Hamburg. Jupiter, Deutschlands größte kreative Zwischennutzung an der Mönckebergstraße, lockt nur wenig Besucher an.

Von außen scheint das Karstadt-Sport-Haus unverändert: An der glänzenden Fassade wirbt ein gestählter Frauenkörper für eng anliegende Fitnessmode. Oben ist noch das Sicherheitsnetz gespannt, das übermütige Eisläufer vor dem Absturz retten sollte. Doch Glanz und Schwung waren hier lange nicht mehr; den Übergang von Karstadt zu Galeria Kaufhof überlebte die Sportsparte nicht: Im Oktober 2020 wurde das sechsgeschossige Gebäude am Ende der Mönckebergstraße dichtgemacht.

Karstadt-Sport: Kunst als kreative Zwischennutzung

Ein großes Sortiment an Yoga-, Wander- und Ballsportartikeln, und doch war offenbar selten die passende Größe, die richtige Farbe für das vom Onlinehandel verwöhnte Publikum da. Karstadt Sport steuerte man kaum mehr gezielt an, man stolperte eher hinein, wenn man in der Innenstadt zufällig vorbeikam.

Knapp zwei Jahre später muss man sich immer noch daran gewöhnen, dass die Kaufhausriesen längst leer stehen – und so bald wohl nicht wiederbelebt werden. Diese Ära scheint unwiederbringlich vorbei. Und so treibt einen die Neugier nun ganz zielgerichtet an die Mö 2–4, schließlich hatte Kultursenator Carsten Brosda hier vor Kurzem euphorisch „Deutschlands größte kreative Zwischennutzung“ eröffnet.

Bis Ende des Jahres stehen nun hier, in der Größe von fast 40 Tennisplätzen, freie Flächen für 1,50 Euro pro Quadratmeter für lokale und internationale Künstlerinnen und Künstler, Galerien, kulturelle In­stitutionen, Ateliers und Co-Working-Spaces zur Verfügung.

Kunst im Karstadt Sport: Die Kultur wirft sich einem nicht an den Hals

Auf einem schwarzen Banner an der Fensterfront wird für den „Raum für kreative Zwischennutzung“ geworben. Dieses Beamten-Bonmot, das so angestrengt nach Vermeidung englischer Modewörter klingt, wird ergänzt durch recht schmucklose Aufsteller am Eingang, die den Weg ins Jupiter, so der augenzwinkernd auf das gegenüberliegende Kaufhaus Saturn gemünzte Name für das gesamte Gebäude, weisen.

Die Kultur, man muss sie schon suchen und finden, sie wirft sich einem nicht an den Hals, nicht hier in der von Baustellen und Corona gebeutelten Einkaufsstraße. Dass die beiden freundlichen Herren vom Wachdienst die nahezu letzten menschlichen Kontakte an diesem Mittwochvormittag in der neuen Kulturstätte sein werden, kommt dann auch doch überraschend.

Fast wünscht man sich auch eine Übersichtstafel wieder zurück

Der erste Eindruck im Erdgeschoss, das das Deutsche Museum mit Exponaten aus der Popindustrie unter dem Titel „Schwarze Unterhaltung“ im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel bespielt, ist: Leere. Unbelebte Leere. Bewegung und Geräusch erzeugen einzig die hinauf und hinunter fahrenden Rolltreppen (eine davon ist defekt, also ganz wie zu Kaufhauszeiten).

„Ehrenamt“, eine Fotografie von ­Frederika Hoffmann
„Ehrenamt“, eine Fotografie von ­Frederika Hoffmann © Frederika Hoffmann | Frederika Hoffmann

Fast wünscht man sich auch eine Übersichtstafel wieder zurück, die erklärt, wo die Affenfaust Galerie zu finden ist oder auf welchem Stockwerk sich die Hochschule für bildende Künste Hamburg präsentiert – eben die Akteure, die die Website der Hamburg Kreativ Gesellschaft, die für die Vermietung zuständig ist, auflistet. Orientierung Fehlanzeige. Schließlich ist das Erdgeschoss eine Performance, in die es nicht einzugreifen gilt.

Ausstellung „Hamburger Lichtblicke“: kleine Bildserien

Das Ziel ist aber zunächst, die Ausstellung „Hamburger Lichtblicke“ zu entdecken. Also, auf in die zweite Etage (vorbei an einem Sammelsurium kreischend-bunter Bilder, die von einem tatsächlich anwesenden Mitarbeiter der Hamburger Kunstgalerie beworben werden – das Publikum allerdings sucht man vergeblich). 13 Hamburger Fotografinnen und Fotografen des Verbands Freelens haben für die „Lichtblicke“-Ausstellung aktuelle Arbeiten und kleine Bildserien zusammengetragen.

Peter Bruns’ großformatige Porträts von der Inklusiven Theatergruppe Eisenhans sind auf große Banner gezogen und hängen mitten im Raum, ebenso die ästhetischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Sibylle Zettler von jungen Hamburgerinnen und Hamburgern gemacht hat, die sich neben Schule und Ausbildung sozial engagieren („Committed Youth“). Valeska Achenbach hat die Menschen fotografiert, die sie am meisten beeindrucken, darunter den Maler Johannes Duwe und die Tänzerin und Pianistin Emma Straton.

Bemerkenswert ist die originalgetreue Kulisse aus Kassentresen, Garderobenschildern und Regalen, die statt T-Shirts und Turnschuhen nun eben Kunst feilbieten. Sebastian Lux, Geschäftsführer der Stiftung Gundlach, hat die „Lichtblicke“-Ausstellung kuratiert. „Ich finde die Idee, Kunst in einem ehemaligen Kaufhaus zu präsentieren, toll. Deshalb habe ich die Freelens-Anfrage auch sofort zugesagt. Ich fühlte mich daran erinnert, wie wir die Fotografien von F. C. Gundlach einst im Berliner Quartier 206 gehängt hatten. Das war ein spannender Dialog zwischen Kunst und tatsächlich dort verkaufter Mode.“ Allerdings dürfte die Atmosphäre damals, im belebten Quartier 206, eine gänzlich andere gewesen sein. So gelungen die Hängung der Ausstellung ist, fehlt ihr das Publikum, fehlen die Menschen, die von der Kunst erzählen und sich über sie austauschen.

Im dritten Stock residiert die „Artstadt“

Im dritten Stock residiert schon mal die ästhetisch ganz pfiffig an Karstadt-Logo und -Namen angelehnte „Artstadt“ mit dem Zentrum für Zukunft; dort werden Ideen für die Stadtentwicklung von morgen gezeigt. Darüber wird die Fläche theoretisch von Fab City Hamburg e. V., einer Initiative für neue digitale Fertigungstechniken, genutzt. Allerdings ist davon bislang kaum etwas zu sehen. Im Pop-up-Café im fünften Obergeschoss, das auch die Dachterrasse zum Teil mit nutzt, ist zumindest an den Wochenenden was los.

„Wir hätten uns gewünscht, dass die Akteure früher an den Start gehen und auf ihren Flächen präsenter sind“, sagt Jean Rehders von der Hamburg Kreativ Gesellschaft. „Da ist definitiv noch Luft nach oben.“ Auch, was die Führung durch die einzelnen Ausstellungen angehe. „Aber wir können als Vermieter nur kommunikativ einwirken.“ Für September plant die Gesellschaft etwa eine Plakatkampagne, die die Aufmerksamkeit auf Jupiter stärker lenkt. „Schließlich wollen wir den Leerstand in der Innenstadt vermeiden und den dortigen Akteuren Sichtbarkeit verschaffen.“ Auch von außen soll deutlich erkennbarer werden, dass hier nun Kunst erlebbar ist. Ebenfalls ab September wird auf der Website ein Veranstaltungskalender veröffentlicht werden.

Paper positions hamburg könnte ein Lichtblick werden

Im Rücken der Kunstmeile, vis-à-vis der Banksy-Ausstellung im ehemaligen Galeria Kaufhof, sogar in Bahnhofsnähe, liegt eine 8000 Quadratmeter große Kulturfläche quasi brach – und teilt somit dasselbe Schicksal wie die großen Kaufhäuser. Was es unbedingt braucht, um Menschen in diese besondere Location zu locken, ist lebendiges Bespielen und Erleben.

Dass das mehr Personal und Engagement als nur Security bedarf, ist klar. Ein wirklicher Lichtblick könnte die paper positions hamburg werden, die vom 29. September bis 2. Oktober in die Mönckebergstraße kommt. Die Zeitfenster-Tickets für die Premiere der Messe für zeitgenössische Kunst auf Papier 2021 im Brandshof waren komplett ausverkauft. Solch einen Erfolg könnte Jupiter gut gebrauchen.

Jupiter, Mönckebergstraße 2–4 (U Mönckebergstraße), Di-So 15.00–23.00
„Hamburger Lichtblicke“
bis 24.9., Eintritt frei, www.kreativgesellschaft.org