Danny Boyle ist ein Rastloser, ein Getriebener. Einer, der schnell und präzise denkt und anschließend seine Vision tatkräftig umsetzt. Der Mensch...

Hamburg. Danny Boyle ist ein Rastloser, ein Getriebener. Einer, der schnell und präzise denkt und anschließend seine Vision tatkräftig umsetzt. Der Mensch Danny Boyle strahlt eine einnehmende Verbindlichkeit aus. Mit Filmstoffen, in denen sich Menschen in Extremsituationen behaupten müssen, wurde der britische Regisseur bekannt. Er beleuchtete die erschütternde Realität von Drogenabhängigen ("Trainspotting - Neue Helden", 1996), entlarvte die Gruppendynamik im Aussteigerparadies Thailand ("The Beach", 2000) oder beobachtete letzte Überlebende in einer apokalyptischen Science-Fiction-Horrorgeschichte ("28 Days Later", 2002).

Mit "Slumdog Millionär" feiert Boyle, der seine Karriere in der Londoner Theaterszene startete, seinen bislang größten Triumph. Bei der diesjährigen Oscar-Verleihung staubte der Film Oscars in acht Kategorien ab: für den besten Film, die beste Regie, das beste adaptierte Drehbuch, die beste Kamera, den besten Schnitt, die besten Toneffekte, die beste Filmmusik und den besten Filmsong.

Auch in diesem Film widmet sich Boyle einem besonderen Extrem: der Liebe in einem von radikalen Gegensätzen geprägten Land. Es war ursprünglich nicht seine Idee, das Buch "Rupien! Rupien!" des Inders Vikas Swarup zu verfilmen. Die Produktionsfirma Celador gab bei dem Briten Simon Beaufoy das Drehbuch in Auftrag. Anschließend fragte man bei Boyle an, der sofort für die Regie zusagte. Er realisierte den Film mit einem vergleichsweise bescheidenen Budget von nur 15 Millionen US-Dollar.

Der Dreh vor Ort erwies sich dabei als schwer planbare Abenteuerreise. "Mumbai ist die größte vorstellbare Stadt und gleichzeitig ein sehr romantischer Ort, es geschehen schreckliche Dinge, und im nächsten Moment wird getanzt - wir haben versucht, in diesem ständig fließenden Strom unserer Geschichte zu folgen, aber es gab Abende, an denen wir nicht einmal sicher waren, dass wir unsere Szenen im Kasten hatten", sagte Boyle dem Hamburger Abendblatt.

Als Darsteller verpflichtete er bis auf den indischen Filmstar Anil Kapoor als Moderator der Quiz-Show unbekannte Schauspieler. Die Hauptfigur des Waisen Jamal Malik übernahm mit Dev Patel ein indischstämmiger britischer Fernsehmime. Auch Freida Pinto, die Jamals große Liebe Latika spielt, konnte bis dato nur Fernseherfahrung vorweisen.

Die Kinderdarsteller von Jamal, seinem Bruder Salim und Latika, Ayush Mahesh Khedeker, Azharuddin Mohammed Ismail und Rubina Ali, stammen selbst aus den Armenvierteln von Mumbai. Boyle führte ihre Gage einem Fonds zu, der ihnen bis zum Alter von 16 Jahren den Schulbesuch ermöglicht. Nach dem Oscar-Segen für den Film verkündete Anil Kapoor, dass er seine Gage komplett dem Kinderhilfswerk Plan spenden wolle.

Wie in seinen früheren Filmen bedient sich der Regisseur auch hier einer visuell innovativen Bildsprache: schnelle Schnitte, gewagte Perspektiven. "Wir haben die Kulisse nicht in einem Studio nachgebaut, sondern sind mit der Handkamera mitten in die Slums gegangen, wo die Menschen unter extremen Bedingungen leben - aber das ist der britische Realismus in mir, und manchmal bringt ein Blick von außen eine Frische", erzählt der Regisseur.

Der hypnotische Techno-Soundtrack des zweifach oscardekorierten "Mozart von Madras", A. R. Rahman, rundet den Film erst ab. Film-Scores haben bei Danny Boyle schon immer eine herausragende Rolle eingenommen. Rückblickend erinnert sich Danny Boyle an eine ihn durchaus herausfordernde Zeit, denn: "Mit Indern zu arbeiten ist großartig und zugleich ein absoluter Albtraum, denn sie haben alle einen Assistenten, der mit diversen Mobiltelefonen hantiert, weil sie gerade fünf Spielfilme und Werbetrailer für Whiskey und Babypuder gleichzeitig drehen."