Die “Jungs aus dem Kreis Pinneberg“, Fettes Brot, gaben sich beim ersten von drei ausverkauften Heimspielen natürlich nordisch.
Hamburg. "Wegen uns ist Hip-Hop nicht pleitegegangen", rappen Dokter Renz, König Boris und Björn Beton in der Großen Freiheit 36 - der Erste von drei ausverkauften Auftritten hintereinander. Unser täglich Fettes Brot gib uns heute, schließlich verkauft es sich immer noch wie geschnitten. Dabei ist die Schublade Hip-Hop natürlich längst zu klein für das Hamburger Trio.
Und auch der Freiheit-Bühne ist sie schon entwachsen, die achtköpfige Band nebst DJ exel. Pauly findet kaum Platz vor der großen LED-Leinwand, und eine Liveband ist Pflicht heutzutage für die Pioniergeneration des deutschen Rap und ihre Nachfolger. Die Fantastischen Vier haben eine, ebenso Dendemann oder Samy Deluxe. Selbst Sido ließ sich im Januar begleiten - sogar unplugged.
Das Abfeuern von Satzsalven zum Beat und Plattengekratze eines DJs ist ein Relikt aus den 90ern, als die meisten der in der Freiheit anwesenden männlichen Fans erstmals "Die Definition von Fett" oder "Jein" in den CD-Schacht schoben. Erstaunlicherweise ist der Durchschnitt der weiblichen Fans deutlich jünger und wohl vor fünf Jahren mit Single-Hits wie "Bettina, zieh dir bitte etwas an" und "Emanuela" auf die Idee gekommen, Dokter Renz, König Boris und Björn Beton "als Poster in deinem Zimmer" aufzuhängen.
Alle zusammen, die Alten und Lahmen, die Jungen und Dynamischen, feiern Fettes Brot als Pop-Band, singen die umarrangierten Klassiker wie die Reggae-Version von "Silberfische in meinem Bett" (1996) oder den Rocker "Da draußen" (2000) enthusiastisch mit. Eine zeitkritische Ballade wie "An Tagen wie diesen" (mit Gastsänger Pascal Finkenauer) ist nur ein Moment des Luftholens. Mainstream, Hauptstrom, Hauptsache unter Strom. Wenn zu "Lauterbach" aufgewacht wird, wenn die "Kontrolle" bei "Schwule Mädchen" verloren wird, wenn sich Körper reiben und die Brote Ansagen mit der verschluckten Pointe "Fi..." reimen, dann verschwimmen die Grenzen zwischen Geschlechtern, Pop-Genres und auch anderen Bands.
So sind live die Unterschiede zwischen Fettes Brot und beispielsweise Revolverheld in Teilen bemerkenswert kontrastarm. Ausverkaufte Freiheit, Heimspiel-Lokalpatriotismus und Fankurvenchöre nach der Melodie von "Seven Nation Army" (White Stripes) sind hier wie dort selbstverständlicher Ausdruck des gemeinsamen Nenners zwischen Bands und Fans: "Das Herz von St. Pauli". Und wenn 1500 Kehlen in der Freiheit mit "ohne Nordisch geh'n wir nicht nach Haus" nach "Nordisch By Nature" rufen und Feingeist-Bands wie Tomte, Tocotronic oder Kettcar mit "nie gehört!" bedenken, ist das die Selbstironie des Augenblicks, für die man sich nach Verlassen der Freiheit nicht schämen muss. Alles nur Spaß.
Die frühere Kritik an Fettes Brot als Spaßrapper entlarvt sich selbst, wenn Menschen sich nach 110 Minuten glücklich am T-Shirt-Stand drängeln und Karten für das Konzert am 10. Dezember in der O2 World kaufen. Denn über die Jahre ist das durchaus kindliche Gemüt von Fettes Brot erhalten geblieben. Und das kann nie schaden an Tagen wie diesen.
Fettes Brot Fr 10.12., 20.00, O2 World Hamburg (S Stellingen + Bus 380), Sylvesterallee 10, Karten zu 29,99 im Vorverkauf, Internet: www.fettesbrot.de