Hamburg. Ehrengast Navid Kermani warnte in seinem Eröffnungsvortrag, das “Hamburger Beispiel“ möge keine Schule machen.
Die Macher des Harbour Front Literaturfestivals haben sich für ihre Eröffnungsabende spätestens, seit die in der Elbphilharmonie stattfinden, immer mal wieder etwas einfallen lassen. Meist war dies durch das jeweilige Programm und seine Schwerpunkte gedeckt, manchmal auch nicht. Wie im Falle des Auftritt des Bäumeverstehers Peter Wohlleben, der einst erdige Flora-und-Fauna-Aromen in jenen Ort der Hochkultur brachte. Manche Besucher sollen darob noch heute verstört sein.
Am Mittwochabend, zum Startschuss der zwölften Ausgabe, war nun Navid Kermani zu Gast. Und auch er hatte etwas mitgebracht, was manches gemäßigt schlagende Herz aus dem Takt brachte: die harten Gitarrenriffs von Neil Young und Crazy Horse nämlich.
Lisa Eckhart und kein Ende: Auch Navid Kermani mahnt
Dass dies eine ganz vorzügliche Idee der Festivalplaner war, die in mancherlei Hinsicht aufging – dazu später mehr. Zunächst muss auf die metaphorische Ebene eingegangen werden, die Kermanis lauter und im Grunde gerade deswegen beglückender Young-Vortrag hatte. Das Festival kooperiert in diesem Jahr erstmals mit der Elbphilharmonie und verquickt in einer Art Festival im Festival („Harbour Front Sounds“) die Disziplinen Literatur und Musik. Weshalb dann also mit einigem Recht bereits am Kick-off-Abend so viel Akkordwumms aus den Boxen dröhnte.
Und das erstemal genau dann, als Kermani, der Friedenspreisträger und Vorzeigeintellektuelle, gerade vor seiner eigentlichen Lesung eine Erklärung verlesen hatte, die es in sich hatte. Man dachte ja, zur Causa Eckhart sei inzwischen wirklich alles gesagt. Weit gefehlt. Kermani adressierte in seinen eindringlichen Worten zur Festival-Ausladung der Kabarettistin und Autorin Lisa Eckhart („Wenn dieses Hamburger Beispiel Schule macht, man mag es sich kaum ausmalen“) die beiden bisher öffentlich nicht in dieser Sache in Erscheinung getretenen Autoren direkt, die mit ihrer Weigerung, gemeinsam mit Eckhart aufzutreten, auch dafür gesorgt hatten, dass diese nun nicht zum Festival kommt.
Neil Youngs Feedbackorgie als Echo – und als Überleitung
Es sei, so Kermani, „eine Selbstgerechtigkeit und Unhöflichkeit, eine Kollegin, die einem missfällt, anonym davonjagen zu wollen“. Die Bühne sei ein öffentlicher Raum, der auch Lisa Eckhart gehöre, auch wenn man deren Bühnenprogramme nicht möge. „Es geht in der Sache um mehr als einen missratenen Kabarettauftritt; ich erschrecke, wenn wir anfangen, uns gegenseitig zu verbieten“, sagte Kermani, der darauf verwies, dass man in einem gemeinsamen Auftritt Eckhart hätte konfrontieren oder distanzieren können – „vielleicht auch nur mimisch“. Dass die Festivalleitung die Forderung der Autoren nachgekommen sei, werfe einen Schatten auch auf seinen Auftritt an diesem Abend.
Die nach dieser Erklärung eingespielte Feedbackorgie des Gitarrenberserkers Young mochte das Echo spiegeln, das es auf die Eckhart-Ausladung inklusive Aushebelung der künstlerischen Freiheit gegeben hatte. Vor allem aber war sie der Beginn des künstlerischen Teil des Abends, der weg vom Skandal und hin zur Liaison von Wörtern und Klängen führte.
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Kermanis bereits 2002 erschienenes Buch „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ ist immer noch vielleicht sein bestes, und wie Musik einen beseelen kann, das führte der 52-Jährige auf der Bühne vor. Der „Zustand der gefühllosen Empfindungen“ sei der entspannteste, sagte Kermani einmal. Er meinte damit den Schlaf, in den er verfiel, als er einst ausgerechnet Youngs härteste Klangcollage „Arc“ hörte.
Harbour Front: Corona macht die "finanzielle Frage um ein vielfaches existenzieller"
Zum Einschlafen war an diesem Festivaleröffnungsabend übrigens gar nichts. Nicht das wie gewohnt formulierfreudige Grußwort Carsten Brosdas, nicht die emphatische Begrüßung durch Festivalmacherin Petra Bamberger. Dieser nahm man die Erleichterung („Es war nicht leicht, aber wir haben es geschafft“) über das tatsächliche Stattfinden des Corona- und auch anderweitig gebeutelten Lesefests ab.
Bamberger, seit zwei Jahren im Organisationsteam, sprach nur indirekt den drohenden Verlust der Hauptsponsors an, der Klaus-Michael Kühne-Stiftung; durch die Pandemie-Einschränkungen, so Bamberger, wurde „die finanzielle Frage um ein vielfaches existentieller und bedrohlicher, als sie es sowieso schon für uns ist“.
"Die Stadt war an unserer Seite und hat das Festival gerettet"
An dieser Stelle war es Zeit, derjenigen zu danken, die am Ende dafür verantwortlich war, dass Harbour Front nun, wenn auch in abgespeckter Form, bis zum 18. Oktober sein Programm aufnehmen kann. Es war die Stadt. Ohne diese läuft in diesen heiklen Zeiten in der Kultur insgesamt nicht viel. Es ist die öffentliche Hand, die für die Künste und also auch die Literatur einsteht. Viel Geld ging also aus dem Corona-Hilfsfonds an Harbour Front. „Die Stadt war an unserer Seite und hat das Festival gerettet“, sagte Bamberger.
Und nicht nur deswegen durfte sich diese Stadt in Person von deren Kultursenator („Wir schädigen uns selbst, wenn wir nicht mehr debattieren, wer Recht und wer Unrecht hat, sondern nur noch, wer das Recht besitzt, etwas zu sagen“) dann auch die Freiheit nehmen, sich nicht nur grundsätzlich über eine stets empörungsbereite Gesellschaft auszulassen, die Debatten und Verständigung mit Andersdenkenden scheut und nur noch in der eigenen Blase lebt.
Auch der Kultursenator greift das Thema Lisa Eckhart auf
Über diese Diagnose, die er auch andernorts schon angesprochen hat, kam Carsten Brosda dann auf die zugespitzte Situation in Hamburg zu sprechen, ohne Lisa Eckhart namentlich zu nennen. Es sei unerträglich, sagte Brosda, „dass Empörungswellen über unsere Bühnen schwappen und Auftritte verhindert werden sollen. Genauso unerträglich ist es aber auch, wenn vorschnell aus Angst vor solchen Wellen die Programme geändert werden“. Über Bühnenauftritte lasse sich streiten, „am besten mit den Autoren selbst“. Er hoffe, dass „die Hamburger Veranstalter künftig einen kühlen Kopf bewahren und dafür sorgen, dass auf ihren Veranstaltungen statt Empörung Debatte entstehen kann“.
Diese Kritik mussten die Festivalmacher dann also noch einmal aushalten. Aber es war auch an Brosda, ihnen zu danken. Dafür, dass sie aufgrund der widrigen Bedingungen nicht kapituliert haben und es geschafft haben, dass Kultur wieder live stattfindet.
Zum Abschluss des Anfangs: Musik!
Am Ende trafen sich die Redner themengerecht bei der Musik. Festivalleiterin Bamberger zitierte Bruce Springsteens „Thunder Road“, auf der sich Corona-bedingt auch alle Kulturveranstalter befänden. Brosda erinnerte an einen gemeinsamen Auftritt Neil Youngs und Bob Dylans vor etlichen Jahren auf der Trabrennbahn und die Magie, die damals, völlig ohne Abstand, zwischen den Musikern und zwischen diesen und dem Publikum entstand.
Dieses gemeinsame Erleben und Begegnen im Raum, sagte Brosda, „das den künstlerischen Schaffensprozess vollendet, erscheint uns heute so fern – es ist so kostbar geworden“.