Was bringt die Zukunft den lokalen Tageszeitungen? In Hamburg suchen Chefredakteure Lösungen für aktuelle Herausforderungen. Und finden ganz individuelle Antworten.
Ein Satz aus dem kleinen Verkaufs-Einmaleins lautet: Du sollst die eigenen Produkte nicht schlechtreden. Eine Binsenweisheit, sollte man meinen. Nicht in der Medienbranche. Man muss nicht so weit gehen, den britischen Investor David „Heuschrecke“ Montgomery zu bemühen, der wissen ließ, Zeitungmachen sei „eine sinnlose Obsession mit toten Bäumen“. Schwarzmalerei über den eigenen Berufsstand, so scheint es, ist unter Journalisten zum Lieblingshobby avanciert. Der Tenor: Anzeigenerlöse erodieren, Jugendliche fassen kein Papier mehr an, die Twittermeldungen stehen zur Wachablösung bereit. Dass die Krise breitbeinig im Raum steht – diese These schaffte es denn auch innerhalb von Minuten auf die Tagesordnung des 21. Forums Lokaljournalismus der Bundeszentrale für politische Bildung (in diesem Jahr ausgerichtet vom Hamburger Abendblatt).
Doch es gibt Anlass zur Hoffnung und das nicht zu knapp. Das machte „Zeit-Chefredakteur“ Giovanni di Lorenzo in seiner Rede „Wie guter Journalismus überlebt – Macht endlich Schluss mit der Selbstdemontage“ vor knapp 190 Chefredakteuren und leitenden Redakteuren am Donnerstag in der Handwerkskammer deutlich. „Dass Zeitungen dem Untergang geweiht sind, ist zu einem Klischee geworden“, sagte di Lorenzo, der mit seiner Hamburger Wochenzeitung gegen den Branchentrend Auflage, Reichweite, Rendite und Umsatz steigern konnte. Wie oft habe man der „Zeit“ schon „das Totenglöckchen geläutet“, sagte di Lorenzo, daher mache ihn „die große Erzählung vom Untergang der Presse“ skeptisch. Im Gegenteil beobachte er bei den Menschen eine „Sehnsucht nach Orientierung, Substanz und Relevanz“, viele Leser wünschten sich „Entschleunigung, mehr Verlässlichkeit und Tiefe“.
Kein Wunder, dass er am Ende seiner Ansprache nicht nur eine Menge Beifall erhielt von erleichterten Kollegen, zu deren Standardvokabular längst die Begriffe „Entlassungen“, „Sparmaßnahmen“ und „Krise“ zählen. Einen „Ehrenindianertitel“ gab es obendrauf von Berthold Flöper, Leiter Lokaljournalistenprogramm bei der bpb: „Der Mutmacher“. Wohltuend auch ein Statement wie das von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (der an diesem Freitag zum Thema „Lokaljournalismus mit Zukunft“ mit Jan Bayer, Vorstand der „Welt“-Gruppe, spricht). Es stimme natürlich nicht, dass der Bürgermeister über alle Vorgänge in der Stadt Bescheid wisse, sagte Scholz. „Manches weiß ich nur, weil ich es in der Zeitung gelesen habe – und dann frage ich in der Verwaltung, was los ist.“
Fehlende Erlösmodelle hin, Krise her: Zeitungen sind nach wie vor wichtig, Lokalzeitungen für viele Leser unverzichtbar. Laut der jüngsten ZMG-Studie „Zeitungsqualitäten“ nutzen 90 Prozent der Leser den Lokal- und Regionalteil. Fazit der Studie: Die Lokalzeitung ist mit Abstand das wichtigste Medium zur Orientierung vor Ort. Sich auf diese Funktion zu besinnen statt „aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen“ (di Lorenzo), diese innere Überzeugung einte wohl alle Teilnehmer des Lokaljournalistenforums von der „Augsburger Allgemeinen“ bis zur „Wetzlarer Neuen Zeitung“. Selten wurde in Hamburg so heftig und viel über Journalismus debattiert wie in dieser Woche. Am Montag beim „Reporterforum“ im „Spiegel“-Verlag waren Anzeigenkunden, Leserjournalismus und Digitaloffensiven ebenso Thema wie beim Lokaljournalistenforum. Die eine Antwort, die die Uhr zurückdreht und der Branche erneut goldene Jahrzehnte beschert, fand sich hier wie dort nicht. Dafür aber individuelle Antworten, ganz persönliche Wege aus der vermeintlichen Krise.
„Für mich ist das Entscheidende, dass die Regionalzeitungen es schaffen, ihre Leser regelmäßig zu überraschen“, sagte Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider auf dem Podium „Lokalhelden — Hyperlokale und digitale Trends“. In der Position des Chefredakteurs verstehe er sich vor allem als Vorkämpfer des Journalismus, nicht als Manager.
Auch Christoph Linne, Chefredakteur der Marburger „Oberhessischen Presse“ sprach sich dafür aus, Tagesterminjournalismus öfter mal außer Kraft zu setzen und eigene, ungewöhnliche Themen aufzuspüren: „Lokalzeitungen müssen nach den Schätzen graben, die vor der Haustür liegen. Damit erarbeitet man sich Glaubwürdigkeit und einen besseren Stand bei den Lesern.“ Man müsse den Leser jeden Tag durch guten Journalismus überzeugen, so Linne.
Der Leser habe zu seiner Tageszeitung ein ähnliches Verhältnis wie zu seinem Wohnzimmer, erklärte Giovanni di Lorenzo. „Die Tapete ist nicht so doll, aber man wohnt insgesamt gerne darin.“ Ein schönes, ein gemütliches Bild. Für die Zeitungsleser genauso wie für die Chefredakteure. Jetzt muss nur noch eine neue Tapete her.