Hamburg. Bundesweites Phänomen wird auch in Hamburg beobachtet. Jeder achte Jugendliche soll Unternehmen laut Studie bereits geghostet haben.

Kevins Bewerbung machte einen guten Eindruck: Die Mail enthielt alle üblichen Unterlagen, das Anschreiben war fehlerfrei, die Noten in den jüngsten Zeugnissen ordentlich, und zwei Betriebspraktika hatte der 17 Jahre alte künftige Azubi, der sich um die Lehrstelle zum Elektroniker bewarb, auch schon absolviert. Kevin – so dachte man in der Personalabteilung – wäre ein passender Kandidat. Doch er wurde zu einem Fall von Ghosting.

„Wir freuen uns, Ihnen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Bitte melden Sie sich, damit wir einen Gesprächstermin vereinbaren können“, antwortete das Unternehmen. Danach geschah – nichts mehr. Kevin reagierte nicht auf Nachfragen der Firma, Anrufe auf seinem Smartphone, Textnachrichten in seiner Mailbox blieben unbeantwortet. Das Unternehmen musste große Anstrengungen unternehmen, um die Lehrstelle doch noch zu besetzen.

Ausbildung Hamburg: Wenn der Azubi nie im Betrieb auftaucht

Dieser Kevin existiert nicht, doch das Verhalten, das er an den Tag legt, kennt man auch in Hamburger Unternehmen. Sowohl von potenziellen Arbeitskräften als auch von angehenden Auszubildenden. Zu manchen bricht der Kontakt einfach ab, sie melden sich nie wieder, verschwinden ohne Angabe von Gründen von der Bildfläche. Dafür gibt es einen Fachbegriff: Ghosting.

Der Duden erklärt Ghosting so: „Überraschender völliger Kontaktabbruch (ohne erkennbaren Grund), einseitige Einstellung jeglicher Kommunikation ohne Ankündigung.“ Seine Karriere startete der Begriff im Umfeld des Onlinedating, mittlerweile ist er in Personalabteilungen, die nur noch in verschnarchten Firmen so heißen, überall anders aber HR (Human Resources), geläufig.

Ghosting: Auszubildende reagieren einfach nicht mehr

Auf ein Stellen- oder Ausbildungsangebot nicht zu reagieren, ist noch die mildeste Form von Ghosting im Job. Einen Lehrvertrag unterschreiben und dann ohne Absage nie im Betrieb auftauchen, kommt auch vor. Ghosting in Reinkultur ist: Ausbildung beginnen, nach ein paar Tagen wegbleiben, aber unerreichbar für den Ausbildungsbetrieb sein.

Bei der Hamburger Handelskammer heißt es: „Dass Bewerber einen Vertrag unterschreiben und dann zum Ausbildungsbeginn nicht erscheinen, gab und gibt es immer wieder mal.“ Auch die Handwerkskammer bestätigt: „Es gibt Azubis, die sich nach einer Zusage nicht mehr beim Betrieb melden oder ihre Lehrstelle nicht antreten.“ Und auch in der Arbeitsagentur Hamburg ist Azubi-Ghosting durchaus ein Thema.

Arbeitsagentur: „Azubi-Ghosting ist ein Phänomen“

„Azubi-Ghosting ist ein Phänomen, das wir durch Einzelgespräche mit Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen regelmäßig gespiegelt bekommen. Dies beginnt schon bei der grundsätzlichen Einstellungszusage, wenn sich die Bewerber/-innen dann nicht mehr melden. Genauso kommt es vor, dass Verträge unterzeichnet werden, aber zum Einstellungsdatum niemand auftaucht“, sagt eine Sprecherin der Arbeitsagentur.

Und Thomas Piehler, der für Hamburg zuständige Präsident des Arbeitgeberverbands Nordmetall, sagte unlängst dem Abendblatt, dort höre man verstärkt aus Unternehmen von Azubis, die einen Lehrvertrag unterschreiben, aber im Betrieb nicht erscheinen.

Azubi-Ghosting: Laut Studie kommt es häufig vor

Es ist ein Phänomen, dass es wohl schon immer gab. Wie häufig so was in Hamburg passiert, lässt sich nicht eindeutig sagen. Niemand führt eine Ghosting-Statistik. Bei der Handwerkskammer heißt es: „Das sind seltene Einzelfälle.“ Die Arbeitsagentur verzeichnet einen „leichten, stetigen Anstieg“.

Doch eine aktuelle Umfrage unter fast 5000 Jugendlichen und gut 1750 Ausbildungsverantwortlichen zeichnet ein anderes Bild. Die Studie „Azubi-Recruiting Trends 2024“ im Auftrag des u-form-Verlags ergab: Zwölf Prozent der Jugendlichen sagten, sie hätten ein Unternehmen schon einmal vor Unterzeichnung des Ausbildungsvertrags geghostet, drei Prozent sagten, sie hätten das getan, nachdem er unterschrieben war.

Weitere Wirtschaftsthemen

Ein möglicher Grund: Jugendliche haben inzwischen eine größere Auswahl. So war 2023 in Hamburg die Zahl der freien Ausbildungsplätze größer als die Zahl der registrierten ausbildungswilligen Bewerber. Laut der Trend-Studie lagen mehr als der Hälfte der Jugendlichen zwei oder mehr Lehrstellenangebote vor. „In Beratungsgesprächen zeigt sich, dass die Gründe für Nicht-Absagen unterschiedlich sind: einige vergessen es schlicht, andere haben vielleicht nicht das Verantwortungsgefühl, andere trauen sich einfach nicht“, heißt es bei der Arbeitsagentur Hamburg. 

Ausbildung Hamburg: Auch manche Firmen melden sich nicht bei Lehrstellenbewerbern

Azubi-Ghosting dürfte mit dazu beitragen, dass ein Teil der Ausbildungsplätze in Hamburg regelmäßig nicht besetzt werden kann. Doch es gibt weitere Gründe dafür, dass auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt vieles nicht zusammenfindet. Denn es gibt offensichtlich auch Unternehmen, die jugendliche Bewerber lange im Unklaren lassen, ob sie eine Lehrstelle bekommen. Auch ein Azubis-Ghosting – nur andersherum.