Hamburg. Lenz-Preisträger Richard Ford stellte beim Festival seinen neuen Roman vor – inklusive ironischem Verweis an die Hamburger.

Es war wirklich ein Zufluchtsort, und insofern passte der abrupt nötige Umzug ins Nachtasyl. Dort wurde, zum Abschluss der heißen Phase des Harbour Front Literaturfestivals, der Debütpreis ebenjener Bücherfestwochen vergeben, die komplett – es folgen noch einige Veranstaltungen bis dahin – erst am 18. November und nach der Lesung des Starautors Ian McEwan beendet sind.

Der mit 10.000 Euro dotierte Debütpreis hieß bis vor Kurzem nach dem wichtigsten Geldgeber des Festivals Klaus-Michael Kühne-Preis. An diesem Wochenende war die Affäre, die zum Namenswechsel führte, immer noch Thema, auch in Gesprächen rund um die Veranstaltungen mit Richard Ford am Freitag- und die mit Rainer Moritz am Sonnabendabend. Aber erfreulicherweise stand allerorten die Literatur im Mittelpunkt.

Harbour Front Festival: Lenz-Preisträger Richard Ford stellt Roman vor

Was für Behzad Karim Khani, den diesjährigen Top-Debütanten, eine gute Nachricht war. Nachdem Festival-Co-Gründer Nikolaus Hansen („Wir fühlen uns den Autoren verpflichtet und machen unser Programm nicht für die Förderer, sondern das Publikum“) und Debütpreis-Juror Felix Bayer vom „Spiegel“ („Es gibt keine Literatur in einem abgeschlossenen Kreis, sie lässt sich nicht getrennt von Gesellschaft denken“) die Kühne-Vorgänge um die NS-Vergangenheit des Unternehmens kursorisch abgehandelt hatten, stand ganz das Siegerbuch im Fokus.

Wobei dann erst richtig auffiel, dass in den vergangenen Jahren, als die Preisverleihung in Klaus-Michael Kühnes Hotel The Fontenay stattfand, der Rahmen gar nicht mal so sehr stimmte. Sponsorengrußworte sind immer dröge, mögen aber noch angehen; dass es diesmal wegfiel, war dennoch kein Verlust. Wo Kühne nicht mehr als Namensgeber auftreten möchte, spendiert er zumindest in diesem Jahr über seine Stiftung noch das Preisgeld, daran sei an dieser Stelle erinnert.

Unfreiwilliges Festival-Update im Nachtasyl

Aber: Das unfreiwillige Festivalpreis-Update im Nachtasyl war vor allem deswegen ein Gewinn, weil anders als vorher zu einer ausführlichen Lesung ein ertragreiches Autorengespräch kam. Mit Festivalleiterin Petra Bamberger erörterte der gebürtige Teheraner und Wahlberliner Behzad Karim Khani („Ich hätte früher lieber 20 Kilogramm mehr Muskeln anstelle meiner Intelligenz gehabt“) die Gewalt der Straße und das Aufwachsen auf harten Pflastern.

In seinem Roman „Hund Wolf Schakal“ geht es um zwei Brüder und ihren Vater, die vor der iranischen Revolution in den Westen fliehen. Karim Khanis Held Saam wird kriminell, und sein Tun und Wesen spielen sich stets vor dem Horizont der Migrationserfahrung ab. Ihm persönlich, tat der Autor kund, war Rapmusik ein Identifikationsmodell, „ich fühlte mich wie die schwarzen Ameri­kaner einer Minderheit zugehörig. Was Selbstbehauptung und unabhängiges Denken angeht, lernte ich viel.“

Richard Ford wiederbelebt Figur Frank Bascombe

Am Freitagabend im Thalia Gaußstraße lernte man vor allem anderen eines oder wurde zumindest daran erinnert: Frank Bascombe wird bald einmal mehr zurück sein! Für einen vierten Roman hat Richard Ford seinen Romanfigurklassiker erneut wiederbelebt, nachdem zuletzt bereits ein Bascombe-Erzählungsband erschienen war. Wie Eingeweihten schon seit 2020 bekannt ist, wird der Roman den Titel „Be Mine“ tragen. Und wird, so erklärte Ford, der Träger des Siegfried Lenz Preises, auf Englisch und wahrscheinlich auch zeitgleich auf Deutsch im Sommer 2023 erscheinen.

Auf dem Harbour Front Festival las Ford den Romananfang. Bascombe macht etwas mit Immobilien in New Orleans, wo er mittlerweile lebt, und im Entrée des neuen Werks hat er mit einer Frau zu tun, die ihm zunächst wie die Wiedergängerin seiner seit Langem toten Mutter vorkommt. „Ich hatte ein bisschen Sorge wegen des Immobilien-Themas“, gestand Ford nach seiner Lesung, „aber jetzt merke ich, dass ihr in Hamburg die komischen Qualitäten des Immobilienmarkts versteht“. Das war ein ironischer Verweis auf die gängigen Preise und zudem eine Äußerung über seine Prosa. Seine ernsten Themen – Krankheit, Tod – kommen mit dem daher, was man sprachmodisch auch hierzulande „comic relief“ nennt.

Das Bascombe-Finale beschloss einen Literaturabend, an dem der 78-Jährige hauptsächlich mit der Journalistin und Autorin Verena Lueken sprach – über sein Schreiben und die USA. In seiner Heimat gebe man „einen Scheiß darauf, was Romanautoren denken“, sagte er einmal.

Dabei hat er sich zuletzt dem Vernehmen nach deswegen seltener zu Wort gemeldet, weil er seinen Bascombe fertig bekommen wollte. „Außerdem ist meine Meinung eh verdächtig, seit ich gesagt habe, dass Trump sowieso nicht gewählt wird“, erklärte Ford, zu dessen bevorzugten rhetorischen Mitteln, wie bei jedem wirklich klugen Menschen, die Selbstironie zählt.

Autor Richard Ford versteht sich als Optimist

Was Amerika und die Spaltung des Landes angeht, habe er Angst, „dass alles noch viel schlimmer wird“. Und trotzdem versteht sich Richard Ford als Optimist: „Ich schreibe immer noch Bücher im Glauben daran, dass es auch nach mir noch Leser gibt, die sie lesen werden.“

Er sprach über seinen „guten Sinn für Humor“, über seine Herangehensweise („Ich schreibe nicht für mich, sondern die Öffentlichkeit, nicht sehr europäisch, ich weiß“) und darüber, dass Leser sich nicht für etwas besseres als Nichtleser halten sollten. Ford sagte also eine Menge richtiger, sympathischer Dinge, als Mann, der weltweit gelesen wird und das für das Wunder von Literatur hält, „man darf das nicht als selbstverständlich nehmen.“

Einen Tag später kam der Autor nicht aus Übersee. Streng beäugt von einem Dutzend hölzerner Meereswesen im Galionsfigurensaal des Altonaer Museums war am Sonnabend – wie Moderatorin Julia Westlake ihren Gast zur Begrüßung würdigte – „die Literaturgalionsfigur Hamburgs“ angetreten, um einen noch druckwarmen Roman vorzustellen, der in klimatisch ausgesprochen behagliche Gefilde führt, nach Südfrankreich in „Das Schloss der Erinnerungen“, irgendwo bei Bayonne und Biarritz. Rainer Moritz, gebürtiger Schwabe und Leiter des Hamburger Literaturhauses, aber auch Übersetzer, Podcaster und selbst Romanautor, hegt nicht nur Sympathien für Schlager, Fußball und die Bücher anderer, sondern hat als frankophiler Schriftsteller einst schon sein Debüt in Paris spielen lassen.

Rainer Moritz stellte seinen Roman im Altonaer Museum vor.
Rainer Moritz stellte seinen Roman im Altonaer Museum vor. © Maike Schiller (FMG)

Harbour Front Festival: Rainer Moritz stellt druckwarmen Roman vor

Ob es das diesmal titelgebende Schloss der darin sinnierenden Madame Ger­maine tatsächlich gibt, verriet Moritz nun zwar nicht auf der Bühne, wohl aber welch entscheidende Rolle der schon recht verfallene Kasten für die Existenz seiner Protagonistin spielt: „Bevor die Figuren da sind, brauche ich einen Ort.“ Ein Palais mit Blick auf die Pyrenäen, vor allem aber ein bestimmtes Zimmer darin, in dem jene hochbetagte ehemalige Schlossherrin Germaine trotzig auf den Tod wartet.

Ohne ihr Gemach je zu verlassen, seit acht Jahren. Erneut hat sich Moritz eine weibliche Hauptfigur gewählt, eine aparte, einigermaßen bockige, vom Leben erschöpfte Witwe, die ihr Anwesen zwar verkauft hat, aber dort Wohnrecht genießt. Sie pflegt die gewohnte Noblesse, schaut heimlich John-Wayne-Western und be­obachtet die Sommergäste, die zu Atemseminaren und anderem Unfug anreisen, den es früher nicht gegeben hätte. Und sie verliert sich in der Vergangenheit.

„Ich wollte mal so einen richtigen Actionthriller schreiben“, witzelte Moritz und hielt die Spannung auch während der Lesung: Verlässt Madame ihr Zimmer, oder nicht? Verraten wurde es nicht, die Reise zum „Schloss der Erinnerungen“, in dieses melancholische, zärtliche und mitunter kuriose Kammerspiel, soll und darf die Leserin selbst unternehmen.