Hamburg. Ein Symposium an der Hochschule für bildende Künste behandelt die „documenta fifteen“. Was sich Martin Köttering davon verspricht.
Die Ereignisse und Auswirkungen der mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontierten „documenta fifteen“ haben Martin Köttering, Präsident der Hochschule für bildende Künste Hamburg, dazu veranlasst, in seinem Haus ein hochrangig besetztes Symposium zum Thema zu veranstalten, bei dem Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) einen Impulsvortrag hält.
Hamburger Abendblatt: „Kontroverse documenta fifteen“ lautet der Titel des Symposiums, das am 1. und 2. Februar an Ihrer Hochschule stattfinden wird. Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Symposium ins Leben zu rufen?
Martin Köttering: Die „documenta fifteen“ hat letzten Sommer nicht nur die Kunstwelt aufgerüttelt. Mindestens für Deutschland lässt sie sich als gesamtgesellschaftliches Schockereignis beschreiben, weil einzelne Kunstwerke mit antisemitischen Inhalten zu sehen waren. Die dadurch ausgelöste mediale Debatte hat uns in ihrer Heftigkeit und extrem polarisierenden Tendenz dann aber doch überrascht. Miteinander reden über das, was auf dieser so wichtigen Weltkunstausstellung passiert ist, schien alsbald ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Klar war und ist aber: Hier sind extrem brisante Fragestellungen im Feld der Kunst aufgepoppt und unbeantwortet geblieben.
Welchen Beitrag kann und soll Ihre Hochschule in der Debatte leisten?
Köttering: Unser Symposium setzt bei dieser Leerstelle an, weil die Kunsthochschule nach meinem Verständnis – und das würden die Studierenden und Lehrenden der HfbK sofort unterschreiben – ein genuiner Austragungsort für künstlerisch und gesellschaftlich relevante Debatten ist. Zumal es bei uns um ein gemeinsames Voneinander-Lernen geht, was insbesondere auch das Lernen aus Fehlern und aus dem Scheitern impliziert. Die Kontroverse um die „documenta fifteen“ aufzugreifen war nachgerade zwingend, und im Kern muss es uns eben darum gehen, vorhandenen Antisemitismus im Kunstfeld durch Expertinnen und Experten aufzuarbeiten und die vielfältigen Ursachen hierfür zu analysieren und offenzulegen. Nur so können wir Perspektiven für nachhaltig antisemitismusfreie Räume der Kunst entwerfen.
„Kontroverse documenta fifteen“ in Hamburg: Es soll gesprochen, gestritten, gerungen werden
Die Öffentlichkeit ist ausdrücklich dazu eingeladen, nicht nur zuzuhören, sondern auch mitzudiskutieren. Was erwartet die Besucherinnen und Besucher an diesen beiden Tagen, was erwarten Sie?
Köttering: Im besten Fall erwartet uns ein zweitägiger höchst kenntnis- wie spannungsreicher und sicherlich auch persönlich gefärbter Gedankenaustausch. Ein Dialog zwischen Perspektiven und Polen, mit hoffentlich ganz viel Raum für Zwischentöne und Differenzierungen. Und ja, hierbei ist das Publikum ausdrücklich als aktiver Part des Symposiums gedacht und willkommen – womit ich vor allem auch eine sehr ernst gemeinte Einladung an die Jüdischen Gemeinden Hamburgs verbinde. Meine größte Hoffnung ist es, dass an diesen zwei Tagen bei uns in der Aula miteinander gesprochen, gestritten, gerungen wird und dass es den ausgewiesenen Fachleuten im Verbund mit dem Publikum gelingt, Widerspruch, Dissonanz und gegenläufige Positionierungen auszuhalten wie auch sachkundige Analysen und Einordnungsversuche zuzulassen und in einer respektvollen Atmosphäre zu reflektieren. Das wäre mein Ideal einer wissenschaftlichen Diskussionskultur.
Welche Aspekte sind Ihnen besonders wichtig?
Köttering: Zu einem hoffentlich lebendig-diskursiven Symposium tragen so ausgesprochen renommierte Persönlichkeiten bei wie die Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums, Miriam Rürup, der ausgewiesene Fachmann für NS-Geschichte in Deutschland, Michael Wildt, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, oder aber der aktuell durch sein Buch „Fluchtpunkte der Erinnerung“ viel diskutierte Soziologe Natan Sznaider, die über Holocaust-Education promovierte Kunstvermittlerin Nora Sternfeld oder der in Österreich wegen seiner unbestechlichen Kritik am Alltagsantisemitismus bekannte Doron Rabinovici. Bei der Auswahl der Beitragenden lag das Hauptkriterium auf der wissenschaftlichen und/oder künstlerischen Fachexpertise mit Blick auf den thematischen Horizont, wobei es uns wichtig war, divergente Positionen zu Wort kommen zu lassen. Zweifelsohne werden verschiedene Perspektiven aus jüdischen Communitys im In- und Ausland auf den Podien vertreten sein.
Offensichtlich liegen die Wurzeln dieser durch die „documenta fifteen“ ausgelösten Kontroverse viel tiefer, als einem zunächst bewusst war.
Köttering: Richtig. Eine Kunsthistorikerin wie Julia Voss, die die NS-Vergangenheit in der Genese der documenta zur Weltkunstausstellung erforscht und hierzu eine international rezipierte Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin realisiert hat, wird im Verbund mit einem starken Kritiker der jüngeren documenta-Geschichte wie Oliver Marchart fachlich versiert die blinden Flecken des Kunstbetriebs ansprechen – genauso wie die für ihre Auseinandersetzung mit der deutschen Erinnerungskultur renommierte Künstlerin Michaela Melián einen kritischen Blick auf das werfen wird, was auf der letzten documenta passiert ist. Und natürlich wird auch ein so schwieriger Begriff wie der des „Globalen Südens“, der als Argument in der Debatte immer wieder – auch missbräuchlich – aufgetaucht ist, beleuchtet. Der Hamburger Globalhistoriker Jürgen Zimmerer wird hierzu seine Erkenntnisse aus der Erforschung der kolonialen Gewaltgeschichte in die Debatte einbringen.
Auch die bei Ihnen lehrenden ruangrupa-Künstler Iswanto Hartono und Reza Afisina werden bei zwei Veranstaltungen dabei sein. Beide standen in den vergangenen Monaten sehr in der Kritik, sich zu wenig zu den Vorwürfen, sie hätten antisemitische Inhalte bei der documenta zugelassen, geäußert zu haben. Wird auch dieses Thema behandelt?
Köttering: Selbstverständlich sind sie dabei und stellen sich der Diskussion wie auch Hestu A. Nugroho von dem Künstlerkollektiv Taring Padi vor Ort sein wird. Schließlich wollen wir nicht über sie reden, sondern mit ihnen. Der Antisemitismus auf der letztjährigen documenta muss adressiert werden, wie aber auch die Rolle der kolonialgeschichtlichen Vergangenheit und jüngeren politischen Entwicklung Indonesiens thematisiert und nach dem gefragt werden muss, was abseits von künstlerischen Strategien und kuratorischem Konzept in der Kontroverse gegeneinander verhandelt wurde.
Was sich Andreas Hoffmann für seine erste documenta wünscht
Documenta: Hamburger Kulturmanager wird Geschäftsführer
Was bleibt von der documenta fifteen – außer dem Skandal?
Ein Tagungspunkt wird sich mit der veränderten Kunstpraxis seit der „documenta fifteen“ beschäftigen. Inwiefern wirkt die Weltkunstschau nach? Bemerken Sie in Ihrem Hochschulbetrieb, dass sich auch gesellschaftlich etwas verändert hat?
Köttering: Veränderung wäre mir ein zu weitreichender Begriff. Das braucht Zeit. Aber sicherlich nimmt eine jede documenta eine visionäre Setzung vor. Im Falle der „documenta fifteen“ sind das sicherlich die gesellschaftlich relevanten Themen wie globale Gerechtigkeit und Umverteilung, die Suche nach einem gemeinsamen Umgang mit den Folgen des Klimawandels, der Kollektivgedanke – eben Kunst als soziale Praxis, womit ja auch das letzte Panel unseres Symposiums überschrieben ist. Das wird bei uns an der HfbK künstlerisch wie theoretisch aufgegriffen und weiterentwickelt. Wie und in welcher Form kann Kunst wirksam werden? Ersetzt das kollektive Arbeiten und das Prozessuale die althergebrachte Idee vom Künstlergenie und den Autonomiebegriff? Wie können und wollen wir künftig zusammenleben?
Der noch amtierende Chef des Bucerius Kunst Forums, Andreas Hoffmann, wird am 1. Mai als neuer Geschäftsführer der documenta in Kassel anfangen. Auch für ihn ist das Symposium ein wichtiges Datum im Kalender. Was erwarten Sie von ihm in seiner neuen Funktion?
Köttering: Es gilt, die documenta zu retten. Eine hehre Aufgabe. Als Geschäftsführer muss sich Andreas Hoffmann für die Freiheit der Kunst einsetzen, den notwendigen finanziellen Spielraum sichern und fruchtbare Debatten ermöglichen. Ich wünsche ihm in unser aller Interesse gutes Gelingen dabei, die documenta wieder in ruhigere Gewässer zu führen.
„Kontroverse documenta fifteen“ 1./2.2. Mi ab 18.00, Do ab 10.00, Aula der Hochschule für bildende Künste (U Mundsburg, Busse 25, 172), Lerchenfeld 2, Eintritt frei, Programm unter www.hfbk-hamburg.de