Hamburg. Viele Lehrstellen sind unbesetzt. Beim Speeddating in der Handwerkskammer werden die jungen Menschen umworben – nicht nur mit Boni.

Der Arbeitsmarkt hat sich verändert: „Unternehmen bewerben sich mittlerweile bei den Auszubildenden – und nicht mehr zwingend umgekehrt“, sagt Eva Brandis von der Handwerkskammer Hamburg. Auch auf dem „Azubi-Speeddating“ ist das zu spüren. Seit 13 Jahren gibt es die Veranstaltung, auf der Betriebe und Interessierte an einem Ausbildungsplatz miteinander verkuppelt werden.

„Speeddating“: Wie Handwerksbetriebe in Hamburg Auszubildende umwerben

Es herrscht reges Stimmengewirr im holzvertäfelten Kleinen Saal der Handwerkskammer, mehr als 50 junge Menschen haben auf Holzstühlen Platz genommen und warten darauf, dass es losgeht. Einige sitzen zu zweit oder dritt und unterhalten sich, andere sind allein und beschäftigen sich mit ihrem Smartphone. Omid Hosaini ist ohne Begleitung da: Der 25-Jährige interessiert sich heute für eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker.

Der gebürtige Afghane ist vor fast neun Jahren nach Deutschland geflohen, hat in Berlin seinen Schulabschluss nachgeholt und eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (SHK) absolviert. Aber die Arbeitsbedingungen belasteten ihn. „Ich war ständig auf Montage oder erst spätabends zu Hause“, sagt Hosaini. Als Kfz-Mechatroniker erhofft er sich andere Arbeitszeiten.

Handwerkskammer: 16 Betriebe werben in 25 Berufen um Auszubildende

„Alle, die um 14 Uhr einen Termin haben, können sich jetzt schon einmal bereit machen“, ruft eine Mitarbeiterin der Handwerkskammer in den Raum. Mehrere Jugendliche stehen von ihren Plätzen auf und bilden eine Traube vorm Großen Saal – auch Hosaini stellt sich dazu. Dann läutet ein Mitarbeiter der Handwerkskammer die Glocke in seiner Hand. Das erste Date geht los.

Die jungen Menschen gehen zügig zu ihren zugewiesenen Stationen. An den 16 Tischen im Saal sitzen Beschäftigte der Betriebe. Sie bieten Ausbildungsplätze in 25 verschiedenen Berufsbildern an: von Anlagenmechaniker/-in SHK, Kfz-Mechatroniker/-in, über Elektroniker/-in, Fachkraft für Lagerlogistik oder Fliesen-, Platten- und Mosaikleger/-in – bis hin zum Friseurhandwerk. Rechnet man die Bedarfe aller hier vertretenen Unternehmen zusammen, sind heute 150 freie Ausbildungsplätze im Angebot.

Azubi-Speeddating: Innerhalb von zehn Minuten lernen sich Unternehmen und Bewerber kennen

Hosainis erster Termin ist bei Iveco, einem Hersteller für Nutz- und Militärfahrzeuge aus Italien. In Hamburg hat das Unternehmen eine Werkstatt, die nicht weit von Hosainis Wohngemeinschaft auf der Veddel entfernt liegt – praktisch für den 25-Jährigen, der sich auch noch um seine kranke Mutter kümmert. Er stellt Fragen zum Gehalt und den Arbeitszeiten. Nach dem zehnminütigen Gespräch kann er sich vorstellen, beim Unternehmen ein Praktikum zu machen.

Omid Hosaini (25) sucht beim Azubi-Speeddating der Handwerkskammer in Hamburg einen Ausbildungsplatz.
Omid Hosaini (25) sucht beim Azubi-Speeddating der Handwerkskammer in Hamburg einen Ausbildungsplatz. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Das ist üblich im Handwerk: Bevor Bewerberinnen oder Bewerber eine Zusage für einen Ausbildungsplatz erhalten, arbeiten sie in der Regel eine oder zwei Wochen zur Probe in dem Unternehmen. So können sich Bewerber und Unternehmen vor Vertragsabschluss noch besser kennenlernen. „Die Chancen, hier einen Ausbildungsplatz zu finden, sind sehr hoch“, bestätigt Eva Brandis von der Handwerkskammer Hamburg. Sie leitet die Lehrstellenagentur Handwerk.

Handwerksberufe: 85 Prozent der Interessierten sind männlich

Mehr als 140 Jugendliche haben sich in diesem Jahr für das Speeddating angemeldet, um die 100 treffen im Laufe des Nachmittags ein. Vor allem junge Männer sind der Einladung gefolgt: Der Männeranteil liegt bei rund 85 Prozent. „Grundsätzlich können sich natürlich auch junge Frauen für alle hier vertretenen Berufe bewerben“, sagt Brandis. „Wir begrüßen es sehr, wenn sich mehr und mehr Frauen den sogenannten Männerberufen zuwenden.“ Die Stellenausschreibungen sind entsprechend gendergerecht formuliert.

„Ich habe hier schon eine Bewerberin überzeugen können, sich als Elektronikerin statt als Kauffrau für Büromanagement zu bewerben“, sagt Christian Clasen von Elektrotechnik Schulz. Das Unternehmen aus Wandsbek will zum 1. August ganze 25 neue Auszubildende einstellen. „Wir haben heute schon mehrere Leute gefunden, die dafür infrage kommen“, sagt der 41-Jährige.

Handwerk: Großer Wettbewerb um geeigneten Nachwuchs

Doch es sei spürbar, dass man mit anderen Arbeitgebern im Wettbewerb stehe, um gute Nachwuchskräfte für sich zu gewinnen. Unternehmen müssen dabei heutzutage mehr Aufwand betreiben als noch vor zehn Jahren. „Die meisten Interessierten fragen nach den Benefits, die wir bieten“, sagt Clasen. Bei Elektrotechnik Schulz gibt es etwa einen Bonus für Auszubildende oder Vergünstigungen fürs Fitnessstudio. Und: Die leistungsstärksten Auszubildenden dürfen für jeweils einen Monat einen Elektro-Kleinwagen der Firma fahren – auch privat.

Beim Berufsbild Kfz-Mechatroniker/-in herrscht ähnlicher Konkurrenzkampf um Nachwuchs. Omid Hosaini hat sich von den Mitarbeiterinnen der Handwerkskammer einen zweiten Termin geben lassen: Es geht an Tisch 4 zum Unternehmen Scania. Auch der Hersteller für Nutzfahrzeuge, Busse, Schiffs- und Industriemotoren sucht Kfz-Mechatroniker.

Unternehmen locken mit verbesserten Arbeitsbedingungen

Auf ihrem Tisch stehen ein Lkw-Modell aus Plastik sowie der Kolben eines echten Lkw-Motors. „So wollen wir den Bewerbern veranschaulichen, wie groß die Fahrzeuge sind, an denen wir arbeiten“, sagt Nico Libitowski. Einige würden nämlich fälschlicherweise denken, es gehe um Pkw. Der 19-Jährige macht selbst gerade die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker bei Scania, er ist im letzten Lehrjahr. Gemeinsam mit seinem Kollegen Per Wilmerstädt begrüßt er Bewerber Omid Hosaini.

Mitarbeiter der Firma Scania informieren Omid Hosaini über die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker.
Mitarbeiter der Firma Scania informieren Omid Hosaini über die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

„Hast du schon Praktika im Kfz-Bereich gemacht?“, fragt Libitowski den potenziellen Nachwuchs. Dann erklärt er die Konditionen: Die Ausbildung dauert 3,5 Jahre, es gibt 30 Tage Urlaub pro Jahr und ein Schichtsystem mit 36-Stunden-Woche. Die Pause dauert 45 Minuten am Tag. „Machst du aber nur eine halbe Stunde Pause, wird dir die Zeit gutgeschrieben“, sagt Libitowski. „Außerdem wird dir ein Lkw-Führerschein bezahlt.“

Ausbildungsbetrieb: „Wir achten gar nicht so sehr auf die Schulnoten“

Hosaini fragt nach dem Standort der Werkstätten: „Die sind in Billbrook – in der Nähe vom Ikea-Moorfleet, kennst du den?“, antwortet Scania-Azubi Libitowski. Dann sind die zehn Minuten Gesprächszeit auch schon um, die Glocke ertönt. Hosaini lässt den Scania-Mitarbeitern seine Bewerbungsunterlagen da. „Wir würden dich anrufen, wenn du Lust hast, ein Praktikum bei uns zu machen.“ Hosaini hat Lust.

Weitere Wirtschaftsthemen

Der große Vorteil von Veranstaltungen wie diesen ist, dass sich Bewerber und Unternehmen einen direkten ersten Eindruck voneinander verschaffen können. „Wir achten gar nicht so sehr auf die Schulnoten“, sagt Nico Libitowski. „Wichtiger ist uns, dass die Bewerber Interesse haben und einen motivierten Eindruck machen.“ Daran hat auch der Fachkräftemangel einen Anteil. Libitowski sagt: „Wir freuen uns über jeden guten Azubi, den wir kriegen können.“