Mit zwei Alben und einer zum Teil ausverkauften Tournee ab Ende April feiern die Hamburger Hip-Hopper Fettes Brot ihre Volljährigkeit.
Köln/Hamburg. Auf den Tag genau lässt sich die Geburtsstunde von Fettes Brot zwar nicht zurückverfolgen, aber die Klubs der Republik sind bereits für Auftritte der drei Hamburger gebucht. Gefeiert werden darf von Ende April bis Dezember. Der Grund: Das Kollektiv der Hip-Hop-Pioniere wird 18 Jahre alt. Aber weil jede Volljährigkeit mit dem Eintritt in eine neue Lebensphase einhergeht, plaudern die drei Protagonisten Boris, Björn und Martin gar nicht so aufgeregt im Kölner Stadtgarten, wie man sich den gemeinsamen 18. vorstellt.
Nüchtern erzählt Björn Warns alias Björn Beton, wie schwer es ihm viele Jahre als ein Drittel von Fettes Brot gefallen sei, in Hotelformularen die Berufsbezeichnung Musiker einzutragen. „Vom jugendlichen Leichtsinn, der mich vor 18 Jahren dazu anstiftete, Musik als Beruf auszuprobieren, bis zum Bewusstsein, dass ich jetzt tatsächlich Musiker bin, brauchte es eine Weile“, sagt er. Im Brustton der Überzeugung etwas in die Welt hinausposaunen zu können, zu dem man sich zwar berufen fühle, für das es aber keinen Gesellenschein gäbe, würde die Sache mit dem Selbstverständnis halt schwierig gestalten, pflichtet ihm sein Kollege Boris Lauterbach alias König Boris bei.
Ihre Bescheidenheit in Ehren, aber das Ankommen der drei Hip-Hop-Artisten auf den oberen Plätzen der deutschen Pop-Liga lässt sich längst nicht mehr leugnen. Wie ließe es sich anders erklären, dass Fettes Brot während ihrer Geburtstagstour im Juni die größte aller deutschen Hallen, die Kölner Lanxess-Arena, bespielen werden? Bei der Bezeichnung Popstar zieht Björn trotzdem ein langes Gesicht. „Dem mediengemachten Bild des Popstars möchte ich nicht entsprechen. Ich will keine Illustration vom fernsehgemachten Popstar darstellen, weil ich es nicht bin“, sagt er.
Die Frage danach, was Fettes Brot als Band nun tatsächlich ihrer Selbstauffassung nach ist, erklärt sich aus ihren Anfängen. Damals, 1992, wurde auf Deutsch noch nett und amüsant gerappt. „Freestyle“ lautete die Losung der amerikanischen Hip-Hop-Vorbilder von Fettes Brot. Limits wurden nicht akzeptiert. Kommerzialität und politischer Anspruch schlossen sich nicht aus. Kein Musikerdiplom sondern das Mikro, ein paar Beats, oftmals improvisierte Reime, lockere Mundwerke, Ideenvielfalt und der Wunsch zum kreativen Austoben bildeten das Grundrüstzeug zum Künstlerwerden.
„Aber Rap hat uns auch relativ schnell als undankbar empfinden können, weil wir immer wieder etwas anderes als die reine Rap-Lehre ausprobiert haben“, wirft Martin Vandreier alias Doktor Renz ein. Stimmt, mit Rap, Soul, Ska und Rock, Ausflügen in Big Band-Gefilde mit James Last und Stippvisiten ins Lager klassischen Popsongwritings entzogen sich die Brote der Festlegung auf eine bestimmte musikalische Linie. Von den selbst ernannten Hip-Hop-Kontrolleuren des Landes wurden die drei Helden deswegen lange öffentlich diffamiert.
Die Brote machten aus der vermeintlichen Not eine tatsächliche Tugend, sie schufen sich eine eigene Identität, in der keine stilistischen oder inhaltlichen Grenzen akzeptiert wurden. Sich selbst als „Schwule Mädchen“ zu bezeichnen war mutig. Eine gewisse Bettina in einem Hip-Hop-Video zum Einpacken ihrer Brüste aufzufordern, glich angesichts der obligatorischen Zurschaustellung nackter Frauenhaut in Hip-Hop-Kurzfilmen einer Art Nestbeschmutzung.
Die selbst geschaffene Freiheit hat Fettes Brot auch den Weg zu ihrem neuesten Albumprojekt geebnet, das diesen Freitag (26. Februar) erscheint. Und damit schließt sich der Kreis von der Geburtsstunde des Trios bis zur diesjährigen Vollendung der Volljährigkeit. Es sind gleich zwei Platten, „Fettes“ und „Brot“ betitelt, die unsere drei Helden ohne Make-up und doppelten Boden, als echte Entertainer und überzeugte Live-Attentäter präsentieren. „Fettes“ und „Brot“ (Indigo) sind zwar de facto Livealben, aber um die direkte Bezeichnung „Live Album“ macht Fettes Brot einen Bogen und nennt das Doppelpack lieber „Band-Album“.
„Um ihrem Studioalbum Gold-Status verleihen zu können, werfen viele Stars nach Tourneen immer öfter das Gleiche nochmal als Live-Version hinterher. Die meisten Live-Platten klingen tatsächlich oft wie Studioalben, zu denen ein bisschen Konzert-Atmosphäre gemischt wurde. Das finden wir unkreativ und wollen aus dem Medium ’Live-Platte’ etwas machen, was es mal war - nämlich ein Forum für Neubetrachtungen bekannter Songs“, erzählt Boris.
Das reine Recyclen von Hits überlassen Fettes Brot lieber anderen. Ihre bekannten Nummern befinden sich auf „Fettes“ und „Brot“ größtenteils in deutlich verändertem musikalischen Rahmen. „Jein“, die erste Singleauskopplung, besitzt nichts mehr von ihrer hochglänzenden Radiotauglichkeit, sondern wird von einer Rock-Gitarre auf eine deutlich elektrisierende Fährte gelockt. In insgesamt 31 Songs, gespielt von einer elfköpfigen Band, ziehen Fettes Brot Zwischenbilanz und schafft gleichzeitig noch größeren kreativen Freiraum für den Fortbestand der Band.
„Obwohl wir uns tatsächlich kurz überlegt hatten, der Band an dieser Stelle ein Ende zu bereiten“, wie Boris lakonisch anmerkt. „Aber dafür haben wir dann doch viel zu viel Spaß an Fettes Brot. Außerdem müssen wir uns ja auch irgendwann nochmal selbst beweisen, dass wir echte Musiker sind.“
Tourdaten: 29./30.04. Bremen (Pier 2, zweites Konzert ausverkauft), 01.05. Bielefeld (Seidenstickerhalle), 02.05. L-Esch/Alzette (Rockhal), 03.05. Stuttgart (Liederhalle Beethoven-Saal), 05.05. München (Zenith), 06.05. Wiesbaden (Schlachthof), 07.05. Dresden (Alter Schlachthof), 08.05. Berlin (Columbiahalle), 10.-12.05. Hamburg (Grosse Freiheit 36 - ausverkauft), 12.06. Köln (Lanxess Arena verlegt vom 02.05.), 10.12. Hamburg (Color Line Arena)