Hamburg. Alex und Dimi Mitridis aus Fuhlsbüttel haben Dutzende Bewerbungen verschickt. Ihre Erfahrungen sind frustrierend. Die Hintergründe.
Fußballmäßig läuft es für Alexandros und Dimitrios Mitridis ziemlich gut: Ihr Lieblingsclub PAOK Saloniki ist gerade Meister geworden. Beim SV Glashütte wechseln die 18-jährigen Zwillinge nächste Saison aus der Landesliga-A-Jugend in die 2. Herren. Rechter Flügel. Ihr Trick auf dem Platz: „Wir reden Griechisch miteinander, das verstehen die Gegner nicht.“
Was die Berufsausbildung angeht, ist die Zukunft der Brüder, die Alex und Dimi genannt werden, dagegen derzeit völlig offen. Die Abschlussarbeiten für die Mittlere Reife an der Stadtteilschule Poppenbüttel sind geschrieben. Die Zeugnisse der beiden werden wohl „zwischen gut und mittel“ ausfallen, sagt Alexandros.
Ausbildung Hamburg: Auf der verzweifelten Suche nach der Traum-Lehrstelle
Im Sommer wollen sie in die Lehre starten, Traumberuf: Mechatroniker. Seit Monaten schreiben sie Bewerbungen, doch zwei Monate vor Beginn des Ausbildungsjahres haben sie noch keine Zusage. „Manchmal sind sie ein bisschen verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht“, sagt Mutter Jonela.
Die Geschichte der beiden jungen Männer, die vor neun Jahren mit den Eltern aus Griechenland nach Hamburg kamen, ist eine Geschichte, die ein neues Licht wirft auf die Lage auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt, in dem vieles nicht zusammenpasst und zusammenfindet. So hatten Hamburger Unternehmen im vergangenen Jahr bei der Arbeitsagentur 10.600 freie Ausbildungsplätze gemeldet, zugleich waren dort 6250 Bewerberinnen und Bewerber registriert. Am Ende blieben 1000 Lehrstellen unbesetzt und gut 750 allein der bei der Agentur registrierten, interessierten Jugendliche hatten keinen Ausbildungsvertrag unterschrieben.
Azubi-Notstand in Hamburg: „Ein Drittel der Firmen wird bei der Suche leer ausgehen“
Das dürfte dieses Jahr kaum besser werden. „Große, bekannte Firmen haben zwar wenig Probleme, aber etwa ein Drittel der Unternehmen wird bei der Azubi-Suche vermutlich leer ausgehen“, sagte Thomas Piehler, der Hamburger Vizepräsident des Unternehmensverbands Nordmetall, kürzlich dem Abendblatt. Die Arbeitgeber der Metall- und Elektrobranche riefen den „Azubi-Notstand“ aus und beklagten, viele junge Menschen seien nach der Schule nicht „ausbildungsfähig“, manche auch unzuverlässig. Es komme vor, so Piehler, dass Jugendliche einen Ausbildungsvertrag unterschreiben, aber ohne Absage nie im Betrieb antreten.
Dimitrios und Alexandros machen mit den Unternehmen, bei denen sie sich beworben haben, eine ähnlich ärgerliche Erfahrung: Sie bekommen keine abschließenden Antworten. Um die zwei Dutzend Bewerbungen haben sie in den vergangenen Monaten an Hamburger Firmen verschickt. Eine ganze Reihe Autohäuser gehören dazu, ein größeres öffentliches Unternehmen mit eigenem Fuhrpark, einige andere durchaus namhafte Firmen.
Dutzende Bewerbungen, doch viele Firmen antworten nicht
„Etwa die Hälfte hat gar nicht geantwortet, die anderen haben geschrieben, dass sie sich melden und wir Geduld haben sollen“, sagt Alexandros über den Stand der Dinge. Die Unsicherheit fängt langsam an zu nerven. „Je schneller wir etwas hören, desto besser“, sagt Dimitrios. Und Mutter Jonela fragt sich inzwischen manchmal schon, ob es etwas mit Vorbehalten gegenüber Ausländern zu tun haben könnte.
Das allerdings wäre mindestens überraschend, denn ohne junge Leute mit einer Lebensgeschichte wie die der in Griechenland geborenen Fuhlsbütteler Zwillinge geht es in den Ausbildungsbetrieben schon lange nicht mehr. In den gewerblichen Berufen der Metall- und Elektrobranche hätten inzwischen mehr als die Hälfte der Azubis einen Migrations- und jeder Zehnte einen Fluchthintergrund, sagte Nordmetall-Vize Piehler. Und er betonte: „Wir sind auf diese jungen Leute zwingend angewiesen.“
Böser Verdacht: Betreiben Firmen bei Azubi-Suche Rosinenpickerei?
Klar ist: Mechatroniker ist in Hamburg der Beruf mit den meisten Ausbildungsplätzen und bei vielen Schulabgängern sehr begehrt. Könnte es also sein, dass Unternehmen, die erfahrungsgemäß mehr Bewerbungen bekommen, als sie Lehrstellen haben, gern lange warten, sich die besten Kandidaten erst spät heraussuchen – und den anderen erst dann absagen, wenn das neue Azubiteam der Firma steht?
„Ich will das nicht völlig ausschließen“, sagt Wiebke Oetken, die Jugendsekretärin des DGB Nord. Jedenfalls sei es im Interesse aller auf dem Ausbildungsmarkt, wenn Bewerberinnen und Bewerber frühzeitig Klarheit hätten. „Firmen sollten die jungen Leute nicht lange warten lassen, damit die sich bei einer Absage rechtzeitig neu orientieren können“, so Oetken.
„Es gibt schlechten Stil auch in manchen Firmen“
„Wie im richtigen Leben gibt es auch bei Firmen Früh- und Spätaufsteher“, ist Jürgen Hesse überzeugt. Der Karriere- und Bewerbungscoach, Autor von einschlägigen Ratgebern und Sachbüchern zur Arbeitswelt („Hilfe, mein Chef ist irre! Ihrer auch?“), glaubt, dass hinter der Nicht-Reaktion auf Bewerbungen eher keine böse Absicht, sondern schlechtes internes Management steht. Hesse: „Es gibt schlechten Stil eben nicht nur bei manchen Jugendlichen, sondern auch in Firmen.“
Bewerberinnen und Bewerber, die keine Reaktion erhalten, sollten bei den Unternehmen ruhig mal per Mail oder telefonisch nachfragen, lautet sein Tipp. „Einfach mal vorbeigehen, kann auch helfen.“ Haben Alexandros und Dimitrios alles schon gemacht – ohne Erfolg.
Nach dem Fachabitur Ausbildung zur Pflegefachfrau: Die ältere Schwester hatte schnell zwei Zusagen
Dass es viel besser laufen kann auf dem Weg zur Lehrstelle, dafür gibt es in der Familie Mitridis auch ein Beispiel. Die zwei Jahre ältere Schwester Dafni hat sich nach dem Fachabitur für einen Ausbildungsplatz zur Pflegefachfrau beworben. „Das ging alles ganz schnell. Drei Wochen später hatte ich zwei feste Zusagen“, sagt sie. Ihre Ausbildung in einer großen Hamburger Klinik beginnt am 1. August.
Ausbildung Hamburg: Lieber Absagen als weiter diese Unsicherheit
Den jüngeren Brüdern wären Absagen inzwischen fast lieber als die andauernde Unsicherheit, was denn nun wird. Beide haben begonnen, sich umzuorientieren. Alexandros denkt inzwischen mehr Richtung Fachinformatiker, Dimitrios hat Kältetechniker in den Blick genommen. Diese Woche hat er ein Praktikum bei einer Fachfirma gemacht. „Das habe ich ganz schnell und unkompliziert bekommen.“
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Zugleich steigt im gemeinsamen Jugendzimmer mit der PAOK-Saloniki-Fahne an der Wand die Spannung, was die Ergebnisse der Abschlussprüfungen angeht. Sind die Noten gut genug, käme für die Zwillinge inzwischen statt Lehre auch weiter Schule mit dem Ziel Fachabitur infrage. Dann hätte der unter Bewerbermangel leidende Hamburger Ausbildungsmarkt zwei aussichtsreiche Kandidaten erst mal vergrault.