Hamburg. Einige spannende Personalien werden rund um das Hamburger Theater gehandelt. Findungskommission und Kulturbehörde sind nun gefragt.
Was dem Fußball-Fan sein Trainer-Karussell, ist der Gossip-begabten Theaterszene das Spekulieren um die Chefposten der großen deutschsprachigen Bühnen – auch wenn es dort nicht ganz so häufig und deutlich weniger hysterisch zu Umbildungen, Eilmeldungen und Neubesetzungen kommt wie im Profisport.
Und nachdem Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier gerade erst unmissverständlich klargestellt hat, dass sie keinerlei Ambitionen hegt, an die womöglich 2024 frei werdende Spitze des Wiener Burgtheaters zu wechseln, rückt nun die andere große Hamburger Sprechtheaterbühne in den Fokus.
Thalia-Intendant verlässt 2025 das Thalia Theater
Der Vertrag von Joachim Lux, seit 2009 Intendant des Thalia Theaters, läuft bis zum Sommer 2025; wie auch die Hamburgische Staatsoper (die Generalmusikdirektor Kent Nagano und Intendant Georges Delnon ebenfalls 2025 verlassen), braucht das Haus am Alstertor also einen Nachfolger. Oder eine Nachfolgerin. Oder ein Nachfolge-Team.
Nach Abendblatt-Informationen befindet sich die Findungskommission, der unter anderem der Thalia-Schauspieler Julian Greis, die Intendantin der Münchner Kammerspiele, Barbara Mundel, und Wilfried Schulz, Intendant am Düsseldorfer Schauspielhaus, angehören, bei der Kandidatensichtung auf der Zielgeraden. Natürlich muss der Thalia-Aufsichtsrat der Personalie zustimmen und, mehr als eine bloße Formalie, der Senat dem Vertrag.
Kulturbehörde spricht von reiner Spekulation
Beschlossen sei noch nichts, zum jetzigen Zeitpunkt seien alle Namen „reine Spekulation“, so die Kulturbehörde. Christopher Rüping? Der gut vernetzte Regisseur (auch schon „Regisseur des Jahres“) lebt in Hamburg, das Thalia kennt er aus regelmäßigen Arbeiten („Panikherz“, „Brüste und Eier“), zum Theatertreffen wurde er mehrfach eingeladen. Oder der inszenierende Intendant Stefan Bachmann? Dessen Vertrag am Schauspiel Köln läuft noch bis zum Sommer 2026.
Womöglich aber bleibt die Leitung der traditionsreichen Hamburger Bühne gewissermaßen in der Familie. Im Gespräch sind Konstellationen, die jeweils für eine klare Kontinuität stünden: Da wäre zum Beispiel die Regisseurin Jette Steckel (Jahrgang 1982), die am Thalia schon unter Ulrich Khuon inszeniert hat, das Haus und sein Ensemble ausgesprochen gut kennt. Nicht nur mit den kongenialen Adaptionen der Romane von Nino Haratischwili – von „Das achte Leben (Für Brilka)“ bis „Das mangelnde Licht“ – feierte sie in Hamburg beständig große Erfolge. Am Thalia Theater, wo der letzte regieführende Intendant Jürgen Flimm war, könnte sie den Karriereschritt in die künstlerische Gesamtverantwortung wagen.
Thalia Theater: Für eine Kandidatin spricht besonders viel
Denkbar wäre hier eine Teamlösung, wenn Jette Steckel etwa gemeinsam mit der Dramaturgin Nicola Bramkamp anträte, die bis 2018 Schauspieldirektorin am Theater Bonn war und zu den Initiatorinnen und Organisatorinnen der Konferenz „Burning Issues“ für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität am Theater gehört.
Wie viel strukturelle Veränderung, wie viel Wagnis stellt sich Kultursenator Carsten Brosda für die Zukunft des Thalia Theaters mit seiner internationalen Ausrichtung vor? Eine Rolle könnte der am Thalia traditionell wichtige Ensemblegedanke spielen. Dafür stünde auch die als ebenfalls chancenreich geltende Sonja Anders.
Anders kennt das Theater in der Altstadt gut
Anders wurde in Hamburg geboren, hier studierte sie Germanistik, hier war sie zum ersten Mal an Theatern beschäftigt, als Dramaturgin auf Kampnagel und am Schauspielhaus, bevor sie 1993 zu Friedrich Schirmer ans Staatstheater Stuttgart ging. Um 2000 nach Hamburg zurückzukehren – ans Thalia. Unter Intendant Ulrich Khuon war Anders Chefdramaturgin, ihm folgte sie in derselben Funktion ans Deutsche Theater Berlin. Eine Verpflichtung der heute 57-Jährigen wäre eine Rückkehr an ein Haus, das sie bereits sehr gut kennt.
Ein gewichtigeres Argument: Sonja Anders hat Leitungserfahrung. Seit 2019 ist sie Intendantin am Schauspiel Hannover, einem Haus, das ähnlich funktioniert wie das Thalia und das einst auch Khuon als Sprungbrett nach Hamburg nutzte. Seine Tochter Nora Khuon ist heute Anders’ Stellvertreterin. Das Schauspiel Hannover ist kleiner – das Haupthaus fasst 630 Zuschauer, während am Thalia rund 1000 Plätze zur Verfügung stehen.
Nach einem radikalen Kurswechsel sieht es zurzeit nicht aus
Anders zeigt hier solides, aber nicht altbackenes Literaturtheater ohne Hang zu radikalen Experimenten, dafür mit einem guten Gespür für die diverse Stadtgesellschaft. In Hannover inszenieren Regisseure, die man am Thalia kennt: Stephan Kimmig, Anne Lenk, Stefan Pucher. Und die Nähe zu Hamburg zeigt sich an Namen, die in der hiesigen freien Szene aktiv sind, in Hannover aber am Staatstheater arbeiten, darunter Antje Pfundtner und Mable Preach. Geknüpfte Kontakte, die Anders bei einem Wechsel nach Hamburg kaum lösen würde.
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Selbst inszeniert Anders nicht, sie ist ähnlich wie Khuon oder Lux eine Dramaturgie-Intendantin. Das von ihr zusammengestellte Ensemble ist jung, mit Verpflichtungen von zum Beispiel Florence Adjidome, Servan Durmaz und Anja Herden sorgte sie dafür, dass Sprechtheater im 21. Jahrhundert nicht mehr unbedingt weiße Hautfarbe und akzentfreie Sprache bedeuten muss.
Behörde und Findungskommission arbeiten an Nachfolge
Was auch überregionalen Erfolg bedeutete: Mit Lukas Holzhausens Inszenierung von Christian Barons „Ein Mann seiner Klasse“ wurde das Schauspiel Hannover im Sommer zum Berliner Theatertreffen eingeladen, keine Selbstverständlichkeit für ein Haus mittlerer Größe. Das wird auch in Hannover gewürdigt. Im Juli verlängerte die Stadt ihren Vertrag bis 2028, Anders ist also nach heutigem Stand erst einmal nicht verfügbar. Aber Verträge lassen sich durchaus einvernehmlich annullieren.
In Hamburg liegt der Ball nun bei der Findungskommission (und der Kulturbehörde), nach einem radikalen Kurswechsel nach der Ära Lux sieht es am Thalia zurzeit eher nicht aus. Wenn Karin Beier am Schauspielhaus ihre Verlängerungsoptionen zieht, könnten jedoch von 2025 an die beiden großen Hamburger Sprechtheater weiblich geführt werden.