Hamburg. Galeria-Karstadt-Häuser Wandsbek und Harburg machen wohl schon bald dicht – früher als geplant. Jetzt kommen die Schnäppchenjäger.
Es ist ordentlich was los. Schon bei der Öffnung morgens um 10 Uhr strömen die Kunden ins Galeria-Karstadt-Haus in Wandsbek. So viele wie seit Jahren nicht. „Alles muss raus“ steht in knalligen Buchstaben über dem Eingang. „Wir schließen diese Filiale“. Die Rabattschlacht ist in vollem Gang. Gleich vorn in der Kosmetikabteilung ist ein Teil der Flächen mit weißen Papierbögen abgehängt. „Ausverkauft“ hat jemand in großen Buchstaben draufgeschrieben. In anderen Regalen stehen statt Parfüm-Flakons und Lippenstiften jetzt Barbie-Puppen und Planschbecken mit Preisnachlässen bis zu 60 Prozent.
In der Uhren-und-Schmuck-Abteilung sind drei Reihen mit Stühlen aufgebaut. Wie in einem Wartezimmer werden die Kundinnen dort einzeln an den Verkaufstresen gerufen. Ein knappes Dutzend sitzt dort um die Mittagszeit, einige schon eine Stunde und länger. Die Stimmung ist gereizt. „Es ist nervig. Aber mich interessiert ein bestimmtes Schmuckstück in der Vitrine“, sagt Anita Nekbin. Sie habe immer gern bei Karstadt eingekauft, so die Wandsbekerin. „Es ist sehr schade, dass das Kaufhaus jetzt geschlossen wird.“
Einzelhandel Hamburg: Karstadt-Häuser schließen früher – alles muss raus
Der Handelsriese Galeria, der zum Firmengeflecht der Signa-Gruppe des Immobilienunternehmers René Benko gehört, hatte im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in nur drei Jahren Insolvenz angemeldet und im März im Zuge eines Sanierungsprogramms das Aus für 52 der 129 Standorte angekündigt. Inzwischen wurde bekannt, dass acht Standorte – darunter im Norden Rostock und Bremen – doch gerettet werden konnten.
In Hamburg bleibt es trotz Protesten der Belegschaften bei der ursprünglichen Planung: In Wandsbek und in Harburg geht die Karstadt-Ära jetzt zu Ende. Und das sogar früher als geplant: Statt Ende Juni ist der letzte Verkaufstag an beiden traditionsreichen Standorten nach Abendblatt-Informationen bereits der 17. Juni. Das Unternehmen äußerte sich auf Anfrage nicht zu konkreten Details.
Karstadt Harburg: Im Untergeschoss werden Möbel verramscht
In Harburg sind in dem Zweckbau aus den 60-er Jahren am Harburger Ring die zweite und dritte Etage bereits leer und geschlossen. Stammkunden finden sich kaum noch zurecht: Die Reste der Abteilungen wurden zusammengelegt, nur ein kleiner Teil der Ware liegt noch am gewohnten Platz. Neben dem, was vom einstigen Komplettangebot mit Zehntausenden Artikeln noch übrig ist, werden im Untergeschoss jetzt auch Regale, Kleiderständer und Schaufensterpuppen verramscht.
Auch in Wandsbek sind inzwischen viele Flächen abgesperrt. Rena und Ralf Müller aus Bramfeld sind noch ein letztes Mal zum Einkaufen gekommen und sind fündig geworden. Sie haben einen Ersatz für ihren kaputten Funkwecker erstanden – mit 40 Prozent Preisnachlass. „Ohne Karstadt wird etwas fehlen, weil man bestimmte Dinge hier in der Region gar nicht mehr bekommt“, sagt das Rentnerpaar, das seit Jahrzehnten bei Karstadt einkauft. „Für Wandsbek ist es ein großer Verlust.“
Karstadt Wandsbek: „Sehr; sehr traurig“ über das Ende Kaufhauses
Auch Andrea Will ist „sehr; sehr traurig“ über das Ende des Kaufhauses. Die Bergedorferin, die in Wandsbek arbeitet, steht in der ersten Etage an einem Ständer mit Damenpullovern. Seit dem Aus für Karstadt Bergedorf bei der letzten Schließungswelle 2020 kauft sie regelmäßig in dem Haus am Wandsbeker Markt ein. „Ich bin Karstadt-Kundin durch und durch.“ Ob sie aber künftig bis in die Filiale in der Mönckebergstraße fährt? Will zuckt die Achseln. Jetzt hat sie doch noch einen Pullover gefunden, der ihr gefällt.
Während die Kunden auf Schnäppchenjagd durch die Gänge streifen, haben die Beschäftigten alle Hände voll zu tun. Ständig ändert sich etwas. „Wo sind die Glückwunschkarten“, fragt eine Frau in der Sportabteilung. An den Kassen bilden sich lange Schlangen. Ständig müssen Waren zusammengeräumt und neu geordnet werden. Teilweise werden während der Öffnungszeiten schon Möbel abgebaut und abtransportiert.
„In der Harburger Filiale sind noch etwa 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt“, sagt Betriebsratschef Marcus Junker. Das Durchschnittsalter liegt bei 51 Jahren. Nur etwa eine Handvoll der Beschäftigten habe neue Jobs gefunden. „Viele Kollegen sind hier langjährig beschäftigt. Obwohl wir jährlich zur Sicherung der Filiale auf 5500 Euro verzichtet haben, wichen bei Bewerbungen die angebotenen Gehälter erheblich von den jetzigen Bezügen ab.“
Galeria-Beschäftigte suchen neue Jobs
Wie die anderen Kollegen wird der 57-Jährige, der aus dem Logistikbereich kommt, zur Jahresmitte in eine Transfergesellschaft wechseln. Dort wird bis Jahresende Kurzarbeitergeld gezahlt (60 Prozent, bei Familien 67 Prozent des Gehalts). Das Unternehmen legt 13 Prozent obendrauf. Er hoffe, dass die Zeit ausreiche, um zur Ruhe zu kommen, sich neu zu orientieren und einen Job zu finden, so Junker.
Die Alternative ist eine Abfindung, die allerdings wegen des – inzwischen abgeschlossenen – Insolvenzverfahrens nur zwei Monatsgehälter beträgt. Noch sei die unsichere berufliche Zukunft kein großes Thema in den Gesprächen unter Kollegen: „Wir sind alle durch den Ausverkauf viel zu beschäftigt. Das böse Erwachen wird kommen, wenn wir alle zu Hause sind.“
Karstadt Wandsbek: Durchsagen mahnen bei Kunden zu respektvollem Umgang
„Die letzten Wochen waren sehr anstrengend, auch weil die Kunden unfreundlich und ruppig waren“, sagt eine Mitarbeiterin in Wandsbek. Immer wieder sei in Durchsagen ein respektvoller Umgang angemahnt worden. Ihren Namen will die junge Frau nicht nennen, weil die Geschäftsführung Gespräche mit den Medien nicht gern sehe. Auch die Betriebsratsvorsitzende mag sich auf Anfrage nicht äußern.
In dem Haus, in dem es 2020 schon mal einen Räumungsverkauf gab und dessen Fortbestand dann praktisch in letzter Minute bis 2024 verlängert wurde, sind Enttäuschung und Wut über das vorgezogene Ende besonders groß. „Gerade die älteren Kollegen wissen auch gar nicht mehr, wie man eine Bewerbung schreibt“, sagt die Karstadt-Beschäftigte, die erst nach dem letzten Verkaufstag mit der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz beginnen will.
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Wenn die beiden Karstadt-Häuser Harburg und Wandsbek in den nächsten Tagen endgültig ihre Türen schließen, hat das auch Auswirkungen für die Umgebung. Einzelhändler in der Umgebung befürchten Einbußen, wenn die großen Einkaufsmagneten leer stehen.
Während es in Harburg noch keine konkreten Pläne für die Zukunft des Gebäudes gibt, sind die Planungen an Hamburgs ältesten Karstadt-Standort in Wandsbek schon weiter. Der Planungsausschuss der Bezirksversammlung Wandsbek hatte bereits im vergangenen Jahr einen Beschluss zum Bebauungsplan Wandsbek 85 gefasst, mit dem eine Nachnutzung des Grundstücks geplant ist.
Einzelhandel Hamburg: Wohnungen, Markthalle, Hochschule statt Karstadt Wandsbek
Demnach soll die denkmalgeschützte Immobilie mit der Sandsteinfassade zum Wandsbeker Markt erhalten werden. Der aus den 60er-Jahren stammende Anbau wird durch einen Neubau ersetzt. Schon nach den Sommerferien soll der Abriss des Parkhauses starten, sagte ein Sprecher von Eigentümerin Union Investment Real Estate GmbH. Dort entstehen 120 bis 150 Wohnungen.
Mit dem „Quartier Wandsbek Markt“ will das Unternehmen aus dem Kaufhaus in den nächsten Jahren einen neuen Lebensmittelpunkt mit einer Markthalle inklusive Food-Court, Wohnen, Gastronomie, Einzelhandel und einer privaten Hochschule in Wandsbek entwickeln.
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Zum 100. Geburtstag im nächsten Jahr ist in dem traditionsreichen Kaufhaus keine Feier – sondern Baustelle.