Hamburg. 500 Millionen Euro werden in Rahlstedt investiert, bis zu 300 Arbeitsplätze sind geplant. Warum das Projekt einzigartig ist.

Ein planiertes Baufeld ganz im Nordosten Hamburgs, am Ende von Rahlstedt, direkt an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist einst in einem benachbarten Wohngebiet aufgewachsen, vielleicht hat er auf der Brache, über die jetzt eine Reihe von Anzugträgern stapfen, sogar gespielt.

Kein schlechter Ort, um etwas Neues zu beginnen. Und das, was hier in weniger als einem Jahr stehen soll, ist wirklich neu. Die Firma H-Tec Systems aus dem nahe gelegenen Braak will hier eine Fabrik für die automatisierte Herstellung von Elektrolysestacks errichten. Es ist in dieser Größe die erste in Deutschland. Am Mittwoch erfolgte der Spatenstich.

Will die Menschheit den Klimawandel abmildern, benötigt sie dringend grünen Wasserstoff als CO2-neutralen Brennstoff. Hergestellt wird er in Elektrolyseuren, deren Herzstück eben jene Stacks sind. Wie der englische Name vermuten lässt handelt es sich um Stapel von Elektrolysezellen, in denen Wasser in einem chemischen Prozess in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird.

Grüner Wasserstoff: In Hamburg entsteht eine Zukunftsfabrik

So etwas Ähnliches existiert bereits. In vielen Staaten weltweit, auch in Deutschland. Doch fast alle Anlagen befinden sich noch im Versuchsstadium. Die Firma H-Tec Systems stellt die Elektrolysestacks kommerziell her – bislang per Hand in einer kleinen Manufaktur. „Das hier wird etwas völlig anderes“, sagt Firmenchef Robin von Plettenberg und zeigt auf das Baufeld vor sich. „So etwas gibt es noch nicht.“

Neben Plettenberg steht Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender von MAN Energy Solutions. Lauber ist der Geldgeber des Projekts und eigentlich auch Plettenbergs Chef, denn H-Tec Systems ist eine MAN-Tochter. „Für einen erfolgreichen Wasserstoff-Hochlauf müssen wir von der Stack-Manufaktur zur automatisierten Serienfertigung kommen. Und dafür setzen wir heute den ersten Spatenstich“, sagt er.

Gemeinsam begrüßen die beiden den Dritten im Bunde, Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Dann greifen sie nach dem Spaten und schippen etwas Sand auf das Baufeld. „Hamburg will ein bedeutender Standort der Wasserstoffwirtschaft werden“, sagt Dressel. „Und das hier ist ein wichtiger Schritt dahin.“ Dann dankt er den Projektpartnern. Die wollen nämlich beim Hochlauf der Fertigung rund 300 Arbeitsplätze schaffen.

MAN investiert eine halbe Milliarde Euro in Hamburg

Eine halbe Milliarde Euro verbuddeln die drei Spatenstecher symbolisch. So hoch ist die Investitionssumme, die MAN in Forschung und Entwicklung, Bau und Vertrieb der Elektrolysezellen in das neue Hamburger Werk steckt. Dass sich die Summe schnell amortisieren wird, steht für Plettenberg außer Frage. Wasserstoff gilt als ein Schlüssel zur Klimaneutralität. Luftfahrt, Schifffahrt, Schwerlastverkehr, Grundstoffindustrie – die Nachfrage nach Wasserstoff als Brennstoff der Zukunft ist immens. „Die Nachfrage der Kunden nach Elektrolyseuren ist bereits riesig.“

Und Konkurrenz ist in Deutschland praktisch kaum vorhanden. Außer dem Siemens-Konzern, der wie MAN größere Summen in die Stack-Herstellung investiert, gibt es noch keine industrielle Elektrolyseur-Produktion. H-Tec Systems stellt derzeit Elektrolysestacks für eine jährliche Leistung im zweistelligen Megawattbereich her. In der neuen Fabrik sollen Elektrolysestacks mit einer Gesamtleistung von fünf Gigawatt pro Jahr produziert werden.

Diese werden dann nach Augsburg in ein weiteres Werk transportiert, wo sie in die Elektrolyseure eingebaut werden. Hamburg plant derzeit den Bau eines Elektrolyseurs mit der vergleichsweise bescheidenen Leistung von 100 Megawatt im Jahr. Allerdings wird schon die Erweiterung auf 800 Megawatt in Aussicht gestellt. Auch die Hansestadt könnte also Kunde werden.

Fabrik soll in einem Jahr fertig sein

Ansonsten hat Plettenberg vor allem Tankstellen, große Fuhrparks und Industrieproduktionen im Auge, an denen Anlagen zur Wasserstoff-Herstellung bald gebraucht würden. Noch sei es nicht so weit, gibt der Unternehmenschef zu. Viele Kunden warteten noch in Lauerstellung ab bis die EU mit der entsprechenden Erneuerbare-Energien-Richtlinie II grünes Licht gebe. „Die Richtlinie wird demnächst verabschiedet.“

Die neue Fabrik erhält eine 11.400 Quadratmeter große Fertigungshalle sowie 6200 Quadratmeter für Büros und Sozialräume. Weil hier Produkte für die Energiewende gefertigt werden, ist das Gebäude selbst nach Nachhaltigkeitsstandards gebaut. Auf dem Dach sowie auf einem angrenzenden Parkhaus werden eine Photovoltaikanlage installiert. Die Beheizung erfolgt über Fernwärme. Pkw-Stellplätze erhalten Ladesäulen. Zisternen sammeln das Regenwasser für die Bewässerung der umliegenden Grünanlagen, eine 300 Quadratmeter große Dachterrasse lädt zum Verweilen in der Pause ein.

Standort ist der in der Entstehung befindliche Victoria Gewerbepark. Auch die umliegenden Gebäude anderer Firmen entstehen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. „Das wird der neue Standard für Gewerbeflächen sein“, sagt Finanzsenator Dressel, der darüber hinaus betont, dass die Realisierung eines so großen Projekt angesichts der derzeitigen Baukrise etwas Besonderes sei.

Grüner Wasserstoff: Die Herstellung steckt immer noch in Kinderschuhen

Damit alles rasch verwirklicht wird, sind zwei mittelständische Hamburger Familienunternehmen mit von der Partie, die extra ein Joint Venture gegründet haben: der Spezialist für Logistik- und Technologieimmobilien Garbe und die für Industriebauten bekannte Jebens Gruppe. Bereits Ende 2023 soll die Immobilie stehen. Ende Mai 2024 ist dann die Fertigstellung geplant. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, um die serienmäßige Produktion von Elektrolyseuren anzuschieben, sodass der grüne Wasserstoff schnell bezahlbar wird.

Denn auch das darf nicht verschwiegen werden: Noch steckt die Produktion von grünem, also regenerativ erzeugtem Wasserstoff in den Kinderschuhen und ist auch sehr teuer, denn zur Herstellung benötigt man grünen Strom. Und der kostet hierzulande noch viel Geld. Laut Prognosen der Deutschen Energie-Agentur (dena) besteht aber bis 2030 ein Bedarf von etwa 90 bis 110 Terawattstunden an grünem Wasserstoff. Die Bundesregierung will bis 2030 immerhin Elektrolysekapazitäten von mindestens zehn Gigawatt aufbauen. Dieses Zukunftstechnologie hat noch einen weiten Weg vor sich.