Hamburg. Der designierte Geschäftsführer spricht im Abendblatt über Schwierigkeiten und Herausforderungen der Kasseler Weltkunstschau.
Es war die Nachricht des neuen Jahres: Am 1. Mai übernimmt Andreas Hoffmann, 51, die Geschäftsführung von documenta und Museum Freidericianum gGmbH in Kassel. 16 Jahre stand der Archäologe an der Spitze des Bucerius Kunst Forums. Nun will er sich der größten Herausforderung im Kunstbetrieb stellen: den Antisemitismus-Skandal der documenta fifteen aufarbeiten und das Image der Weltkunstschau reparieren.
Hamburger Abendblatt: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie für den Posten des documenta-Chefs angefragt wurden?
Andreas Hoffmann: Die erste Reaktion meiner Frau war, als ich davon berichtete: Wow, das ist ja endlich mal ein richtig tolles Angebot! Und ich muss sagen, trotz all der Schwierigkeiten, die wir mit Blick auf die vergangene documenta fifteen vielleicht vor Augen haben, ist das einfach eine Position, die eine große Herausforderung ist, die ausüben zu dürfen einfach unglaublich spannend ist. Sie ist, und das gilt für alle Ausstellungen seit 1955, immer ein besonderer Seismograf für zentrale gesellschaftliche Diskurse und in ihrem Gegenwartsbezug sehr nah dran gewesen an Phänomenen unserer Zeit. Ich denke da etwa an die documenta 9 von 1992, die das Thema Erlebnisgesellschaft ganz stark in den Fokus gerückt hat, oder die documenta 11 im Jahr 2002, wo die Globalisierung und Konzentration auf Afrika und Migration im Vordergrund standen – Themen, die uns nachfolgend sehr beschäftigt haben. Und auch die documenta fifteen und ihr Gedanke des Kollektivs war sehr visionär. Das fasziniert mich. Kurz: Ich habe nicht gezögert und sofort zugesagt.
In Hamburg hat die Nachricht große Wellen geschlagen, sicherlich auch bundesweit. Wie groß ist das Interesse an Ihrer Person?
Andreas Hoffmann: Tatsächlich jagt seit vergangenem Donnerstagnachmittag ein Interview das nächste. Für mich ist toll daran zu erkennen, dass in Zeiten, in denen die Museen alle um ihr Publikum kämpfen, die documenta eine besondere Strahlkraft hat, die sich auch in diesem großen Medieninteresse spiegelt. Zeitgenössische Kunst hat einfach eine riesige gesellschaftliche Bedeutung, und das ist für die gesamte Museumslandschaft eine wichtige Botschaft.
Um Publikum kämpfen wird man eher nicht bei der documenta, trotzdem hat sie eine schwierige Zäsur erfahren, Ihre Vorgängerin ist wegen des Antisemitismus-Skandals gegangen. Wie groß ist Ihr Respekt vor dem „heißen Stuhl“?
Andreas Hoffmann: Natürlich habe ich riesigen Respekt vor der Aufgabe. Meine künftige Position wird zwar mit einer hohen medialen Wahrnehmung verbunden sein, aber meine Aufgabe ist es vor allem, die kuratorischen Anliegen der nächsten documenta möglichst gut zu vermitteln und zu verankern. Wir müssen uns unserer Pflicht zu erklären und dem Recht der Gesellschaft auf Erklärung bewusstwerden. Es gilt jetzt, die Weichen zu stellen, zu überlegen, welche innovativen Konzepte wir integrieren wollen, um Inhalte mit dem Publikum zu teilen, zum Beispiel durch den Ansatz, Kunstvermittler als Freunde oder Diskussionspartner zu begreifen. 738.000 Besucherinnen und Besucher sind toll, aber wir wollen auch international an Strahlkraft gewinnen.
Welche Aufgaben liegen vor Ihnen? Werden Sie, wie im Bucerius Kunst Forum, auch stark inhaltlich einwirken?
Andreas Hoffmann: Im Zentrum steht die Aufarbeitung und Auswertung der documenta fifteen. In wenigen Wochen wird der Abschlussbericht der Expertenkommission unter der Leitung der Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff präsentiert. Dieser ist für uns eine ganz wichtige inhaltliche Guide Line: Wie gehen wir mit der Kunstfreiheit und ihren Grenzen um, wie können wir Standards einführen im Umgang mit jeder Form von gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus? Zugleich werden wir die Organisations- und Gremienstruktur betrachten und überprüfen, um die Rahmenbedingungen der documenta 16, die vom 12. Juni bis zum 19. September 2027 in Kassel stattfinden wird, zu schaffen. Sie werden mich nicht in einer kuratorischen Rolle erleben. Ich definiere meine Rolle bei der documenta ganz klar als Kulturmanager, der ein Ermöglicher ist: Als Kommunikator, Netzwerker und Fundraiser, der strukturell, finanziell und personell dafür sorgen muss, dass die künstlerische Leitung unabhängig, effektiv und ungehindert arbeiten kann.
Wie haben Sie denn die viel diskutierte documenta fifteen wahrgenommen?
Andreas Hoffmann: Für mich war diese documenta unglaublich innovativ. Sie hat Perspektiven gewiesen und unser westliches Bild vom Künstler, der als Genie mit eigener Handschrift arbeitet, auf eine kollektive Ebene geführt. Sie hat dazu angeregt, über kollektive Arbeitsstrukturen im Kulturbereich, über kollektives Produzieren von Kunst nachzudenken. Was deutlich wurde: Auf das Antisemitismus-Problem wurde zu spät reagiert, es wurde nicht optimal kommuniziert und kontextualisiert. Die Fragen, die sich für mich daraus ergeben, sind: Wie können wir mit Antisemitismus und dem BDS umgehen, und wie schaffen wir es, ein kulturelles Verständnis füreinander zu entwickeln und den „Globalen Süden“ und den „Globalen Norden“ in einen Dialog miteinander zu bringen? Ich denke da an Hamburg und die Gastprofessoren an der Hochschule für bildende Künste, Reza Afisina und Iswanto Hartono, an das bevorstehende Symposium „Kontroverse documenta fifteen“. Wir sind da gerade in einer sehr spannenden Phase. Die documenta hatte da -- leider, muss man in diesem Fall sagen – wieder diese Brennglasfunktion, weil sich diese Fragen letztlich für den Kulturbetrieb und die Gesellschaft insgesamt stellen.
Die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth hat als Reaktion auf die documenta fifteen mehr Einflussnahme von staatlicher Seite angekündigt. Wie stehen Sie dazu?
Andreas Hoffmann: Im Aufsichtsrat der documenta war die Kulturstiftung des Bundes bis 2018 mit zwei Sitzen vertreten. Diese sind vakant und ließen sich sofort wieder besetzen. Darüber hinaus gibt es einen engen Austausch mit Claudia Roth und der Stiftung. Grundsätzlich gilt ja, dass wir uns vor Augen führen müssen, dass die Kunstfreiheit in unserer Gesellschaft ein hohes Gut ist. Natürlich nicht grenzenlos, es gibt ja durchaus Rechtsschranken, etwa wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist. Aber erst einmal sollten wir auch nicht vergessen, dass wir in einem Staat leben, in dem im Dritten Reich Berufsverbote für Künstlerinnen und Künstler, „Entartete Kunst“ und Bücherverbrennungen einem vor Augen führen, dass Kunstfreiheit etwas Errungenes ist, das unbedingt gewahrt gehört.
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Welche sind Ihre ganz persönlichen Erlebnisse mit der documenta?
Andreas Hoffmann: Meine erste documenta war die documenta 9 1992, ein Jahr nach meinem Abitur. Das war eine sehr publikumsfreundliche, eventlastige Ausstellung mit großem Rahmenprogramm, Tennis, Baseball, alles Mögliche. Da hatte ich wirklich das Gefühl, Teil einer großen Erlebnisgesellschaft zu sein. Und die zweite Wichtige war documenta 12 von 2007, die sehr stark die Stadtgesellschaft von Kassel mit einbezog und eine frühe Form von Partizipation verfolgte. Und für mich als klassischen Archäologen war die 2017er-documenta 14 spannend mit dem Ableger Athen. Und das zu einer Zeit, als das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland durch die Finanzkrise sehr belastet war. An der Ausstellung insgesamt hat mich immer fasziniert, dass sie anders als etwa die Biennalen, sich unabhängig vom Kunstmarkt und der klassischen Verwertungskette macht, dass sie Grenzen sprengt.
Was wünschen Sie sich für Ihre erste documenta als Geschäftsführer?
Andreas Hoffmann: Die documenta soll mutig bleiben! Ich hoffe, dass sie mit Blick auf die dort verhandelten Themen, auch vielleicht mit Blick auf die Besetzung der künstlerischen Leitung – Leiter, Leiterin, Kollektiv, drittes Geschlecht, alles ist da glaube ich denkbar –, so avantgardistisch bleibt, wie sie es in der Vergangenheit war. Dass sie die wegweisende Rolle, als Ausstellung von weltweiter Bedeutung Dinge zu tun, die sonst nicht gewagt werden, weiterhin einnimmt.