Hamburg. Nach seinem ersten Buch legt Carsten Brosda „Die Kunst der Demokratie“ vor. Ein Plädoyer für Zusammenhalt und Zusammenhang.
„Wir müssen über Kultur reden.“ Dass ein amtierender Kultursenator zu diesem Schluss kommt, ist zunächst wenig erstaunlich. Außer dass man ihm – weil er es qua Amt ja ohnehin dauernd tut, das Sprechen über die Kultur, in Grußworten, Reden, Interviews – den Wunsch durchaus nachsehen würde, mal über ein anderes Thema zu plaudern. Tomatenzucht. Guerilla-Stricken. Sowas.
Aber ums Plaudern geht es hier nicht mehr, und dass Carsten Brosda seinen Urlaub zum Stricken nutzen würde, ist unwahrscheinlich. Nach den Sommerferien erschien sein erstes Buch, „Die Zerstörung“, im Hamburger Hoffmann und Campe Verlag, kein halbes Jahr später legt er nun bereits nach. „Die Kunst der Demokratie“ heißt sein neues Werk, und es liegt ihm am Herzen.
Dies sei „das eigentliche Buch“, sagt er, wenn man ihn auf sein Autorenpensum anspricht, das andere sei bloß „dazwischen gerutscht“. Die Reihenfolge allerdings scheint zwingend: Nach der „Zerstörung“ folgt der Aufbau, so könnte man es lesen, sogar ein Ziegelstein ist auf dem Bucheinband zu sehen, der Stein des Anstoßes, doch dazu später. Reden wir also über Kultur – weil, wie Brosda auf rund 250 Seiten nachvollziehbar erläutert, über die Kultur zu sprechen bedeutet, Grundsätzliches zu erörtern.
Direkt zum Einstieg ein Zitat von Willy Brandt
Wie es sich für einen anständigen Sozialdemokraten gehört, zitiert er dabei direkt zum Einstieg Willy Brandt: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.“ Heißt: Die Werte und Normen einer offenen Gesellschaft müssen beständig neu verhandelt, neu verteidigt, begründet und gesichert werden. Und die Kultur, glaubt Brosda, sei dabei das entscheidende Spielfeld.
Ohne in Alarmismus zu verfallen – der grundsätzliche Ton des Buches ist zuversichtlich, die Haltung des Autors optimistisch, manchmal trotzig – beschreibt Brosda den Status quo als durchaus dramatisch: das „Erstarken einer gesellschaftlichen Bewegung, die sich gegen Offenheit, Vielfalt und Freiheit richtet und die damit in letzter Konsequenz einen kulturellen Kampf heraufbeschwört“, den „vom rechten Rand aus angezettelten Kulturkampf“, der die offene Gesellschaft „ins Mark“ treffe.
Während er sich in „Die Zerstörung“ – Bezug nehmend auf das Video des YouTubers Rezo – vor allem um die Volksparteien sorgt, ist das Themenfeld diesmal weiter gefasst. Brosda beschäftigt sich sowohl mit der Rolle der Kunst in einer Demokratie als auch mit der diffizilen Aufgabe, eine Demokratie zu gestalten. Es geht, ganz wie die Maxime der noch laufenden Lessingtage am Thalia Theater, um nicht weniger als um alles in der Welt.
Zusammehalt und Zusammenhang – wiederkehrende Kernbegriffe
Zusammenhalt und Zusammenhang sind dabei immer wiederkehrende Kernbegriffe. Die Kultur sieht Carsten Brosda hier in einer zentralen Rolle, auch wenn das Bewusstsein für die weltverändernde Kraft der Kunst viel zu oft „bedauerlich unterentwickelt“ sei. Was Kultur nämlich nicht ist: Deko. Wer Kunst und Kultur als „schmückendes Beiwerk“ begreift, der denkt zu kurz.
Kunst habe „das Privileg, Fragen stellen zu dürfen, ohne die Antworten darauf finden zu müssen“, schreibt Brosda und verteidigt Kultureinrichtungen vehement als „Räume der Freiheit, des riskanten, des spekulativen Denkens, in denen Freiheit in Gemeinschaft erfahren und verhandelt“ werden könne. Wohlgemerkt: zweckbefreit. „Die Kunst ist frei. Und zwar unbedingt.“
Sie ist frei – nicht notwendigerweise nützlich. An dieser Stelle hilft ihm Helmut Schmidt mit einem Zitat aus: „Ein Staat, der eingreift in den autonomen Bereich der Kunst, kann nicht Recht haben.“ Dass sich an den Bruchstellen dieses Prinzips Kontroversen entzünden können, weiß Brosda natürlich: Der glänzende Ziegel auf dem Einband gehört zu einer ganzen Hauswand, die der Künstler Boran Burchhardt 2017 auf der Veddel vergoldet hatte, was stadtweit eine leidenschaftlich (Brosda: „kleingeistig“) geführte Debatte über den Wert von Kunst auslöste.
Brosda erinnert an die Notwendigkeit der „Erklärung der Vielen“
Aber nicht nur Künstlerinnen und Künstler besitzen eine absolute Freiheit, auch Kulturinstitutionen hätten, so der Autor, „das Recht, sich an die Seite eines gesellschaftlichen oder politischen Anliegens zu stellen“. Man darf das ruhig als eine entscheidende Position verstehen, vielleicht sogar als Motivation unterstellen, diesen Band überhaupt zu schreiben, da diese Freiheit in den vergangenen Jahren verstärkt torpediert wird.
Da werden Tanz-Ensembles auf ihre Nationalitäten überprüft, Spielpläne hinterfragt, Förderungen in Zweifel gezogen. Die Stärke einer Gesellschaft beruhe jedoch darauf, Unterschiede zuzulassen und gleichzeitig einen „Grundkonsens“ zu verabreden.
Brosda erinnert an die Notwendigkeit der „Erklärung der Vielen“, einer bundesweiten Aktion, in der sich 2018 auch Hamburger Kulturmacher gegenseitiger Solidarität versicherten. Noch würden die mal subtilen, mal „plumpen Attacken versanden“, glaubt der Senator, aber „die Haarrisse in den Bollwerken der künstlerischen Freiheit werden breiter und besorgniserregender“.
Da sei es wichtig, auch mal „Selbstverständlichkeiten neu zu markieren“. Ein Künstler – und damit eben auch: jeder Mensch – könne es sich nämlich nur so lange erlauben, sich nicht zu kümmern, „wie wir als Gesellschaft uns darum kümmern, dass diese Freiheit erhalten bleibt“. Und solange jeder Zugang erhält. Auch Schwellenängste und die Segnungen sogenannter „dritter Orte“ benennt Brosda.
Das Mäandern durch die Themen ist Schwäche und Stärke des Buches
Natürlich plädiert der pragmatische Kulturpolitiker für angemessene Fördersummen („viel hilft viel“ sei hier zumindest „etwas weniger falsch“ als in anderen Bereichen), natürlich zitiert der promovierte Politikwissenschaftler kluge Denker und politische Vorbilder. Aber auch Bob Dylan und Leonard Cohen, die amerikanischen Melancholiker haben es ihm angetan.
Und gelegentlich gönnt sich Carsten Brosda im akademisch geprägten Grundton etwas Pathos, wenn er beispielsweise über die „Magie der Wahrheit“ schreibt oder den alten Schlachtruf „Kultur für alle“ beschwört. Sein Buch liest sich weniger wie eine Verteidigung der Kultur – was wäre das auch für eine undankbare Position – , als vielmehr wie eine Ermutigung, ein Ansporn. Nicht zufällig endet es mit einem auffordernden Ausrufezeichen.
Das könnte Sie auch noch interessieren:
- Filmförderung startet Offensive gegen Netflix und Co.
- Wahlkampf kann auch cool sein – DJ Brosda sei Dank
- Warum Hamburg keine Straße nach Siegfried Lenz benennen darf
Die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden ist ihm dabei ebenso ein Anliegen wie die Erinnerungskultur; lange Strecken widmet Brosda dem Umgang mit der kolonialen Vergangenheit, an anderer Stelle behandelt er die Konsequenzen der Digitalisierung. Das Mäandern durch die Themen ist zugleich Schwäche und Stärke des Buches, das auch auf bereits gehaltenen Reden beruht.
"Einer aufs Auge ist besser als acht aufs Ohr"
Vor allem aber schreibt Carsten Brosda nicht nur über die „Lust am Denken“, sondern lässt sich dabei geradezu beobachten. Ja, „einer aufs Auge sei besser als acht aufs Ohr“, zitiert er eine Boxer-Weisheit und meint damit die allzuleichte Überwältigung durch optische Reize. Der Austausch von Argumenten und langwierige Diskurse sind anstrengender.
Brosda allerdings hat zweifelsohne genau daran seinen Spaß. Und die Botschaft kommt an: Wir müssen nicht nur über Kultur reden – wir müssen überhaupt mehr ins Gespräch kommen.