Hamburg. Nach gutem Publikumszuspruch auf Kampnagel hängt das Kulturfestival noch zehn Tage dran – dabei geht es aufs Wasser.

Drei Wochen Internationales Sommerfestival auf Kampnagel sind vorbei. Naja, nicht ganz. Denn das Sommerfestival verlängert tatsächlich um zehn Tage. Vom 29. August bis 7. September steigt auf der Alster das Projekt „Hydrospektive 2022“. Dahinter verbirgt sich ein „Fluides Alster Spectaculum“, bei dem sowohl Aufführende wie Publikum auf Booten aufs Wasser gehen. Mit dabei sind Literat Tino Hanekamp, Musiker Carsten „Erobique“ Meyer oder die Show „Rock & Wrestling“. Die Idee stammt von dem Hamburger Gastronom Alvaro Piña Otey („Carmagnole“) und dem Philosophen Fahim Amir.

Paradiesische Zeiten also für Festival- und Avantgarde-Anhänger. Das Paradies hat ja viele Erscheinungsbilder. Bei der Choreografin Florentina Holzinger ist es vielleicht die absolute diesseitige Freiheit in harmonischer Schwesternschaft. Die derzeit so angesagte wie berüchtigte Choreografin lieferte mit ihrer Version von „A Divine Comedy“ frei nach Dante Alighieri eine fulminante Überwältigung in der letzten großen Premiere auf Kampnagel.

Theater Hamburg: Bisher über 20.000 Tickets verkauft

Festival-Leiter András Siebold konnte relativ nahtlos an Erfolge der Vorpandemie-Zeiten anschließen. 20.000 Tickets wurden bislang verkauft. Zusätzlich kamen 12.000 Besucherinnen und Besucher in den Garten für Lesungen, Konzerte, Performances und in die Ausstellung. Das Programm überzeugte vor allem mit gelungenem Tanz von Oona Doherty, Marrugeku, Jeremy Nedd, Raja Feather Kelly und Florentina Holzinger. Themen wie Einsamkeit und Endlichkeit wurden genauso verhandelt wie Rassismus, Gewalt und Selbstermächtigung. Die detailverliebten Puppen- und Film-Arbeiten von Socalled und Kid Koala lieferten charmante Leichtigkeit.

Die spannungsarmen Performances von Gus Van Sant und Little Annie enttäuschten dagegen. Cuqui Jerez bot die vielleicht größte Publikums-Herausforderung mit einer pseudo-sportiven Theaterverweigerung - aber auch das größte Avantgarde-Potenzial. Und das Back To Back Theatre begeisterte mit einem so intelligenten wie lakonischen Theaterverständnis.

„A Divine Comedy“ war ein fulminanter Bilder- und Klang-Exzess

Auch Florentina Holzinger ist mit ihren Themen auf der Höhe des aktuellen Diskurses um Körperlichkeit, Feminismus und Selbstermächtigung. „A Divine Comedy“ liefert wenig Skandalöses, auch keine Dante-Tiefenauslotung, dafür einen fulminanten Bilder- und Klang-Exzess, performt von einem rein weiblichen, unbekleideten 22-köpfigen Ensemble.

Da setzen vier Tänzerinnen, Holzinger eingeschlossen, zum zehnfach wiederholten 30-Meter-Hürdenlauf an. Anmutige Ballett-Figuren brechen zu lauten Industrial-Klängen in eine Techno-Ekstase aus.

Theater Hamburg: Spätsommer auf der Alster genießen

Als größte Zumutung des Lebens wird allerdings der Tod entlarvt, wenn der schmale Performance-Inhalt vor allem um die bewegende Lebensgeschichte der 81-jährigen früheren Neumeier-Tänzerin Beatrice Cordua kreist. Fröhlich wird eine hohe Leinwand in Action- und Body-Painting-Manier beschmiert, bevor sich die Tanzenden davor in einem schlammigen Farb-Bad wälzen.

Wenn man schon sterben muss, will man davor wenigstens Spaß haben. „A Divine Comedy“ ist am Ende vor allem ein Sieg der Weiblichkeit über alle Widrigkeiten. Und wer jetzt noch nicht Avantgarde gesättigt ist, kann ab sofort den Spätsommer auf der Alster genießen.

„Hydrospektive 2022“ 29.8. bis 7.9., 20.00, Infos unter www.hydrospektive.com