Hamburg. Mehrfach hat unsere Autorin Inszenierungen der Oper gesehen und weiß genau, warum die aktuelle in der Staatsoper so gut ist.
Sie gehört zur Weihnachtszeit wie Adventskalender und Kerzenschein: die Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck. Das Libretto schrieb seine Schwester Adelheid Wette nach dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm. Waren Text und Musik zuerst nur für eine private Aufführung in der Familie geplant, waren der Komponist und seine Librettistin von den Reaktionen so begeistert, dass eine abendfüllende Oper entstand. Zu Recht: Denn in Hamburg steht „Hänsel und Gretel“ seit genau 50 Jahren in der Inszenierung von Peter Beauvais auf dem Spielplan der Staatsoper in Hamburg.
Das musikalische Märchen – am 23. Dezember 1893 in Weimar unter der Leitung von Richard Strauss uraufgeführt – um die Kinder und ihre armen Eltern, den dunklen Wald und die Engel, die böse Hexe und die Erlösung ist nicht nur ein Dauerbrenner an der Dammtorstraße, sondern auch für mich. Zum fünften Mal habe ich „Hänsel und Gretel“ am Dienstag auf der Bühne gesehen.
Bein ersten Besuch der Oper war die Aufregung groß
Zum ersten Mal erlebte ich „Hänsel und Gretel“ als Zehnjährige im Theater meiner Heimatstadt Lübeck. Meine damals beste Freundin und ich durften allein in die Vorstellung. Wir trugen identische Kleider, die meine Mutter genäht hatte, und waren mächtig aufgeregt.
1991 sah ich die Oper unweit vom Trafalgar Square in der English National Opera in London. Nah deren Tradition waren alle Texte auf Englisch, und die Hexe spielte ihren Part selbst für Erwachsene äußerst furchterregend. Hexenhaus und Backofen explodierten am Ende.
Sohn begeistert: "Singen die jetzt etwa die ganze Zeit?"
Im Dezember 1994 schließlich die Inszenierung in der Staatsoper Hamburg. Wir waren mitten in Umzugsvorbereitungen, wollten aber auch unserem damals achtjährigen Sohn Robert seinen ersten Opernbesuch ermöglichen. Der Junge war sehr aufgeregt und wollte unbedingt seine neue helle Wildlederweste anziehen. Vor der Oper gab es noch einen Imbiss in einem Burger-Restaurant damals am Gänsemarkt. Und prompt landete ein satter Klecks Ketchup auf der Weste. Ewige Erinnerung an „Hänsel und Gretel“.
Wir nahmen unsere Plätze im ersten Rang an der Seite ein, der Sohn beobachtete alles sehr aufmerksam. Als Hänsel und Gretel nach der Ouvertüre sich in der Hütte kabbelten, sagte Robert: „Singen die jetzt etwa die ganze Zeit?“ Ja, das taten die Geschwister, die Eltern, das Sandmännchen und die Engel. Und der Sohn war so gebannt und begeistert, dass er in der Pause seinen Sitz nicht verlassen wollte. Selbst die Aussicht auf eine Cola konnte den Jungen nicht ins Foyer locken. Zu groß war die Angst, dass sich jemand anderes auf seinen Platz setzen könnte. Die Nummern auf den Tickets überzeugten den Drittklässler nicht.
Hänsel, Gretel und die Corona-Pandemie
Zu Weihnachten wünschte Robert sich eine CD der Oper. Ich besorgte bei einem Elektronik-Markt am Nedderfeld eine Aufnahme der Wiener Philharmoniker unter Georg Solti von 1981 mit Brigitte Fassbaender als Hänsel, Edita Gruberova als Gretel und Hermann Prey als Vater. Wir haben die Scheibe noch im Schrank.
- Ein etwas zu alberner „Räuber Hotzenplotz“
- Wer folgt auf Joachim Lux – das sind die Favoriten
- Gustav Peter Wöhler – eine Rampensau, die das Herz erwärmt
Vor einem Jahr besuchten mein Mann und ich wieder eine Hamburger Humperdinck-Vorstellung in der Adventszeit. Um der alten Zeiten willen, aber ohne den Sohn. Der lebt und arbeitet in den USA. Und im Dezember 2021 bei meinem vierten Mal war der Genuss etwas getrübt: um uns herum Kinder, die ständig mit den Sitzen klappten, und Großeltern, die die falschen Plätze eingenommen hatten und sich überdies weigerten, gemäß den Corona-Vorschriften Masken zu tragen.
Musik, Sängerinnen, Sänger, Kulissen, Bühnenbild, Kostüme und Atmosphäre begeistern
Und nun also am Dienstag in der Jubiläumsvorstellung mein fünftes Mal „Hänsel und Gretel“: sehr disziplinierte Kinder, viele Ohhs und Ahhs, manchmal Getuschel und häufiges Kichern. Natürlich ist die Geschichte überhaupt nicht mehr politisch korrekt: Kinderarbeit, angesäuselter Vater, verärgerte und schlagende Mutter. Aber Musik, Sängerinnen und Sänger, Kulissen, Bühnenbild, Kostüme und die Atmosphäre begeistern wie eh und je.
Hellen Kwon – früher Gretel, heute Kammersängerin und Hexe – bekommt Szenenapplaus, als sie über die Bühne tanzt und vermeintlich auf dem Besen über die Szenerie schwebt. Obwohl doch Hexen seit Harry Potter ihren Schrecken verloren haben könnten ...
Der Schlussapplaus ist frenetisch, Bravo-Rufe und Gejohle, mindestens fünf Vorhänge. Ich gehe fröhlich gestimmt und mit Vorfreude auf Weihnachten nach Hause.
Im nächsten Jahr „Hänsel und Gretel“ zum sechsten Mal? Sehr gut möglich!
„Hänsel und Gretel“ wieder am 11.12. um 14 und 18 Uhr, Karten: staatsoper-hamburg.de