Hamburg. Diesmal im Debütantensalon unter anderem: Die Hamburger Schriftsteller Daniel Mellem und Verena Keßler.
Schon einmal von Hermann Oberth gehört? Sollten Sie nicht zufällig Naturwissenschaftler sein, wahrscheinlich nicht. Oberth (1894–1989) ist einer der ersten Träumer der Rakete und der Raumfahrt. Ein „Raketenpionier“ und Grundlagenforscher, der 1923 mit seinem Werk „Die Rakete zu den Planetenräumen“ eine der Schriften vorlegte, die Legendenstatus zementieren. Aber damals war der aus Siebenbürgen stammende überzeugte Volksdeutsche der Kategorie „verkanntes Genie“ zugehörig.
Er machte erfolglos Raketentests, er war ein Wissenschaftsaußenseiter – und er stand im Dienste der Nazis. Er war der Entdecker Wernher von Brauns, der revanchierte sich Jahrzehnte später. Bzw. sorgte er dafür, dass Oberth mit seinem Wissen nicht zum „Feind“ ging. Oberth, der 1961 das Bundesverdienstkreuz erhielt, führte ein Leben mit vielen Brüchen – und von diesem Leben erzählt der Hamburger Daniel Mellem, ein promovierter Physiker, nun in seinem fesselnden Romandebüt „Die Erfindung des Countdowns“ (dtv, erscheint am 15.9.).
Klug gebautes Buch
Weil Mellem am Literaturinstitut in Leipzig war, weiß er, wie man einen mehrere Jahrzehnte umspannenden, dem realen Leben folgenden fiktiven Roman konstruiert. Oberths Leben, zu dem unter anderem die beratende Tätigkeit bei einem Film Fritz Langs („Frau im Mond“) und ein spätes USA-Kapitel (wieder mit Wernher von Braun), aber auch eine fragmentierte familiäre Ebene gehören, entblättert sich in Mellems klug gebautem, psychologisch nachvollziehbarem Buch als Biografie einer rastlosen und sturen Sehnsucht.
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Wie Mellem ist auch die in Hamburg geborene Verena Keßler mit ihrem Debüt für den Klaus-Michael Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals nominiert. Keßler besuchte ebenfalls das Leipziger Literaturinstitut. „Die Gespenster von Demmin“ (Hanser) ist ein klassischer Entwicklungsroman und folgt der 15-jährigen Larry, die am Rande Mecklenburg-Vorpommerns als Tochter einer alleinerziehenden Mutter aufwächst. Der von der Familie getrennt lebende Vater fährt Lkw und ist selten da. Es gibt ein familiäres Trauma, und in diesem spiegelt sich das kollektive Trauma des Handlungsortes: In Demmin fand 1945 ein Massensuizid statt. An die 1000 Bewohner und Flüchtlinge brachten sich beim Einmarsch der Roten Armee um.
Dramatische Stunden
Im Roman ist es die Nachbarin, die sich an die dramatischen Stunden von einst erinnert, als sich Hunderte im Fluss ersäuften. Keßler montiert die beiden Stränge geschickt aneinander, aber die Geschichte Larrys, die ihre Teenagereinsamkeit und Isoliertheit angesichts der Neu-Verpartnerungsversuche der Mutter mit handfesten Träumen von einer Karriere als Kriegsreporterin kompensiert, ist eigentlich allein stark genug für diesen Roman. Jugendliche Heldinnen, die an Wendepunkten im Leben stehen oder erste Krisen (Freundschaft, Liebe) erleben: kein seltenes Sujet für einen Erstling. Keßler nimmt die Hürde des Gewöhnlichen mit Bravour. Larry ist mit ihrem Trotz und Jungfrauenwitz eine Figur, mit der man sich identifiziert, und ihre Erfinderin ist gut darin, Alltagsszenen zu Papier zu bringen.
Debütantensalon mit Verena Keßler und Daniel Mellem, 11.9., 19.00, Zentralbibliothek