Hamburg. Mit „Sweet Sorrow“ ist dem Briten David Nicholls erneut ein sehr amüsanter, unkitschiger Liebesroman gelungen.

„Sharin Findley zu küssen war, wie eingequetscht hinter einem Sofa von einem Hai attackiert zu werden.“ Ach ja, es ist nicht immer leicht, 16 zu sein. Aber ziemlich lustig, davon zu lesen – jedenfalls wenn David Nicholls über diese Zeit der emotionalen Wirrungen und Fallstricke schreibt.

Mit „Zwei an einem Tag“ über eine Art „Harry und Sally“-Paar, das sich einmal im Jahr trifft, gelang dem Briten 2009 der Durchbruch. Ein Buch, das, so der „Guardian“, „eine Nation zu Tränen rührte“ und sich ebenso das Prädikat „bittersüß“ verdiente, wie die anderen Nicholls-Bücher, die brillant variiert immer wieder eine Liebesgeschichte mit Hindernissen erzählen. Angeführt von einem männlichen (Anti-)Helden, der alles daran setzt, dem Mädchen (bzw. der Frau) seiner Träume endlich (haut)nah zu kommen, ihr aber in punkto Witz und Lebensklugheit klar unterlegen ist.

David Nicholls ist ein Meister der Pointe

Auch „Sweet Sorrow“ ist so ein Buch, und niemand sollte sich vom bräsigen Untertitel „Weil die erste Liebe unvergesslich ist“ abschrecken lassen. Ebenso wenig vom orangen Cover, das dem potenziellen Leser „Ich bin ein Frauenbuch!!!“ entgegen schreit. Führt glücklicherweise alles in die falsche Richtung, denn wenn David Nicholls etwas wirklich beherrscht, dann das Spiel mit Klischees und Erwartungen.

Natürlich ist er ein Meister der Pointe, aber die kommt nie plump und ungebremst; bei ihm sind die lustigsten Passagen stets die, die bei aller Komik mit quasi unbewegter Miene aus den Seiten ploppen. Und von denen gibt es hier eine Menge, denn der Einstiegssatz „Die Welt würde an einem Donnerstag enden, um fünf vor vier, gleich nach der Disco“ verspricht nicht zu viel: Für Charlie Lewis ist die Welt, wie er sie bisher kannte, plötzlich Geschichte. Und das liegt – natürlich! – an einem Mädchen.

Zufall oder amouröse Bestimmung?

Eigentlich war nicht damit zu rechnen, denn der Sommer versprach lang und langweilig zu werden. Ein bisschen traurig und voller Verbitterung wohl auch – Charlies Eltern haben sich nach nervenzermürbendem Dauerstreit nicht nur getrennt, strafverschärfend muss er beim depressiven Alkoholiker-Vater bleiben, ein Jazzliebhaber, dessen Plattenladentraum krachend gescheitert ist. Seine Schwester hingegen lebt mit dem Mutter schon beim Neuen, also ist Charlie ganz auf sich gestellt.

Doch dann lernt er durch einen Zufall (na, es ist wohl eher eine amouröse Bestimmung...) Fran kennen, über die es schon bald heißt: „An meiner Seite saß das klügste, coolste, brillanteste Mädchen, das ich kannte; sie war das Gegenmittel gegen all die kleinen schäbigen Geheimnisse in meinem Leben.“ Die unter anderen in der gewohnheitsmäßigen Unterschlagung von Rubbellos-Gewinnen beim Tankstellen-Aushilfsjob bestehen. Für Charlie ist schnell völlig klar: „Ich würde jedes Buch lesen, mir jeden Film ansehen und jedes Lied anhören, das Fran erwähnte.“

Wunderbare Date-Vorbereitungsszenen

Und nicht nur das: Charlie, wahrlich kein Schauspieltalent, lässt sich auch überreden, an einer Schülerinszenierung von „Romeo und Julia“ mitzuwirken. Weil Fran die Julia spielt, logisch, und dies eben die einzige Chance ist, sie wiederzusehen. Aber Charlie bekommt nicht die Romeo-Rolle, so billig gibt’s die große Liebe bei David Nicholls nicht.

David Nicholls: „Sweet Sorrow“, Ullstein,  512 Seiten,  22 Euro
David Nicholls: „Sweet Sorrow“, Ullstein, 512 Seiten, 22 Euro

Dafür wunderbare Date-Vorbereitungsszenen wie diese: „Ich [...] griff nach meinem Axe-Deo der Sorte ,Aztec’ (,Ach, das hat also ihre Zivilisation ausgelöscht’, hatte Dad naserümpfend bemerkt) und sprühte mir so viel davon unter die Achseln, dass sich dort eine zuckergussdicke Schicht bildete. Es knisterte praktisch, als ich die Arme senkte.“ Na ja, und dann geht es eben los, das fröhliche, freche, warmherzig-sentimentale Liebes-Spiel, für das „Sweet Sorrow“ (Süßer Kummer) genau der passende Titel ist.

Eine Liebesgeschichte aus einer Zeit ohne Smartphone

Auch wenn es hier keine irren Spannungsmomente gibt, ist dieses Buch doch ein page turner, bei dem man sich auf die nächste U-Bahn-Fahrt oder den nächsten freien Abend freut. Weil man einfach wissen muss, wie es mit Fran und Charlie weitergeht – zumal der sich 20 Jahre später anschickt, eine andere zu heiraten (kein Spoiler, das ist schon früh klar). Und weil das alles irgendwie auch etwas mit dem eigenen Leben zu tun hat. Mit den ganz großen Gefühlen von damals, mit den wohl nie ganz und gar begrabenen Gedankenspielen aus der Abteilung „Was wäre gewesen, wenn ...“.

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Besonders charmant: „Sweet Sorrow“ spielt Mitte der Neunzigerjahre, also in einer Zeit knapp vor Smartphone und WLAN. Eine Zeit, in der noch keine WhatsApp-Nachricht, kein Instagram-Post die Zeit bis zum nächsten realen Date verkürzen konnte. Als nicht der erste Herz-Smiley, sondern tatsächlich der erste Kuss zählte.

Und doch sind die Bücher von David Nicholls zeitlos, weil sie so romantisch wie unkitschig von einer Sehnsucht erzählen, die jeder kennt, der schon mal dieses spezielle Gefühl hatte: dass demnächst die Welt endet. Wenn nicht jetzt, dann auf jeden Fall um fünf vor vier, gleich nach der Disco.