Christoph Faulhaber bringt „Das Phantom“ mit Hochschulstudierenden beim Sommerfestival zu einer einmaligen Aufführung.
Die Discokugel ist das Schönste. Ein echter Knalleffekt. Von einem Hebekran getragen, schillert und glitzert sie zwischen Grün und Rosa und taucht die mit einer historischen Gebäudeansicht auf 700 Quadratmetern Plane verhüllte Fassade der Roten Flora in ein Meer aus Lichtpunkten. Da legen sogar die feierfreudigen Schanzenbesucher ihre Drinks zur Seite und heben staunend die Köpfe.
Von Christoph Faulhabers Version von „Das Phantom der Oper“, sehr frei nach Sir Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical, das in der Hansestadt wie man weiß, besondere Spuren hinterlassen hat, erwartete man an diesem symbolträchtigen Ort Aufwühlendes, wenn nicht gar Aufruhr. Denn just die Pläne, vor 25 Jahren das alternative Kulturzentrum zur Abspielstätte des erfolgreichsten Musicals aller Zeiten zu machen, hatten Autonome bewogen, es seinerzeit bis heute zu besetzen.
Phantomänal: Musical vor der Roten Flora
„Kein Kommerz Kultur fürs Viertel!“ hieß es damals. Von diesem revolutionären Kampfgeist ist erstaunlich wenig zu spüren. Faulhaber hat, eine Förderung des Elbkulturfonds im Rücken, den Stoff in seiner „Das Phantom“ genannten Bühneninstallation mit Regisseur Martin Mutschler als Musiktheater-Performance mit Studierenden der Hochschule für Musik und Theater uraufgeführt. Als Teil des Sommerfestivals.
Mit einer Stunde Verspätung beginnt das Spektakel auf dem Balkon mit der bekannten Erkennungsmelodie. Hier wird nun nicht die Pariser Oper wie in Gaston Leroux’ Originalroman, sondern die Rote Flora zum Ort, an dem Christine, befördert vom „Engel der Lieder“, hinter dem sich das seit Jahren im Verborgenen hausende Phantom der Oper verbirgt, ihren ersten großen Gesangsauftritt hinlegt. Und wo sie später im Galan Raoul die Liebe finden würde. Die Verwicklungen aus Liebe, Macht, Reichtum und Kunst präsentieren die Beteiligten mit viel Aufwand. Christine und Raoul streifen in einer Videoprojektion über den nächtlichen Dom. Besucher dürfen unter Masken mit Farbbeuteln auf die Rote Flora werfen. Trotz verlesener Pamphlete gegen Gentrifizierung, Olympiabewerbung und das „profitorientierte, kapitalistische Musiktheater“ ringen die Macher dem Stoff kaum Dringlichkeit ab, was in erster Linie an der etwas hölzernen Textversion liegt. Die ja durchaus ambivalente Figur des Phantoms setzt im Stoff ihre Forderungen mit aller Härte durch. Hängen bleiben hier vor allem die netten, bekannten Gassenhauer.
Lesen Sie hier die Geschichte der Roten Flora
Beachtlich schlagen sich die vier Jungdarsteller in dem nicht ganz ausgegorenen Konzept. Luise Hansen beweist Stimmtalent als Christine, Sebastian Kreuzer gibt Raoul als auf Wirtschaftserfolg getrimmten Kultur-investor, der den Abba-Hit „The Winner takes it all“ etwas schlicht in „Der Sieger hat die Wahl“ ummünzen muss. Tim Maas wird im schwarzen Lederdress zum Glam-Punk-Phantom, das gerechte Mieten fordert und sich gegen Hamburgs Marketingstrategen wehrt. Für den Zusammenhalt der doch recht losen Handlungsfäden ist Sebastian Römer als Conférencier zuständig. Ist der Gesang noch gut vernehmbar, die fünfköpfige, auf dem Balkon kauernde Liveband ist es häufig nicht.
Wenn am Schluss die Besetzer Pyrotechnik vom Balkon abfeuern und Leitsätze aus dem Off erklingen, wird die Botschaft des Abends deutlich. „Es ist Zeit, dass wir uns verändern, uns öffnen, um auf neue Problemfelder eingehen zu können. 25 Jahre sind nicht genug“, heißt es da. „Die Flora bleibt unverträglich.“
Das Wichtigste an diesem Abend ist vielleicht, dass er überhaupt stattfindet. Und eine Verbindung von Kunst, Stadt und dem Gestaltungswillen ihrer Bewohner aufzeigt.