Hamburg. Das ökonomische Herz der Stadt schlägt nicht mehr so kraftvoll wie früher. Was in den kommenden Jahren zu tun ist. Eine Analyse.
Es tut sich wieder etwas im Hamburger Hafen. Nach Jahren der Stagnation und politischer Inaktivität sendet Norddeutschlands größte logistische Drehscheibe wieder positive Signale. Man mag zu dem umstrittenen, geplanten Einstieg der Schweizer Reederei MSC beim Hafenkonzern HHLA stehen, wie man will, eines hat die Nachricht geschafft: Sie hat neue Fantasien freigesetzt.
Nicht ohne Grund verhandelt HHLA-Konkurrent Eurogate derzeit mit der französischen Großreederei CMA CGM über die Westerweiterung des Terminals im Waltershofer Hafen. Und auch von der chinesischen Reederei Cosco, die mit 24,9 Prozent am HHLA-Containerterminal Tollerort beteiligt ist, ist zu vernehmen, dass sie erwägt, ihr Engagement in Hamburg auszuweiten.
Drei große Herausforderungen belasten den Hamburger Hafen
Doch allein mehr Ladung wird den Hafen aus seiner Agonie nicht retten. Der jüngste Container Port Performance Index (CPPI) der Weltbank, der anhand zahlreicher Kriterien die Leistungsfähigkeit von international vernetzten Containerhäfen bewertet, listet Hamburg auf Platz 121, im direkten Umfeld des kleinen ägyptischen Hafens Sokhna und des Hafens von Siam, vor allem aber weit hinter den Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen. Zum Vergleich: Wilhelmshaven landet auf Rang 72.
Um die Leistungsfähigkeit Hamburgs zu steigern, müssen aber vor allem die Rahmenbedingungen verbessert werden. Diese drei Herausforderungen gilt es nun vor allem anzupacken:
Rotterdam ist bei der Automatisierung deutlich weiter als Hamburg
Es ist vier Jahre her, dass die beiden großen Hamburger Terminalbetreiber HHLA und Eurogate das erste Mal einräumten, in der Produktivität und Effizienz ihrer Ladungsabfertigung hinter der Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen hinterherzuhinken. Der Hafen in Antwerpen schaffe beim Laden und Löschen 30 bis 32 Containerbewegungen pro Stunde. In Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven seien es nur 20 bis 25, hieß es damals bei Eurogate. Doch während Eurogate es dabei beließ, in Hamburg die Kosten zu senken und Doppelstrukturen im Management abzubauen, begann die HHLA damit, ihre Terminals zu modernisieren und das Containerterminal Burchardkai zu automatisieren.
Automatisierung allein reicht nicht, es müssen auch die Personalstrukturen erneuert werden, warnt Jan Ninnemann, Logistik-Professor an der Hamburg School of Business Administration (HSBA). „Rotterdam ist in Sachen Automatisierung sehr viel weiter als Hamburg und hat sich als extrem produktiv herausgestellt. Doch Automatisierung ist nicht alles: Antwerpen ist ebenfalls effizienter als Hamburg. Dort sind die Terminals aber kaum automatisiert. Antwerpen hat geringere Mitarbeiterkosten und eine höhere Produktivität der einzelnen Mitarbeiter. Hier ist der Hamburger Hafen noch stark optimierungsbedürftig“, sagt Ninnemann.
Sowohl Rotterdam als auch Antwerpen sind produktiver
Die HHLA versuche, mit operativen Anpassungen – wie zum Beispiel Schichtmodellen –, die Arbeitszeiten den heutigen Anforderungen anzupassen, aber das Ganze sei sehr schwerfällig. „Benötigt ein Mitarbeiter, der an einem automatisierten Terminal seine Arbeit mit einem Joystick erledigt, die gleichen Pausenzeiten wie zuvor, als er an der Kaikante schwere körperliche Arbeit verrichtete?“
Auch das Containerterminal Eurogate, in das in den vergangenen Jahren fast gar nicht mehr investiert worden war, müsse produktiver werden. „Insofern ist es zwingend notwendig, dass es sich einen Partner sucht, mit dem es diese Modernisierung stemmen kann“, sagt Ninnemann, der die Ankündigung des Unternehmens begrüßt, Gespräche mit der Reederei CMA CGM zu führen.
Unruhe bei Arbeitnehmern: Sorge um Jobverlust
Schließlich müssen die Arbeitnehmer mitgenommen werden. Bei der HHLA sollen bis zu 800.000 Arbeitsstunden wegfallen. Wie schwierig dieser Prozess ist, zeigt eine jüngst geschlossene Betriebsvereinbarung für den Burchardkai. Hier will die HHLA die sogenannten Horizontaltransporte automatisieren. Das bedeutet, dass die Container nach dem Abladen vom Schiff künftig nicht mehr von Van Carriern, die von Fahrern gesteuert werden, zum Lager transportiert werden sollen, sondern von selbstfahrenden, autonomen Fahrzeugen. Mehr als 200 Stellen fallen langfristig weg.
Bei den Arbeitnehmern herrscht Unruhe. Sie sorgen sich um ihre Stellen und langfristig grundsätzlich um den Beruf des Hafenarbeiters. Deshalb müssen Veränderungen langfristig geplant werden. Insgesamt rechnet Ninnemann damit, dass die Modernisierungsprozesse in Hamburg noch bis in die 2030er-Jahre hinein dauern könnten.
Ausbau der Infrastruktur nur schleppend
Noch länger dauert es, bis eine der wichtigsten Hinterlandverbindungen aus dem Hafen erneuert ist: die Köhlbrandbrücke. Hier hat der Senat inzwischen Nägel mit Köpfen gemacht und sich endgültig für eine neue Brücke als Ersatzbau entschieden. Deren Fertigstellung wird allerdings erst zwischen 2042 und 2045 erwartet.
Hamburg müsse alle Möglichkeiten der Planungs- und Baubeschleunigung für die neue Köhlbrandbrücke ausschöpfen, mahnt HSBA-Professor Ninnemann. Er sieht sogar die Gefahr eines weiteren Ladungsverlusts: „Die Zahl der Staus nimmt zu, und das bleibt ein Problem. Am Ende könnten Verlader entscheiden, andere, schnellere Häfen auszuwählen.“
Zahl der Staus im Hafen wächst
Zur Steigerung des Hinterlandtransports gehört aber nach seinen Worten auch, dass die Verweildauer der Lkw auf den Terminals weiter gesenkt werde. „So wie das in den vergangenen Wochen sowohl bei der HHLA als auch bei Eurogate lief, geht es nicht weiter. Bei den Truckern liegen die Nerven blank“, so Ninnemann.
Der Senat sollte zudem beim Bund darauf hinwirken, das wichtige Teilstück der Autobahn A A26/Ost endlich in Angriff zu nehmen. Der Bau ist bereits planfestgestellt, doch haben Umweltverbände bereits Klage eingereicht. So könnte es auch hier zu jahrelangen Verzögerungen kommen.
Finanzierung Köhlbrandbrücke ungesichert
Zudem droht weitere Gefahr wegen finanzieller Unsicherheiten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im vergangenen Herbst den Nachtragshaushalt des Bundes wegen Verstoßes gegen die Schuldenbremse gekippt hatte, steht bundesweit die Finanzierung großer Projekte infrage. In Hamburg könnte etwa der Neubau der Köhlbrandbrücke betroffen sein.
Hinzu kommt, dass die Bundesregierung zwar kurz vor der Sommerpause den Haushalt verabschiedet hat, dessen Finanzierung aber noch Milliarden-Lücken aufweist. Immerhin die Hälfte der Baukosten der Köhlbrandbrücke in Höhe von bis zu 5,3 Milliarden Euro soll der Bund tragen.
Neue Kooperationen mit Reedereien schließen
Mit dem Vorhaben, bis zu 49,9 Prozent der HHLA an die Schweizer Reederei MSC zu verkaufen, hat der Hamburger Senat viele anderen Reedereikunden des Hamburger Hafens vor den Kopf gestoßen. Sie befürchten, dass MSC durch seine direkte Beteiligung am Unternehmen Zugriff auf Kundendaten seiner Konkurrenten gewinnen könnte. Zudem steht die Sorge im Raum, dass es künftig für sie schwieriger werden könnte, Abfertigungszeiten an den HHLA-Terminals zu erhalten.
Erschwerend kommen Verschiebungen in der Reedereilandschaft hinzu. Hamburgs Traditionsreederei Hapag-Lloyd hat – nicht zuletzt infolge des MSC-Deals der Stadt – beschlossen, die langjährige Allianz mit den japanischen Reedereien des Ocean Network Express (One), der koreanischen Hyundai Merchant Marine (HMM) und Evergreen aus Taiwan aufzugeben. Diese Verbindung von Hapag-Lloyd sicherte dem Hafen in der Vergangenheit auch Ladung der Partnerreedereien zu.
Im Februar 2025 kappt Hapag-Lloyd diese Verbindungen und geht eine neue Liaison mit dem dänischen Schifffahrtskonzern Maersk ein. Dabei soll der Hamburger Hafen keine bedeutende Rolle mehr spielen. Wollen die Hamburger Terminals den Ladungsverlust, der dadurch entsteht, möglichst gering halten, müssen sie ihre Verbindungen zu den asiatischen Reedereien neu aufstellen.
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So sagt auch Logistikprofessor Ninnemann: „Durch die Verschiebung der Reedereiallianzen und den vorgesehenen Einstieg von MSC, muss Hamburgs Hafen seine Kundenseite neu ordnen. Dabei ist es wichtig, weiter in Kooperationen zu denken und unbedingt auch die asiatischen Reedereien weiter an die Stadt zu binden. Dafür muss sich der Senat starkmachen.“
Den Anfang könnte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) machen, der Ende September nach Asien fliegen wird.