar Schüsse fallen.

Geld regiert die Welt. Das ist bekannt. Was aber macht es mit einer Familie, wenn der Geldsegen unverhofft über sie, genauer: über die Eltern kommt? Diese Frage hat sich das französische Geschwister-Duo Armelle und Emmanuel Patron gestellt und daraus sein erstes gemeinsames Bühnenstück kreiert. Unter dem Titel „Chers Parents“ hatte es 2021 im Theatre de Paris Uraufführung und avancierte in Frankreich auch andernorts schnell zu einem großen Erfolg.

Fix haben sich Ohnsorg-Intendant Michael Lang und -Oberspielleiter Murat Yeginer beim Litag Theaterverlag München die deutschsprachigen Aufführungsrechte gesichert und das Stück um die lieben Eltern als erstes deutsches Theater auf den Spielplan genommen. Ein gelungener Schachzug zu Beginn des neues Jahres, wie die Erstaufführung von „De leven Öllern“ in der plattdeutschen Fassung von Christian Richard Bauer zeigte. Das Premierenpublikum feierte das Ensemble mit minutenlangem Beifall.

„De leven Öllern“: Turbulenter Familienstreit um Lottogewinn

Die Charaktere, insbesondere ihr Verhalten, haben durchaus Wiedererkennungswert, wenn auch alles schön überzeichnet ist – das Stück ist schließlich eine Komödie. Aber dass ein vor Kurzem pensioniertes Rentner-Ehepaar mal eben 150 Millionen Euro gewinnt, kommt selbst in den besten Familien nicht aller Tage vor. Bis Johanna (Meike Harten) und Winfried (Konstantin Graudus) ihren drei „Kinners“ all das offenbaren, dauert es eine Weile. Ganz bewusst. Man möchte als Eltern ja auch in einem gutbürgerlich eingerichtetem Einfamilienhaus im Grünen nicht mit der Tür ins Haus fallen.

Dabei hatten sich drei Geschwister Peer, Julius und Luisa doch so beeilt, als sie von „de leven Öllern“ aufgefordert wurden, zu ihnen zu kommen, weil die ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen hätten. Die drei erwachsenen Kinder hatten das Schlimmste befürchtet, und jetzt, als sich Peer (Flavio Kiener), Julius (Marco Reimers) und Luisa (Rabea Lübbe) bei den Eltern versammelt haben, finden sie nur einen Zettel, dass die beiden an der See spazieren sind. Darauf erst mal ‘ne geschwisterliche Flasche Rotwein zu dritt aus Papas geheimen Lager „ünner de Kellertrepp“. Als der dann mit Gattin zurückkommt, sind die Gläser ganz schnell weg, Erleichterung und Wiedersehensfreude aber umso größer.

Ohnsorg-Theater: Nur peu à peu rücken die Eltern mit der Wahrheit heraus

Nur peu à peu rücken die Eltern mit der Wahrheit um den Lottogewinn heraus. Mit dem Geld wollen sie ein Waisenhaus in Kambodscha aufbauen, tun sie gegenüber dem Nachwuchs kund. Woher das Geld dafür kommt und wie groß die Summe ist, das klärt sich erst im Laufe des zweistündigen Abends. Was zunächst wie ein freudiges Ereignis erscheint, gerät für die erwachsenen Sprösslinge und die abenteuerlustigen Eltern mehr und mehr zu einem familiären Stresstest. Und die drei großen Kinder wünschen sich plötzlich, dass ihre anfänglichen Befürchtungen doch wahr werden mögen.

Insbesondere nach der Pause entwickelt sich „De leven Öllern“ zu einem turbulenten, immer absurder werdenden Stück, das nicht nur dank Bühne und Kostümen (von Peter Lehmann) an beste zeitgenössische Stücke im früheren Theater Kontraste in der Komödie Winterhude erinnert. Charakterkomödiant Konstantin Graudus, mit Zauselbart und im Rautenpulli, steht als mal gönner-, dann auch oberlehrerhafter Patron ebenso dafür wie Meike Harten in legerer Karohose. Relativ wenig Text und wenige Worte reichen ihr, um mit feinen Gesten die Mutterrolle subtil und komisch auszufüllen. Liebe anno 2023.

Regisseurin lässt Raum für Situationskomik

Regisseurin Nora Schumacher, am Ohnsorg-Theater bisher für Märchen prädestiniert, versteht es bei ihrem Debüt für Erwachsene im Großen Haus, mit straffer Hand zu führen, dabei dennoch innerfamiliäre Konflikte freizulegen und Raum für Situationskomik zu lassen. Mit den Dramaturginnen Cornelia Stein und Anke Kell hat sie das französische Stück „De leven Öllern“ kurzerhand in den Kreis Stormarn transferiert. Doch wer schuldet hier wem etwas?

Am Beispiel der vom Lottogewinn heimgesuchten Familie stellte sich die Frage nach der Verantwortung, die Reichtum mit sich bringt. Bei der Beantwortung kann Schumacher außer auf das Duo Graudus/Harten auf die „Kinder-Darsteller“ bauen. Die drei machen „De leven Öllern“ erst zu einem gelungenen Ensemble-Stück. Und zu einer Komödie über den Wert von Familie, Liebe, Geld und die Hierarchie unter den Geschwistern. Flavio Kiener, der mit dem 40-jährigen Peer den Ältesten der drei als vermeintlich gemachtem Mann gibt, glänzt im dunklen Anzug als glatter Unternehmer und Jungvater, der zugeben muss, dass er seine verkauften Solaranlagen mit Kinderarbeit in China hat herstellen lassen. „Düsse Moorslöcker!“, schimpft er wie sein Bruder über die Eltern, als er erfährt, was diese mit der gewaltigen Summe wirklich vorhaben.

Ohnsorg-Theater: Nachdenkliche Aspekte für die Familie

Marco Reimers überzeugt als Julius alias „Julle“, der auch mit Anfang 30 noch von einer Schriftsteller-Karriere träumt, jedoch als freier Mitarbeiter nur Theaterkritiken schreibt, mit denen er Ärger auslöst und das Geld von „Mudder“ zugesteckt bekommt. Und Rabea Lübbe alias „Lieschen“ muss sich von den Brüdern verspotten lassen, dass sie als Ärztin und Dauer-Doktorandin immer noch Single ist und nicht praktiziert. Bei ihr geht es schließlich nicht ohne Gewehr und der Androhung von Waffengewalt ab, was dieser zeitgemäßen Komödie endgültig den aberwitzigen Schuss Komik gibt.

Doch auch nachdenkliche Aspekte über die Familie und den Platz des Einzelnen kommen hier nicht zu kurz. Mitsamt der Instabilität der Gefühle und all der dunklen Seiten, die in jedem von uns schlummern – vor allem wenn viel Geld im Spiel ist.

„De leven Öllern“ wieder Di 17.1., bis 26.2., tägl. 19.30, (außer Mo), Sa/So auch 16.00, am 26.1., 29.1 u. 2.2., jew. 19.30, mit hochdeutscher Übertitelung, Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 22,- bis 35,50: T. 040/35 08 03 21; www.ohnsorg.de