Hamburg. Hafenarbeiter klagen über Softwareprobleme und zu wenig Personal. Spediteure sind genervt. Es geht um viel Geld. Was die HHLA sagt.
Der Warnstreik der Hafenarbeiter in der vergangenen Woche war nur das Tüpfelchen auf dem „i“. Wenn der Geschäftsführer der Hamburger Speditionsfirma Konrad Zippel, Axel Plaß, aus dem Fenster seines Büros an der Wendenstraße schaut, bekommt er derzeit schlechte Laune. Er sieht dann nämlich unbeladene Lkw herumstehen. Und damit verliert er Geld.
Eigentlich müssten die Trucks jetzt im Hafen hin und her fahren, an den Terminals Container abholen oder dort welche hinbringen, aber sie kommen nicht in den Hafen hinein. Sie würden lediglich vor dem Tor auf einen Termin warten und damit die Zufahrt verstopfen. Deshalb stehen sie auf dem Hof der Spedition und warten dort auf ein Zeitfenster, dass der Spedition zugeteilt wird.
Hamburger Hafen in Not: Spediteure verlagern Ladung
So wie Konrad Zippel geht es derzeit vielen Speditionen, die mit dem Hamburger Hafen Geschäfte machen. Denn unabhängig vom Warnstreik in der vergangenen Woche sind die Abläufe im Hamburger Hafen seit Wochen massiv gestört. Wer Container anliefern will, muss dies zwischen 36 und 72 Stunden vorher anmelden, sonst bekommt der Truck kein Zeitfenster, um die Terminals anfahren zu dürfen. Und wer Container abholen will, steht stundenlang wartend auf dem Terminal, weil der Container nicht bereitsteht.
Anstatt vier benötigten Lkw für eine Umfuhr jetzt acht Stunden, sagt Plaß. Vier Stunden, um auf das Terminal gelassen zu werden und weitere vier Stunden, um ihre Stahlbox für den Weitertransport in Empfang zu nehmen. Dadurch würde sich auch die Zahl der möglichen Umfuhren am Tag halbieren und das kostet Geld. „600 bis 700 Euro verliert man, wenn ein Lkw einen Tag lang beschäftigungslos herumsteht“, so Plaß.
Hafenkonzerne geben Reedereien die Schuld
Der Abfertigungsstau im Hamburger Hafen sei so dramatisch, dass der Ausfallschaden inzwischen in die Millionen Euro gehe, sagt Plass. Immer mehr Verlader würden deshalb ihre Ladung über die Konkurrenzhäfen in Rotterdam und Antwerpen abfertigen. „Hamburg wird aktuell nur noch als Zielhafen gebucht, wenn andere europäische Häfen aus organisatorischen oder geografischen Gründen absolut ausscheiden.“
Die beiden großen Terminalbetreiber HHLA und Eurogate, wissen natürlich von den Problemen. Eurogate begründet den Abfertigungsstau vor allem damit, dass eine große Zahl von Schiffen verspätet und gleichzeitig den Hafen erreicht hätten, wodurch es einen Rückstau bei der Weiterleitung ins Hinterland gebe.
HHLA räumt Softwareprobleme ein
Hamburgs mit Abstand größter Hafenkonzern, die HHLA, führt ebenfalls externe Gründe an. „Aufgrund der Situation im Roten Meer komme es aktuell teilweise temporär zu längeren Verweildauern auf den Terminals, da manche Container zu früh angeliefert werden. Darauf haben die Containerterminals der HHLA keinen Einfluss“, heißt es offiziell.
Ihren Kunden gegenüber hat die HHLA auch auf Verzögerungen wegen der Einführung des neuen Terminalsystems Navis N4 hingewiesen, das vor allem am Terminal mit den größten Kapazitäten, dem Burchardkai, Anlaufprobleme bereitet.
Hafenarbeiter bezeichnen neue Software als schwerfällig
Insgesamt sei das System aber stabil, sagt eine Unternehmenssprecherin dem Abendblatt, schränkt jedoch ein: „Eine Systemumstellung in diesem Umfang und während des laufenden Betriebs ist sehr komplex. Trotz gründlichster Vorbereitung können daher anfangs Unregelmäßigkeiten auftreten, die in einer Testphase nicht antizipiert werden können. Diese werden dann kurzfristig durch entsprechende Software-Updates behoben.“
Bei denen, die mit der Software arbeiten müssen, klingt das anders: Schwerfällig, störanfällig und kompliziert sei N4, sagen Hafenarbeiter dem Abendblatt. Konnte man früher Container schnell über eine Nummer ins System einpflegen, müssten heute viele Zusatzinformationen angegeben werden, beispielsweise bei Sondergrößen. Das mache die Eingabe langsamer und dauere mitunter 20 Minuten länger als beim alten System, so ein Beschäftigter.
Lastwagen müssen mehrere Stunden auf Container warten
Die Software N4 findet nicht nur in Hamburg zur Anwendung, sondern ist in mehreren Häfen weltweit im Einsatz – und zwar ohne diese Probleme. Dabei handelt es sich allerdings in der Regel um neu geschaffen Terminals, die von vornherein auf einen Betrieb mit N4 eingestellt sind.
Beim Containerterminal Burchardkai (CTB) wird die neue Software aber in eine bestehende Anlage implementiert, was zusätzliche Probleme bereitet. Die HHLA spricht von einer nötigen „technischen und betrieblichen Stabilisierungsphase.“
Spediteur spricht von Schaden in Millionenhöhe
Zu beneiden sind die für den Terminalbetrieb verantwortlichen Manager der HHLA ohnehin nicht: Denn neben den Software-Problemen kämpfen sie auch noch mit der Automatisierung und einer Umorganisation des Containerbetriebs. Doch auch dies läuft nicht wie gewünscht.
Die Komplikationen beginnen schon beim Umschlag an der Kaikante. Um die Ladung von den Schiffen schneller abzutransportieren, testet der CTB eine Umstellung von den händisch betriebenen Containerhubwagen (Van-Carrier) auf automatisch fahrende Fahrzeuge (Automatic Guided Vehicles). Dieses System ist seit mehr als zehn Jahren bereits erfolgreich am anderen HHLA-Terminal in Altenwerder im Einsatz.
Züge fahren nur mit geringerer Kapazität
Doch am Burchardkai funktioniert es nur bedingt. Denn die Containerbrücken dort sind viel größer „Um eine Box aus dem Schiffsbauch auf einem der Fahrzeuge am Kai abzusetzen, ist der Hubweg viel länger“, sagt ein Hafenarbeiter. Die Verladung auf einen Automatic Guided Vehicle funktioniere jedoch nicht reibungslos. „Anstatt schneller, geht alles langsamer“, heißt es aus der Belegschaft. Die HHLA-Führung weist das zurück.
Langsamer geht es auch bei der Bahn. „Die Bereitstellung der Container zum Abtransport auf der Schiene dauert derzeit viel länger“, kritisiert Spediteur Plaß. „Damit die Züge einigermaßen ihre Fahrpläne halten können, müssen sie derzeit anstatt beispielsweise mit 20 nur mit zwölf beladenen Waggons ins Hinterland rollen.“
HHLA: Gründe für Verzögerungen bei Bahnabfertigung sind extern
Fragt man HHLA-Mitarbeiter danach, bestätigen sie das Problem, weisen die Verantwortung dafür aber von sich. „Wenn von vier Bahnverladebrücken nur eine in Betrieb ist, weil für die anderen drei das Personal fehlt, was sollen wir da noch machen?“, fragt ein Beschäftigter. Das sei schon vorgekommen.
Die HHLA-Führung selbst, sieht die Ursachen woanders: „Wenn es aus verschiedensten Gründen zu Verzögerungen in der Bahnabfertigung kommt, zum Beispiel wegen Baustellen im Streckennetz, Sperrzeiten, Feiertagen, Schiffsverzögerungen, betriebsinternen Unterbrechungen, wird intensiv daran gearbeitet, diese zeitnah wieder aufzuholen.“ Dass Züge derzeit nur halbvoll das Terminal verlassen, weist die Führung zurück.
Frühstückspause minimiert: Pausen führen zu Staus
Dennoch klingen die Aussagen der Mitarbeiter glaubhaft. Denn sie sind in vielen Punkten übereinstimmend. Unisono beklagen sie beispielsweise einen hohen Reparaturstau. „Es fehlt Personal, die Technik funktioniert nicht richtig, und jetzt kommt noch diese schwerfällige neue Software. Wir würden gerne unsere Ziele erreichen, können es aber nicht. Das ist demotivierend, absolut demotivierend“, sagte ein HHLA-Mitarbeiter.
Früher habe es noch die Frühstunde gegeben, da konnte man vor dem eigentlichen Schichtbeginn schon loslegen, um einige Boxen abzufertigen. Doch aus Kostengründen sei diese Frühstunde minimiert worden.
HHLA verweigert Aussagen zur Produktivität
Fehlt in der Bahnabfertigung die Frühstunde, ist es in der Containerausgabe die Mittagsstunde. „Zwischen 11 und 11:30 Uhr haben wir bei hohem Arbeitsaufkommen die Mittagspause gegen einen Obolus ausfallen lassen können. Doch das ist jetzt vorbei“, sagt ein anderer Mitarbeiter. „Das Ergebnis ist, dass sich in der Zeit wieder die Lkw vor dem Gate stauen.“
Die HHLA-Führung weist das zurück. Doch fragt man danach, wie hoch denn nun die Produktivität tatsächlich sei, erhält man nur eine ausweichende Antwort: „Aus Wettbewerbsgründen macht die HHLA grundsätzlich keine Angaben zur Produktivität ihrer Containerterminals“.
Klar ist aber, dass die HHLA sparen muss. Aus guten Gründen. Denn zurzeit fährt sie Verluste ein. Im ersten Quartal 2024 betrug das Minus 1,1 Millionen Euro.
Kaputte Maschinen werden im Hafen hin und her gefahren
Damit ist das Unternehmen keine besonders hübsche Braut für die Schweizer Reederei MSC, die bekanntlich knapp die Hälfte der HHLA übernehmen soll. Kostensenkung ist also Pflicht. Zuweilen treiben die Sparbemühungen aber seltsame Blüten. So werden kaputte Maschinen wie Spreader (Hebegeschirr für Container) zuweilen nicht mehr am CTB repariert, sondern zum HHLA-Containerterminal Tollerort gefahren. Denn dort haben die Handwerker einen anderen Tarif und verdienen weniger. Die HHLA spart damit Geld.
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Die Unternehmensführung begründet diese Umfuhren defekter Geräte anders: „Natürlich arbeiten die Hamburger Containerterminals der HHLA terminalübergreifend zusammen und unterstützen sich gegenseitig bei Engpässen“, so eine Sprecherin. Das geschehe nicht aufgrund unterschiedlicher Tarifverträge, sondern im Sinne einer „effizienten Zusammenarbeit“.
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