Hamburg. In Rahlstedt eröffnet eine der ersten Fabriken, die eine Wasserstoff-Produktion im großen Stil ermöglicht. Auch der Kanzler ist dabei.
Seine Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen hat Olaf Scholz nie verschwiegen, im Gegenteil: Als überzeugter Sozialdemokrat kokettiert er bisweilen damit. „Die meisten von uns wussten, wo beim Nachbarn das Klo ist, und wir hatten keine schreckliche Kindheit“, rief er als Bürgermeister 2016 seinen Genossen auf dem Landesparteitag der Hamburger SPD zu, um so für günstige Serien-Wohngebäude mit immer gleichem Grundriss zu werben.
Obwohl Scholz in Osnabrück geboren ist, hat sich diese Kindheit weitgehend im Hamburger Stadtteil Rahlstedt abgespielt. Und dorthin kehrt der Bundeskanzler an diesem Montag mal wieder zurück. Wenn er sich von der A1 im Osten nähert, wird er die Gegend mutmaßlich kaum wiedererkennen, denn dort, wo südlich der Stapelfelder Straße früher Wiesen dominierten, auf denen möglicherweise auch der kleine Olaf mal herumgestromert ist, entsteht derzeit mit dem Victoria-Park ein großes Gewerbegebiet.
Olaf Scholz: Neue Wasserstoff-Fabrik in seiner alten Heimat
Das Gebäude, das der Fahrer des Kanzlers ansteuern wird, liegt in der hintersten Ecke des Areals und wirkt auf den ersten Blick wie eine große Logistikhalle. Der Eindruck täuscht nicht, denn als solche war sie ursprünglich mal geplant worden. Doch dann stieg die Firma Quest One als Mieter in das Projekt ein, ließ die 12.000-Quadratmeter-Immobilie umplanen und hat dort nun ganz andere Pläne: Hier, im Osten Hamburgs, soll ganz handfest an der Energiewende gearbeitet werden.
Denn Quest One, das bis vor kurzem unter dem Namen H-Tec firmierte, produziert dort von Montag an sogenannte PEM-Stacks. Das sind gestapelte und gepresste Membranen (PEM steht für Protonenaustausch-Membran), und diese „Stapel“ sind das Kernstück von Elektrolyseuren, jenen Anlagen, die Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten können – und damit eines der Zukunftsprodukte der Energiewende herstellen.
In Rahlstedt entstehen „Stacks“ für die Wasserstoff-Produktion
Das Besondere an der Fabrik in Rahlstedt und damit der Anlass für den Kanzler-Besuch zur Eröffnung: Während solche Stacks bislang nur mit viel Aufwand und in kleinen Stückzahlen hergestellt werden konnten, geht es jetzt an die Produktion in Großserie. Das macht bislang nur Siemens Energy, die ihre „Gigafactory“ in Berlin einige Monate früher in Betrieb genommen haben – sie sei aber kleiner als die in Rahlstedt, heißt es selbstbewusst bei Quest One.
Das 1997 gegründet Unternehmen mit Sitz im benachbarten Braak in Schleswig-Holstein fertigt bereits Stacks, allerdings noch von Hand. Die rund 70 Membranen unterschiedlicher Struktur zu einem Stack zu pressen, dauere derzeit noch rund vier Stunden, erklärt Vorstandschef Robin von Plettenberg. Mit den ersten zwei Produktionslinien der neuen Fabrik schaffe man das innerhalb von 45 Minuten. Und das sei erst der Anfang.
Spätestens 2030 soll die neue Produktion ausgelastet sein
„Wir planen einen großen Hochlauf“, sagt von Plettenberg bei einem exklusiven Firmenrundgang mit dem Abendblatt. „Anfangs wollen wir pro Jahr Stacks mit einer Elektrolyse-Leistung von einem Gigawatt herstellen, später das Fünffache. Spätestens 2030 sollten die Kapazitäten hier am Anschlag sein.“ Daher wirken die zwei Anlagen von der Größe eines kleinen Bungalows in der riesigen Halle derzeit auch noch etwas verloren. Doch Sorgen, dass die Fabrik noch nicht ausgelastet ist, müsse man sich keine machen, so von Plettenberg: „Wenn das jetzt schon der Fall wäre, bräuchten wir ja bereits eine neue Halle.“
Zur Einordnung: Der große Elektrolyseur, den die Hamburger Energiewerke auf dem Gelände des früheren Kohlekraftwerks Moorburg bauen und für den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich die Bundesförderung überbracht hat, soll anfangs eine Leistung von 100 Megawatt haben – also ein Zehntel dessen, was die Stacks aus Rahlstedt schon in der ersten Stufe pro Jahr liefern können.
Firma Quest One investiert 500 Millionen Euro in Hamburg
Doch auch unabhängig vom geplanten Ausbau sei dieses Projekt „eine große Herausforderung“, räumt der Vorstandschef ein. „Wir stampfen hier etwas aus dem Boden, das es so noch nicht gibt. Daher geht auch mal etwas schief“, so von Plettenberg. Dennoch haben man vom ersten Spatenstich bis zur Eröffnung nur 15 Monate benötigt: „Das ist herausragend schnell.“
Stolze 500 Millionen Euro investiert das Unternehmen in den neuen Produktionsstandort. Möglich ist das für die zwar schnell wachsende, aber mit rund 600 Mitarbeitern immer noch relativ kleine Firma nur, weil sie zum großen Industriekonzern MAN gehört, der wiederum Teil der VW-Familie ist. Diese Großkonzerne sehen in grünem Wasserstoff unter anderem einen möglichen Antrieb der Zukunft für ihre Nutzfahrzeuge: So will MAN als erster europäischer Lkw-Produzent 2025 eine Kleinserie mit Wasserstoff-Verbrennern auf den Markt bringen.
Elektrolyse-Stacks werden von Hamburg nach Augsburg geliefert
Von Plettenberg nennt weitere Anwendungsgebiete: „Schifffahrt, Stahl- oder Düngemittelproduktion – in vielen Branchen kann die Energiewende nur mithilfe von Wasserstoff gelingen.“ Noch seien die Kosten dafür zwar hoch, räumt er ein: „Aber wir können sie massiv senken, indem wir endlich anfangen, grünen Wasserstoff in großen Mengen zu produzieren.“ Genau dafür entsteht die Fabrik in Rahlstedt.
Von dort aus gehen die Stacks, pro Stück 142 Kilogramm schwer, ins Quest-One-Werk nach Augsburg, wo sie in die dort produzierten Elektrolyseure eingesetzt werden. So entstehen komplette Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff, zum Beispiel mit einem Megawatt Leistung in einem 40-Fuß-Container. Rund 50 Stück davon habe man bereits verkauft, so von Plettenberg. Künftig wolle man auch deutlich größere Anlagen produzieren.
In Moorburg entsteht ein 100-Megawatt-Elektrolyseur
Theoretisch hätte Quest One auch den Elektrolyseur für Moorburg liefern können, was ja im wahrsten Wortsinn nahegelegen hätte. Doch diese Ausschreibung kam zu früh für das Unternehmen, und so vergaben die Hamburger Energiewerke den Auftrag kürzlich an Siemens Energy. 2027 soll die 100-Megawatt-Anlage ihren kommerziellen Betrieb aufnehmen und rund 10.000 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren. Als „grün“ und damit klimaneutral gilt Wasserstoff, wenn er mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt wird.
Ohnehin ist die Nachfrage nach Elektrolyseuren derzeit noch überschaubar. „Die Energiewende ist ein dickes Brett, da muss vieles zusammenkommen, damit wir das durchgebohrt bekommen“, räumt von Plettenberg ein. „Infrastruktur, Regulatorik, Finanzierung, Abnehmer sowie Förderung – das alles muss passen, damit die Wasserstoffwirtschaft hochläuft. Aktuell bleibt sie hinter den optimistischen Erwartungen zurück.“
Quest-One-Chef: „Wir brauchen noch viele solcher Fabriken“
Mit anderen Worten: Die 500-Millionen-Investition in Rahlstedt ist, wie so viele Projekte der Energiewende, auch eine Wette auf die Zukunft – im übrigen auch der Bundesregierung, die das Projekt mit 13,5 Millionen Euro fördert. Von Plettenberg geht aber davon aus, sie zu gewinnen: „Wir sind überzeugt von dem, was wir hier tun“, sagt der 48-Jährige, der dabei auch an seine vier Kinder denkt: „Wenn wir die Industrie dekarbonisieren wollen – und dazu gibt es aus unserer Sicht keine Alternative – dann brauchen wir gigantische Mengen an grünem Wasserstoff. Und dafür werden wir noch viele solcher Fabriken benötigen.“
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Bis Unternehmen wie Quest One die Gewinnzone erreichen, ist also noch etwas Geduld gefragt – und ein langer Atem, wie ihn die Großkonzerne im Hintergrund haben. „Wir haben jetzt die Basis geschaffen, um große Projekte und Volumina abarbeiten zu können“, beschreibt der Vorstandschef die Situation und gibt das Ziel aus: „In den kommenden Jahren wollen wir genau damit profitabel werden.“
Olaf Scholz in Rahlstedt: Rückendeckung für Wasserstoff-Fabrik
Dass es ähnlich wie bei der Solarenergie läuft, bei der Deutschland auch mal führend war, bevor die Technologie nahezu komplett nach China abwanderte, sei nicht auszuschließen: „Ja, die Gefahr gibt es“, sagt von Plettenberg. „Daher brauchen wir die Rückendeckung der Politik und gute Rahmenbedingungen. Dann kann Deutschland bei dieser Zukunftstechnologie weltweit vorn mitspielen.“ Diese Rückendeckung kommt zur Eröffnung persönlich vorbei – in Person des Bundeskanzlers, dem Jungen aus Rahlstedt.