Hamburg. „Existenzängste“: Interne Kritik an den Homeoffice-Plänen des Onlinehändlers Otto. Der Betriebsrat bringt sich nun in Stellung.

  • Hamburger Online-Händler Otto steht unter Druck der Beschäftigten
  • Strengere Homeoffice-Regeln stehen in der Kritik
  • Der Betriebsrat will noch vor Weihnachten Regeln fixieren

Die Ankündigung für strengere Homeoffice-Regeln sorgen weiterhin für Unruhe bei Otto. Auch nach einem sogenannten Townhall-Meeting des Hamburger Onlinehändlers in der vorletzten Woche reißt die interne Kritik an den Plänen des Vorstands nicht ab. „Es brodelt weiter“, sagte die Betriebsratsvorsitzende Grit Marlow-Buchholz dem Abendblatt. Sie macht klar, dass die Arbeitnehmervertretung bei den neuen Anwesenheitsregeln im Büro mitreden will und Gespräche mit dem Vorstand fordert.

Seitdem sich Anfang November erste Informationen zu höheren Präsenzzeiten am Arbeitsplatz in den E-Mail-Fächern und im Intranet verbreitet haben, formiert sich Widerstand in dem Unternehmen, das in vergangenen Jahren vor allem mit Themen wie Kulturwandel und „New Work“ bei den Beschäftigten gepunktet hatte. Jetzt will der Arbeitgeber, der bislang die Anwesenheit im Büro sehr flexibel gehandhabt hat, einen Anteil von 50 Prozent auf dem Otto-Campus in Bramfeld festlegen. Betroffen sind fast 5000 Beschäftigte bei Deutschlands größtem Onlineshop.

Otto unter Druck: Kritik der Homeoffice-Befürworter wird lauter

„Wir als Betriebsrat sind mit der aktuellen Situation zufrieden, dass die Teams ihre Arbeitszeiten je nach Anforderungen zwischen Büro und Homeoffice selbst festlegen“, sagt die Otto-Betriebsratsvorsitzende. Auch die Arbeitnehmervertretung sei von der geplanten Veränderung überrascht worden.

Neue Otto Firmenzentrale
Personalvorständin Katy Roewer steht im Atrium der neuen Otto-Firmenzentrale in Hamburg. Im März 2025 wechselt die 48-Jährige in den Vorstand der Otto Group. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

In der Mitarbeiterversammlung in der neuen Otto-Zentrale hatte der Bereichsvorstand um Otto-Chef Marc Opelt und Personalvorständin Katy Roewer seine Vorstellungen erläutert und sich Fragen der Beschäftigten gestellt. Dabei sind zwei Punkte deutlich geworden: Die 50-Prozent-Regel soll nicht pro Person, sondern für die Bereiche gelten. Um die aktuelle Situation zu erfassen, gibt es zwischen Januar und März eine Orientierungsphase, während der Daten zur Anwesenheit und Effektivität erfasst werden sollen.

Otto-Betriebsrat: Täglich Kollegen in Härtefallsituationen

Dabei will der Betriebsrat nun mitreden. „Wir werden täglich von Kollegen mit ihren persönlichen Problemen und in Härtefallsituationen angesprochen. Es gibt Existenzängste“, so Marlow-Buchholz. Zuletzt lag die durchschnittliche Präsenz in der neuen Firmenzentrale bei etwa 30 Prozent, die meisten Otto-Beschäftigten kommen an den Wochentagen Dienstag, Mittwoch und Donnerstag.

Schon in den mehr als 250 Beiträgen im Intranet vor dem Townhall-Meeting hatten nach Abendblatt-Informationen viele Otto-Beschäftigte ihr Unverständnis für die Vorstandsvorstellungen deutlich gemacht. Bei dem überwiegenden Teil herrscht eine Mischung aus Ärger, Wut und Enttäuschung. Eine Beschäftigte nannte die Reaktionen im Firmennetzwerk einen „Shitstorm“.

Otto-Beschäftigte kritisieren Kommunikationsstrategie

Auch bei der mit etwa 3000 Beschäftigten außergewöhnlich gut besuchten Versammlung sei in teils sehr emotionalen Wortbeiträgen deutlich geworden, dass vor allem IT-Spezialisten durch die neue 50-Prozent-Reglung Nachteile für ihre Arbeit und die Produktivität bei dem Onlinehändler sehen, erfuhr das Abendblatt. In der vergangenen Woche hatte es weitere Beiträge im Intranet zu dem Thema gegeben, das das Unternehmen aktuell mehr beschäftigt als die (positive) Umsatzentwicklung, die Black-Friday-Aktionen und das Weihnachtsgeschäft. Explizit wird demnach der Verlust von Werten und Integrität beklagt, auch an der Kommunikationsstrategie wird deutliche Kritik geäußert. Quasi ein Kulturschock während des Kulturwandels.

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Otto: Negative Bewertungen auf Jobportal Kununu

Nach eigenen Angaben setzt Otto unverändert auf ein hybrides Arbeitsmodell. Aber, so ein Firmensprecher: „Otto ist kein Remote-Only-Unternehmen. Sozialer Kitt und eine emotionale Identifikation mit dem Unternehmen wurden und werden durch Zusammenarbeit in Präsenz maßgeblich positiv beeinflusst.“ Offenbar ist der Vorstand von den Reaktionen der Beschäftigten überrascht worden. Befürchtungen, dass die neuen Homeoffice-Regeln zu einem Arbeitsplatzabbau führen sollen, waren in der Beschäftigtenversammlung zurückgewiesen worden.

Auswirkungen hat die Homeoffice-Debatte inzwischen auch auf das Image des Onlinehändlers. Auf dem Job-Bewertungsportal Kununu gibt es seit Anfang November mehr negative Stimmen zu Otto als in früheren Zeiten, vor allem auch zur geplanten Präsenzpflicht. Das Bewertungsergebnis sank von 4,1 in den beiden Vormonaten auf 2,7 im November. In keiner der zehn aktuellen Bewertungen wird, anders als zuvor, die Aufnahme einer Beschäftigung empfohlen.

Otto-Homeoffice: Betriebsrat will schnelle Gespräche

Der Otto-Betriebsrat will noch vor Weihnachten Regeln fixieren, wie während der Orientierungsphase die Kontrolle von Präsenzzeiten ablaufen soll und Daten erhoben werden. Zum weiteren Prozess sagte Betriebsrätin Marlow-Buchholz: „Die bisherigen Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten sowie eine zusätzliche Reglungsabrede zu den Arbeitszeitabsprachen in den Teams sind nicht gekündigt und bestehen weiter. Wenn die 50-Prozent-Reglung umgesetzt werden soll, muss es Verhandlungen mit dem Betriebsrat geben, um die Betriebsvereinbarungen neu zu verhandeln.“