Hamburg. Kultoptiker ist mehr als 200 Jahre alt. Wie sich der Familienbetrieb gegen Fielmann und Co. positioniert – und was Brillengestelle kosten.

Elegante Schaufenster über die gesamte Ladenbreite, hinter zwei Vitrinen mit sorgsam drapierten Brillen öffnet sich der Blick in ein Fachgeschäft der besonderen Art: Campbell Optik am Neuen Wall. Schwere Mahagonischränke entlang der Wände, hinter Glas Regale mit weiteren handgefertigten Fassungen und dazwischen vier sogenannte Anpasstische. Das alles atmet gediegenen Luxus und viel Geschichte – und ist doch neu.

Der Hamburger Traditionsoptiker ist gerade umgezogen, residiert jetzt im Paulsenhaus knapp 100 Meter vom bisherigen Standort entfernt. Die Hausnummer hat sich geändert, die Straße nicht. Natürlich. Die gute Adresse ist Grundlage des Geschäftsmodells des vor mehr als 200 Jahren gegründeten Betriebs, der seit 1842 am Neuen Wall beheimatet ist. „Wir behaupten uns im Mikrofeld der Optik, die heute fast ausschließlich als billig verstanden wird“, sagt Firmeninhaber Dietrich Paulick.

Campbell am Neuen Wall in Hamburg: Jetzt übernehmen die Töchter

Der Umzug war keine leichte Entscheidung und lange geplant. Mit seinen Töchtern Klara (28) und Luise (26) steht der Inhaber des Familienbetriebs im hinteren Bereich des Ladens vor einer weißen Wand mit Fensterscheiben, die an die Ausstattung früherer Kontore erinnert und hinter der sich die Werkstatt und Räume für Sehtests verbergen. „Wir sind hier sichtbarer, alles ist größer und heller“, sagt Luise Paulick. Die Möbel sind die alten. „Die Kunden sollen ins bekannte Geschäft kommen.“ Dass man in diesem Teil des Neuen Walls vorfahren kann, auch im Wagen mit Fahrer, ist dabei durchaus ein Kriterium.

Optiker Campbell
Traditionsoptiker Campbell ist nach Umbau in ein neues Ladenlokal am Neuen Wall 72 gezogen. Zuletzt war das Unternehmen an einem Interimsstandort in den früheren Räumen des Geschäfts Ewige Lampe. © FUNKE Foto Services | Mark Sandten

Nicht umsonst zählt sich Campbell zu „den ältesten und renommiertesten Brillenfachgeschäften der Welt“. Der Optiker, 1816 von dem aus London eingewanderten Schotten William Campbell in Hamburg gegründet, verkauft nahezu ausschließlich eigene handgefertigte Brillengestelle aus Acetat, Stahl, Büffelhorn und Gold. Die Preise liegen zwischen 500 und 2000 Euro, natürlich ohne Gläser.

Optiker Campbell
Der Schotte William Campbell (vorne sitzend) hatte das Unternehmen 1816 in Hamburg gegründet. © FUNKE Foto Services | Mark Sandten

Von jedem Modell gibt es nur wenige Hundert Stück, die in Werkstätten in Deutschland und der Schweiz gefertigt werden. Um die optimale Passform zu gewährleisten, sind die Gestelle in Millimeterabstufungen bestellbar. Auch bei der Verarbeitung der Gläser setzt der Optiker auf Premiumqualität und modernste Technik. Das ist weder so billig noch so schnell wie bei vielen Konkurrenten, mindestens zwei Wochen dauert die Anfertigung einer Campbell-Brille. „Unsere Kunden sind Menschen, die eine wirklich gute Brille haben möchten“, sagt Dietrich Paulick. Auch zahlreiche Promis tragen die besonderen Brillen. Namen sind natürlich Geheimsache. Schließlich sind „Exklusivität und Individualität“ die wichtigsten Säulen für die Entwicklung.

Neue Chefinnen mit Meistertitel und Hochschulabschluss

Das sehen auch seine beiden Töchter nicht anders. Mit dem Ortswechsel läutet der Kultoptiker am Neuen Wall auch die nächste Phase der Firmengeschichte ein. Luise und Klara, die als Augenoptikermeisterinnen und als studierte Optometristinnen schon länger im Unternehmen arbeiten, wollen Campbell in dritter Generation übernehmen. „Es war immer klar, dass ich in die Augenoptik will“, sagt Luise Paulick, die ihre Ausbildung am früheren Standort im Hildebrandhaus gemacht hat. Auch Klara Paulick hat neben ihrem Studium in Berlin in der Filiale am Ku’damm gejobbt. „Wir sind hereingewachsen“, sagt die ältere und ruhigere der Schwestern.

Ihr Großvater Friedrich Paulick hatte den Traditionsoptiker 1977 von den Vorgängern erworben. Seit 1999 gibt es den Laden in Berlin. Unter dem Namen Friedrich’s Optik verkauft die Familie, nachdem Senior Friedrich Paulick ausgewandert war, vom deutschen Unternehmen abgekoppelt in drei Läden in New York, Washington und Palm Beach die exklusiven Brillen „made in Germany“. Ein Geschäft in Stuttgart war während der Corona-Pandemie geschlossen worden. Auch weil gutes Fachpersonal fehlt.

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„Der Beruf hatte früher das Renommee von Apothekern. Mit den großen Optikerketten ist das verloren gegangen“, sagt Paulick. Aktuell beschäftigt Campbell außer der Familie vier Menschen in Hamburg und drei in Berlin. Den Jahresumsatz beziffert der Firmeninhaber auf 1,8 Millionen Euro.

Die vergangenen Jahre waren nicht einfach. Auch weil die Kauflaune nach Corona und in Zeiten von Kriegen und Katastrophen nur langsam wieder steigt. Das gilt auch für Brillen. Parallel musste die Familie sämtliche Corona-Hilfen zurückzahlen. Dazu kommen steigende Mieten am Neuen Wall. „Es ist eine Herausforderung, in diesem Umfeld wirtschaftlich zu arbeiten“, sagt Paulick.

Kultoptiker am Neuen Wall: Jetzt übernehmen die Töchter

Mit dem Umzug sehen er und seine Töchter neues Wachstumspotenzial, wollen in Zukunft auch mehr jüngere Kunden ansprechen. „Ich liebe, was ich tue“, sagt Luise Campbell. Sie hat nicht nur Fachkompetenz und die Produktnummern aller Modelle im Kopf, sondern offenbar auch einen guten Blick. „Meistens ist es die erste Brille, die ich für einen Kunden oder eine Kundin aussuche, die es am Ende wird.“