Hamburg. Sie haben ein spezielles Angebot und eine besondere Atmosphäre – und trotzen so dem Geschäftesterben. Heute: Campbell Optik.

Das Internet hat längst auch die Optikerbranche verändert: Eine Wartezeit von nur noch 24 Stunden auf die neue Brille ist keine Seltenheit mehr. Bei Campbell am Neuen Wall dagegen gelten andere Zeitmaßstäbe. „Die Anfertigung eines individuellen Gestells dauert etwa vier Wochen“, sagt Firmeninhaber Dietrich Paulick. Gegründet im Jahr 1816 von dem aus London eingewanderten Schotten William Campbell und seit 1842 in unterschiedlichen Adressen am Neuen Wall beheimatet, zählt sich das Unternehmen zu den „ältesten und renommiertesten Brillenfachgeschäften der Welt“.

Doch auch im Hinblick auf Exklusivität hat Paulick andere Vorstellungen als die meisten Branchenkollegen. Bei Campbell finden sich keine Luxusmarkennamen wie Gucci oder Prada. Abgesehen von einer kleinen Kollektion „wertiger Fremdmarken“ besteht das Angebot nahezu ausschließlich aus handgefertigten Gestellen aus Acetat, Stahl, Büffelhorn oder Edelmetall unter dem Namen des Geschäfts.

Brillen in Kleinstserie

„Davon gibt es jeweils nicht mehr als 500 Stück“, sagt Paulick. Er bezieht sie von vier Werkstätten aus Deutschland und der Schweiz, die jeweils nur mit einem Material arbeiten: „Diese Manufakturen sind alle so klein, dass wir bei ihnen ein großer Kunde sind.“ Der Unterschied zu Großserienbrillen liege dabei keineswegs nur im Namen, so der Firmenchef: „Bei uns gibt es hochreines Titan mit weniger als drei Prozent anderen Metallen als Beimischung.“

Um eine optimale Passform zu gewährleisten, seien die Gestelle in Millimeterabstufungen bestellbar. „In dieser Individualität habe ich die Zukunft für das Unternehmen gesehen“, sagt der 52-jährige, der das Geschäft vor etwa zwei Jahrzehnten von seinem nun in den USA lebenden Vater übernommen hat. Billig ist eine Brille von Campbell nicht. Einschließlich der Gläser erreicht der Preis nicht selten den vierstelligen Bereich, aber auch fünfstellige Beträge sind bei Goldgestellen durchaus möglich.

Kunden kommen aus Übersee nach Hamburg

Den typischen Campbell-Kunden beschreibt Paulick so: „Das ist ein gebildeter, konsequenter Mensch, dem sehr bewusst ist, dass er unser Produkt tagtäglich mitten im Gesicht trägt.“ Manche der langjährigen Kunden leben auf einem anderen Kontinent und schauen bei ihren Hamburg-Besuchen herein. Hinter der Jugendstilfassade des Hildebrandhauses, im Geschäft selbst, springt die lange Tradition des Optikers – bei Campbell kaufte schon Bismarck seine Brillen – nicht direkt ins Auge: Trotz der Schränke und Regale aus Mahagoni wirkt der Raum hell, geradlinig und aufgeräumt. Die Anpass-Tische im hinteren Teil, an denen sich der Kunde und ein Mitarbeiter gegenübersitzen, seien von Campbell vor rund 100 Jahren in der Branche eingeführt worden, so Paulick.

Weil die Menschen, wie man heute wisse, rund 70 Prozent aller Informationen aus ihrer Umwelt über die Augen aufnehmen, bleibt die Augenoptik nach seiner Einschätzung auch in Zukunft ein „spannendes Arbeitsfeld“. Davon sind offensichtlich auch seine Kinder überzeugt: Tochter Luise arbeitet nach ihrer Ausbildung ebenfalls im Hamburger Geschäft, ihre ältere Schwester studiert Optometrie in Berlin.

Campbell gibt es auch in Berlin und in Stuttgart

Was viele der Kunden wohl nicht wissen: Campbell hat seit 1999 eine Filiale in Berlin, später kam noch ein Geschäft in Stuttgart hinzu. Paulick kann sich durchaus vorstellen, weitere in anderen deutschen Großstädten zu eröffnen: „München, Frankfurt sowie Düsseldorf wären naheliegend.“ Könnte man die Fixkosten auf zusätzliche Niederlassungen verteilen, täte das der Profitabilität gut.

Allerdings sei das Personal der Engpassfaktor: „Wenn ich beliebig viele gute Mitarbeiter finden könnte, hätte ich nicht drei Läden, sondern eher 30.“ In der Branche beklagen auch andere, dass sich nicht genügend junge Menschen für eine Ausbildung zum Augenoptiker interessieren. Paulick hat eine Idee, woran das liegen könnte: „Der Beruf hatte einst ein Renommee wie das von Apothekern. Mit den großen Optikerketten ist das verloren gegangen.“

Die hohen Mieten vertreiben Traditionsläden

Doch sei es eben auch nicht einfach, so hochwertige Brillen zu verkaufen wie die von Campbell. In der Beratung sei häufig einiges an Einfühlungsvermögen und Takt gefragt, denn: „Wenn ein Kunde viel Geld bezahlt, erhöht das die Erwartungshaltung an das Produkt.“ Zudem hätten die Geschäftspraktiken großer Onlinehändler, die einen Teil der zurückgeschickten Waren schlicht vernichten, das Bewusstsein verändert. „Mich ärgert diese Wegwerfmentalität, die gelegentlich auch auf echte Qualitätsprodukte übergreift“, sagt Paulick. So komme es vor, dass Kunden die Rücknahme individuell angefertigter Brillen fordern.

Für Campbell ist jedenfalls kein Onlineshop vorgesehen. „Das Internet soll für uns künftig aber die Rolle des digitalen Schaufensters spielen“, sagt der Firmenchef. Er wünscht sich, dass Interessierte dann selbst Details der angebotenen Brillen vorab sehen können. Darüber spreche man derzeit mit Fachleuten.

Rasanter Anstieg der Ladenmieten

Online-Konkurrenz muss dem Inhaber des Traditionsgeschäfts zwar keine Sorge machen, wohl aber der Standort. Durch die steigende Zahl der Großveranstaltungen in der Stadt leide die Erreichbarkeit, so Paulick. Bedrohlicher ist jedoch der rasante Anstieg der Ladenmieten am Neuen Wall in der jüngsten Zeit: „Verhandlungen über die Miete sind mittlerweile eine existentielle Sache.“ Seien früher Mietkosten von sieben bis zehn Prozent des Umsatzes üblich gewesen, müsse man heute schon glücklich sein, wenn sie weniger als 20 Prozent ausmachen.

Andererseits könne ein Geschäft wie Campbell auch nicht einfach in eine weniger teure Lage umziehen: „Wenn man High-End-Produkte anbietet, ist der Standort sehr, sehr wichtig. Wir müssen hier aber auch unser Geld verdienen, anders als die Flagship-Stores von Online-Anbietern.“ Traditionsgeschäfte wie der Möbelhändler Bornhold, das Wäschehaus Möhring und der Herrenausstatter Ladage & Oelke sind in den vergangenen Jahren weggezogen. Das dürfe so nicht weitergehen, findet Paulick: „Wenn der Neue Wall irgendwann aussieht wie der Shoppingbereich eines internationalen Flughafens, dann macht das Hamburg ärmer – und dann bekomme ich wirklich Angst um unser Produkt.“´