Hamburg. Der Hamburger Schriftsteller hat zwei Gedichtbände herausgebracht – einen für Kinder, einen für Jugendlich.

Zuletzt war der famose Hamburger Jugendbuchautor Nils Mohl vor allem mit Kinoarbeit befasst: Er schrieb die Drehbücher für die Verfilmung seines Romans „Es war einmal Indianerland“ und für den Film „Es gilt das gesprochene Wort“. Nun legt er zwei Bücher mit Gedichten vor – „Tänze der Untertanen“ und „König der Kinder“. Das Abendblatt sprach mit dem 49-Jährigen über seine Lyrikoffensive.

Sie haben bisher vor allem Jugendromane verfasst. Nun veröffentlichen Sie gleich zwei Gedichtbände. Wie kam es dazu?

Gedichtet habe ich schon immer. Mehr oder weniger nur für mich. Zum Spaß. Oft auch mit Hang zum Reim. Zum modernen Hardcore-Lyriker hätte ich es wahrscheinlich nie gebracht. Ein Gedichtband schien mir deshalb immer weit weg. Aber dann starb mein Vater, und ich habe nach einem Weg gesucht, mit meiner Trauer umzugehen. Dabei bin ich dann auf alte Gedichte gestoßen und plötzlich ging’s los. Man muss dazu wissen: Mein Vater hat Kinderliteratur, Reime und Volkslieder furchtbar geliebt.

Ein Band richtet sich an Kinder, einer an Jugendliche. Was muss der Dichter beachten, um die Zielgruppe zu erreichen?

Die Kinder brauchen traditionell Tiere, die auch nur Menschen sind. Und Abenteuer mit zum Beispiel Piraten und Vulkanerfindern. Jugendliche erreicht man vermutlich eher, wenn man ihnen etwas bieten kann, das unkonventioneller ist. Aber so didaktisch gehe ich an die Sache gar nicht heran. Erst einmal will ich vor allem meinen eigenen Spaß haben – und hinterher sortiere ich das. Oder entdecke eine Spur. So wie hier. Ich wusste bald, es kann sich hier nur um ein Buch-Zwillingspärchen handeln, das auf ganz eigene Art miteinander kommuniziert.

Gedichte erzählen oft keine Geschichten. Das dürfte Kinder stören. Gedichte sind Unterrichtsstoff. Das dürfte Jugendliche stören. Eigentlich haben Sie sich ganz schön was vorgenommen.

Na, Gedichte erzählen doch sehr oft kleine Geschichten. Oder sie triggern zumindest Geschichten, die sich im Kopf der Lesenden ein Eigenleben entwickeln und sich entfalten wie der Brühwürfel im kochenden Wasser. Kinder lieben das. Und Jugendliche vergöttern ja die Dichter. „Ihre“ Poeten auf alle Fälle. Nämlich die von den selbst erstellten Playlists. Ist doch schon immer so gewesen: Popstars reimen und alliterieren und neologisieren und sprachspielen doch wie die kleinen Wortgroßmeister. Die Sache scheint also nicht völlig hoffnungslos.

Welches Leserfeedback gibt es schon?

Eine Journalistin rief neulich an und erzählte, dass ihr 5-jähriger Sohn eins der Gedichte einfach so auswendig gelernt habe, weil ihm das so gut gefiel. Und solche Geschichten habe ich jetzt schon ein paar Mal gehört. Überhaupt scheinen Rezensenten die beiden Bücher zu lieben, nicht zuletzt den Band für die etwas Älteren. Bei meinen Romanen habe ich nie etwas Vergleichbares erlebt. Kürze gilt wohl tendenziell immer und überall als sehr sexy.

Ich tippe mal, Reime sind unerlässlich, gerade bei Kindern. Freie Rhythmen und Experimentelles dagegen eher verzichtbar. Lautmalerei findet sich ja bei den Kindergedichten, und wie finden Sie konkrete Poesie?

Gehört auch zum Repertoire eines Kunsthandwerkers wie mich. Wobei, Gedichte sind als Objekte im gedruckten Buch sowieso stets kleine, grafische Kunstwerke. Und das mochte ich schon immer daran. Ein gutes Gedicht sieht einfach ganz konkret toll aus.

„40 Gedichte für Jugendliche und alle anderen mit Lust auf Langohrenbashing, Schüttelreime, ein pornographisches Haiku und scharfsinnig illustrierte Lyrik. Pornographie, wirklich?

Klar. Natürlich nicht da, wo’s draufsteht. Aber Poesie ist ja ohnehin viel Seelenpornographie.

„Und alle anderen“ – so heißt es auch auf dem Einband des Kinder-Bandes im Hinblick auf das potenzielle Publikum. Dem stimme ich zu. Eigentlich kann jeder Spaß an den Gedichten haben. Und insbesondere die Jugendgedichte, das ist nicht anders als bei den Jugendromanen, treffen auch den Erfahrungshorizont des Erwachsenen. Die meinen Sie also auch ganz explizit?

Ein Freund von mir sagt gerne, wenn er Pommes isst: „… für den Kindergaumen“. Wir bleiben eben alle auch ein Stück Kind und Teenager, egal, was das Äußere erzählt. Und beim Schreiben dachte ich tatsächlich ein paar Mal: Kindergedichte sind quasi der Punkrock der Literatur. Drei Reime, zack, fertig. Großer Spaß. Aber ganz automatisch entdeckt man so wiederum auch Dinge, die lassen sich auf die Art nicht verarbeiten. Die brauchen eine andere Form, und die machen dann anders Spaß. So oder so: Das unterscheidet dann am Ende das Gedicht vielleicht auch vom Witz: Es besitzt meist mehr als nur eine Pointe. Bestenfalls lassen sich deshalb in der Lyrik stets mehrere Ebenen und Lesarten ausfindig machen. Und das wiederum kann ganz unterschiedliche Publikumsgruppen ansprechen, auch gleichzeitig, klar.

Geht ja gleich so los: „Ein astreiner Spruch für Transparente/Weil DIE Antwort auf kluge Argumente/Etwas für ganz besondere Momente/Obwohl man’s quasi immer sagen könnte/Ok — hier kommt’s: HINTEN KACKT DIE ENTE!“ Zeitlos! Damit kann man auch gut auf Lesereise gehen. Oder?

Korrekt. Näher komme ich dem Rockstartum bestimmt nicht mehr. Ich mache mir vor Lesungen jetzt tatsächlich Setlists für die Auftritte. Total geil. Es gibt außerdem interaktive Parts, bei denen das Publikum dichtet. Und Gäste. Zumindest per Videoeinspielung. Einige Schauspieler wie Bjarne Mädel, Leon Ullrich, Johanna Polley, Luca Lehnert, Godehard Giese und Johannes Klaußner haben mir Gedichtclips aufgenommen. Wer mag, kann sich das auch auf YouTube angucken … Kurz: Gedichtlesungen machen total Laune.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Illustratorin Katharina Greve?

In den 1980er-Jahren erschien eine Zeitlang am Gymnasium Marienthal in Hamburgs Osten eine Schülerzeitung namens Marienthal live. Ich hatte das Vergnügen, als Redakteur zum Beispiel das Horoskop beisteuern zu dürfen und die Pubertäts-Beratungs-Seite „Dr. Winter“. Und Katharina, damals meine Klassenkameradin, hat beides grandios illustriert. Dann wurde sie eine der besten Comiczeichnerinnen und Cartoonistinnen des Landes. Zum Glück kannte ich ihre Telefonnummer – und sie konnte sich noch an mich erinnern. Und hatte außerdem Lust auf dieses Projekt. Und genügend Idealismus. Ist ja nicht gerade ein lukrativer Job. Aber was für ein Ergebnis: Wirklich jede ihrer Illustrationen hat einen ganz besonderen Schauwert und intensiviert das Leseerlebnis noch mal. Das liegt nicht zuletzt an Katharinas ziemlich einzigartigem, ziemlich feinsinnigem Witz.

Der Kinder-Band „König der Kinder“ ist dem „Ungekrönten König der Kinder“ gewidmet, ihrem unlängst gestorbenen Vater. Warum war der König der Kinder?

Er war einer dieser raren Erwachsenen, die einen besonderen Draht zu Kindern und ihrer Welt haben. Ein paar Steine, ein Stock oder eine Feder, mit dem man Striche in den Sand zeichnen konnte – mehr brauchte er nicht, um sich für Kinder die tollsten Dinge und Spiele auszudenken. Und er wurde auch nie müde, sich über Stunden mit ihnen zu beschäftigen. Das Lustige war: Er war 1,93 groß. Und eben oft umringt von einem ganzen Haufen kleiner Menschen. Ein echter Märchenriese.

Inwiefern hat er Sie geprägt?

Mein Vater wäre wahnsinnig gerne Lehrer geworden. Nach der Volksschule musste er aber gleich mit der Ausbildung anfangen und hat sich dann mühsam nebenher in der Abendschule Abschluss um Abschluss erkämpft. Kurz vorm Abitur kam dann aber meine Geburt dazwischen. Damit hat er seine Berufswünsche zu Gunsten der Familie aufgegeben. Umso wichtiger war ihm immer, dass seine Kinder, meine Schwester und ich, uns unsere Lebensträume erfüllen können. Und dafür hat er uns eine Menge mitgegeben. Nicht zuletzt den Spaß am Lesen, Erzählen, Lernen und Neugierigsein.

War er stolz auf Sie, den vielfach ausgezeichneten Jugendbuchautor?

Ich glaube, er hat sich vor allem immer gefreut, wenn ich glücklich war und wenn das Leben mir Wünsche erfüllt hat. Auszeichnungen sind schön für die Eitelkeit, aber vor allem wichtig, um überhaupt weitermachen zu können. Das hat mein Vater auch gewusst. Wirklich stolz war er vor allem darauf, nehme ich an, dass es seinen Kindern gelungen ist, selbst Familien zu gründen und sich mit den Partnern als Eltern ganz wacker zu schlagen.

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  • Haben Sie den Eindruck, mit Ihrem Tun etwas für die Lesebegeisterung von Jugendlichen zu tun? Wie beurteilen Sie, was das angeht, die Gesamtlage?

    Es gibt viele Wege zur Glückseligkeit. Und man kann bestimmt auch ohne Bücher über die Runden kommen. Aber ohne die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, wird’s wirklich eng. Auf Dauer kommt man ohne das Erzählen nicht weiter, keine Chance. Jeder Mensch braucht eine Geschichte. Beim ersten Date genauso wie beim Vorstellungsgespräch. Deswegen glaube ich ja, um unter Jugendlichen echte Lesebegeisterung zu schüren, müsste man an den Schulen und anderswo mehr schreiben. Viel, viel mehr. Und zwar keine drögen Analysen nach Schema F. Sondern kreativ. Und das am besten unter Anleitung von Leuten, die wirklich etwas davon verstehen. Das Lesen käme dann hundertprozentig von ganz allein. Insofern frage ich mich selten, wenn ich mit jungen Menschen zu tun habe, ob mein Job Sinn hat. Als Botschafter meiner Texte bin ich sozusagen ein wandelndes Angebot. Sicher austauschbar, aber auch nicht das schlechteste.