Puttgarden/Rødbyhavn. 2029 soll der längste Absenktunnel der Welt Deutsche und Dänen verbinden. Ein Vorhaben mit einigen Tücken. Das Abendblatt war vor Ort.
Morgens 10:30 Uhr an Fehmarns Küste. Die Sonne steht hoch am Himmel, aber ein steifer Wind bläst, als Gregory Formichella sich mit einem Besucher aus der Baracke der Bauleitung nahe Puttgarden tritt. Formichella hat schon auf vielen Baustellen der Welt gearbeitet. Zuletzt beim S-Bahn-Tunnel in München. Davor bei Bilfinger in Nigeria an einem LNG-Projekt. Seit drei Jahren ist er auf deutscher Seite Bauleiter des neuen Tunnels, der Dänemark und Deutschland unter dem Fehmarnbelt verbinden soll.
Der hagere Bauingenieur springt in seinen SUV mit gelber Rundumleuchte. Über Schotter und Sand fährt Formichella seinen Besucher, den Schlaglöchern ausweichend, zur Baustelle. Weit hat er es nicht, aber er muss aufpassen, da ihm ständig Bagger, Kipplaster und Radlader in die Quere kommen.
Fehmarnbelt-Tunnel: Besuch auf der größten Baustelle Europas
Der neue Fehmarnbelt-Tunnel: 18 Kilometer unter der Ostsee hindurch. Zwei Eisenbahnröhren für Züge, voll elektrifiziert. Zwei Autobahnröhren mit je zwei Fahrspuren pro Richtung und durchgängigem Seitenstreifen, dazwischen eine schmale Wartungsröhre. Dazu Brücken und Dämme, die die Schnelltrasse, die Dänemark und Deutschland miteinander verbinden wird, weiterführt. Es ist derzeit Europas größte Baustelle.
Bauherr ist auch auf deutscher Seite die dänische Femern A/S (Aktiengesellschaft), die dem dänischen Staat gehört und das gesamte Projekt finanziert. Geplantes Budget: 7,5 Milliarden Euro.
Rund 50 Bagger fressen sich für neuen Fehmarnbelt-Tunnel durchs Erdreich
„Ich habe schon viel gemacht, aber nichts war so groß wie das hier“, sagt Formichella beim Lenken und grinst seinen Besucher von der Seite an. Wenn die Baustelle so groß ist, wie die Sicherheitseinweisung lang, die man durchlaufen muss, dann muss sie wirklich riesig sein, denkt der Besucher. 20 Minuten Sicherheitsfilm, dann noch einen Umweltschutzfilm, anschließend ein Fragebogen, um zu testen, ob man wirklich aufgepasst hat. Dann gibt es Sicherheitsschuhe, Warnweste, Helm, Schutzbrille und Handschuhe.
So bepackt geht es nun an den eigentlichen Ort des Geschehens, die Baustelle neben dem Fährhafen Puttgarden. Noch eine Biegung, dann stoppt der SUV. Der Besucher schaut und schluckt. Denn die Baugrube, die sich vor ihm auftut, wirkt tief wie der Grand Canyon. Zwischen zwei künstlichen Dämmen fressen sich rund 50 Bagger durchs Erdreich, das noch vor zwei Jahren mit Wasser bedeckt war.
Fehmarnbelt-Tunnel: Eine Baugrube, groß wie der Grand Canyon
Beim Aushub des Meeresbodens wurden künstliche Dämme geschaffen, und das Wasser wurde abgepumpt, damit man dahinter trocken arbeiten kann. 150 Meter breit und 450 Meter lang ist die Schlucht, aus der sich einmal das Tunnelportal, also der Anschluss auf deutscher Seite, herausschälen wird.
„Es geht dabei um eine offene Tunnelbauweise“, sagt Formichella und erklärt den Unterschied: „Während der eigentliche Tunnel unter der Ostsee später aus fertigen Tunnelelementen besteht, die abgesenkt und unter dem Wasser auf dem Meeresboden in einem Graben miteinander verbunden werden, geht man bei den Anschlussportalen auf dänischer und deutscher Seite in klassischer Bauweise vor.“
Betonmischer arbeiten Tag und Nacht um Fehmarnbelt-Tunnel zu bauen
Das bedeutet Boden, Wände und Decke werden einzeln aus Beton gegossen. Der Zement für den Beton wurde anfangs mit Lastwagen herangekarrt. Seitdem der Arbeitshafen fertig ist, legt alle drei Tage ein Schiff an. Über eine Pipeline wird der Zement direkt vom Schiff in die Silos geblasen.
Betonmischer arbeiten Tag und Nacht, sechs Tage in der Woche, um den notwendigen Baustoff herzustellen. Im Gewirr der Stahlbewehrungen, die mit dem Beton überzogen werden, sind die Grundzüge des fertigen Tunnels bereits erkennbar: im Osten die zwei Röhren für die Bahn, auf westlicher Seite die Röhren für die Fahrspuren, dazwischen eine Wartungsleitung.
Die deutsche Baustelle ist fünfmal so groß wie die Binnenalster
Der erste Abschnitt des Tunnelportals auf deutscher Seite ist seit Mitte Mai fertig. Es geht voran. Und das in rasendem Tempo. „Die Baustelle sieht eigentlich jeden Tag anders aus“, sagt Formichella, der etwa 200 Bauarbeiter beaufsichtigt.
90 Hektar, also fünfmal die Fläche der Binnenalster, umfasst die Baustelle auf deutscher Seite. Aber das ist noch gar nichts zu dem, was einen auf dänischer Seite erwartet. Hier haben die Bauarbeiten bereits im Sommer 2020 begonnen, etwa ein Jahr eher als in Deutschland. Doch um das in Augenschein zu nehmen, muss man erst einmal hinkommen. Der Weg dorthin führt über das Meer. Also verabschiedet sich der Besucher von Formichella und besteigt eine Fähre, die ihn in etwa 40 Minuten nach Rødbyhavn auf Lolland bringt.
Dänen versorgen Baustelle für Fehmarnbelt-Tunnel über einen extra gebauten Hafen
Östlich davon wartet die dänische Baustelle. Und wenn man das Vorhaben auf deutscher Seite als groß bezeichnet, ist das, was hier geschieht, gigantisch. Allein der Arbeitshafen ist fünfmal größer als der auf deutscher Seite. Auch hier entsteht ein Portal für den Anschluss des Tunnels. Herzstück sind aber drei riesige Hallen, in denen die Elemente für den Absenktunnel hergestellt werden. An der Einfahrt zur Baustelle wartet Markus Just.
Vollbart, Brille, mittelgroß. Auch Just ist Bauingenieur und Deutscher. Er wohnt in Kopenhagen, hat auch schon an verschiedenen Bauprojekten auf der Welt gearbeitet, „aber nie in Deutschland“, sagt er. Er nimmt den Besucher in Empfang, und los geht es auf eine Baustelle, die in ihrer Dimension an den Umbau des Potsdamer Platzes in Berlin in den 1990er-Jahren erinnert.
Dänische Insel Lolland wächst um mehr als 200 Hektar
Groß wie der Central Park in New York, oder fast 17-mal so groß wie die Binnenalster, wenn man beim Vergleich bleiben will. Weiter geht es, in einem Baustellenfahrzeug. Immer quer durch die karge Mondlandschaft von Lollands Sandboden. Wobei sich gar nicht mehr feststellen lässt, wie die Küste hier einmal ausgesehen haben muss.
Denn die Insel Lolland ist durch Landgewinnung um etwa 300 Hektar gewachsen. Der Boden stammt aus den Aushubarbeiten des 18 Kilometer langen Tunnelgrabens, bei denen rund 15 Millionen Kubikmeter Meeresboden ausgebaggert und an Land gebracht wurden. Platz für die Baustelle und ein Natur- und Erholungsgebiet, das hier einmal entstehen soll.
70.000 Tonnen an Materialien pro Woche für Bau von Fehmarnbelt-Tunnel
Just zeigt während der Fahrt hierhin, dorthin und erklärt, was man sieht. Östlich der Anlagen wurden im Arbeitshafen vier Silos und Lager für die Baustoffe wie Sand, Kies und Zement errichtet. „Zu Spitzenzeiten werden hier 70.000 Tonnen an Baumaterialien wöchentlich umgeschlagen“, sagt er.
Im Westen, einige Kilometer entfernt, ist bereits das Tunnelportal auf dänischer Seite zu sehen, bei dem bereits 100 Meter fertiggestellt worden sind. Nur ein Teil ist zu sehen: Der fertige Abschnitt wurde im Frühjahr schon wieder geflutet, nachdem der provisorische Deich abgebrochen war.
Größte Betonproduktionsanlage der Welt
Doch der beeindruckendste Bauabschnitt liegt zwischendrin. Drei riesige Werkshallen, größer als Flugzeughangars, in die Just den Besucher nun führt. Sie bilden die Fabrik, die die Elemente herstellt, die später unter Wasser zum langen Tunnel miteinander verbunden werden.
Die 79 Standardelemente sind je 217 Meter lang. Dazu zehn mit einem Untergeschoss versehene Spezialelemente für elektrische Anlagen. Anders als beim Bau der Tunnelportale werden diese Elemente in einem Stück aus Beton gegossen, damit es keine Fugen und Ritzen gibt, in die Wasser eindringen kann. Neun Wochen dauert die Fertigstellung eines Elements, wenn sich alles eingespielt hat. Es ist die größte Betonproduktionsanlage der Welt.
Durchschnittliche Wassertiefe beträgt zwölf Meter
Die Arbeitsschritte erfolgen wie am Fließband und beginnen am hinteren Hallenende, zu dem Just nun seinen Besucher führt. Am Anfang sieht man nichts als ein riesiges undurchdringlich wirkendes Stahlgeflecht, der sogenannte Bewehrungskorb, der später mit Beton übergossen wird. Auf Schienen wird das Stahlgeflecht mittels hydraulischer Pressen vorangeschoben in eine Schalungskonstruktion, die mit dem Beton gefüllt wird. Ist der Beton ausgehärtet, wird die Schalung entfernt und das gesamte Bauteil von hinter weiter vorangeschoben, bis das Tunnelelement zu seiner vollständigen Länge angewachsen ist. Just führt seinen Besucher in eines hinein.
Aus seinen Augen spricht die Faszination für das Projekt. Schon vor knapp zwei Jahrzehnten, als die Überlegungen für den Bau einer Brücke oder eines Tunnels über den Fehmarnbelt begannen, habe er sich als Student dafür begeistert, sagt er. „Ich sagte mir: Wenn das einmal realisiert wird, musst du dabei sein.“ Und da steht er jetzt – mitten in einer Röhre, die bald für immer in 12 Meter Wassertiefe versenkt wird.
79 Tunnelelemente, jeweils 217 Meter lang
Zwei Tunnelelemente sind fertig, soweit möglich finden bereits die Innenausbauten statt. Dann werden die beiden Enden mit Stahlschotten luft- und wasserdicht verschlossen. Das 217 Meter lange Betonteil wird auf Verschubbalken aus der Halle in ein davor liegendes Trockendock geschoben.
Das wird geflutet, und da die Tunnelelemente hohl und luftdicht verschlossen sind, schwimmen sie von selbst, trotz eines Eigengewichts von 73.000 Tonnen. Zumindest stellen sich die Ingenieure das so vor. Ausprobiert haben sie es noch nicht. Das erste Tunnelelement wird in der zweiten Jahreshälfte zu Wasser gelassen.
Unterdruck presst Tunnelelemente zusammen
Schlepper ziehen die fertigen Elemente dann nach und nach hinaus aufs Meer, wo sie mit Ballastbeton gefüllt absinken. Und zwar exakt aneinander abschließend, mit einer maximalen Abweichung von 15 Millimetern. Die einzelnen Elemente werden miteinander verbunden. Zwischen den Schotten der benachbarten Tunnelelemente ist dann noch ein mit Meerwasser gefüllter Zwischenraum. Durch das Abpumpen dieses Wassers entsteht ein Unterdruck, der dafür sorgt, dass die beiden Elemente absolut wasserdicht fest aneinandergepresst werden.
Alles technisch, alles schwer verständlich. Aber wenn Just davon erzählt, klingt es so einfach, wie der Zusammenbau eines Legoturms. „Kniffelig ist nur alles, was wir das erste Mal machen“, sagt er.
Auch Deutschland baut Infrastruktur im Nordern aus
2029 soll der Tunnel fertig sein, und die Dänen, die den Löwenanteil am Projekt haben und es auch bezahlen, geben sich wild entschlossen, den Zeitplan zu halten. Doch gilt das auch für den südlichen Partner?
Wieder auf deutscher Seite. Deutschland hat sich per Staatsvertrag dazu verpflichtet, wenn der Tunnel kommt, für eine leistungsfähige Straßen- und Schienenanbindung auf deutscher Seite zu sorgen. Konkret bedeutet dies, dass die Deutsche Bahn die rund 88 Kilometer lange Bahnstrecke zwischen der Hansestadt Lübeck und Puttgarden zweigleisig neu- beziehungsweise ausbauen und elektrifizieren wird.
Fehmarnsundbrücke bleibt nach Bau von Fehmarnbelt-Tunnel für Fußgänger erhalten
Der Verkehr zwischen der Insel Fehmarn und dem schleswig-holsteinischen Festland wird künftig durch einen neuen, modernen 1,7 Kilometer langen Tunnel mit zwei Gleisen für die Schiene und vier Fahrstreifen für die Straße führen. Die Fehmarnsundbrücke bleibt für Fußgänger, Radfahrer und landwirtschaftliche Fahrzeuge erhalten.
Doch es gibt Zweifel, ob die Deutschen mit ihren nördlichen Nachbarn Schritt halten können. Die Mitglieder des Fehmarnbelt Business Council (FBBC), eines Zusammenschlusses aus deutschen, dänischen und schwedischen Kammern und Wirtschaftsverbänden, hatten Anfang Mai davor gewarnt, dass die geplante Fertigstellung der Anbindung auf der deutschen Seite der Fehmarnbelt-Querung bis 2029 nicht gesichert sei. Die Wirtschaft erwarte daher eine belastbare Zusage für den Fertigstellungstermin des Fehmarnsund-Tunnels und der Hinterlandanbindung.
Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister warnt vor Verzögerung bei Tunnel-Bau
Während im dänischen Rødbyhavn schon die ersten Betonelemente für den Fehmarnbelttunnel gegossen werden, steckt der Bau des Fehmarnsund-Tunnels nach Darstellung der Deutschen Bahn noch in der Planungsphase. Der eigentliche Bau des zwei Kilometer langen Tunnels soll erst 2026 beginnen.
Das sorgt für Unruhe. Auch bei Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU), der zuweilen recht neidvoll auf das Tempo schaut, mit denen die Dänen vorgehen. Er treibt zur Eile an. Vor allem die Bahn als Projektverantwortliche für die Schienenanbindung sei gefordert, ihr Möglichstes für die Inbetriebnahme im Jahr 2029 zu tun, sagte der Minister dem Abendblatt. Eine Verzögerung des Projektes würde zu einer deutlichen Verteuerung führen – bei einem Milliardenprojekt und zehn Prozent Baukostensteigerung pro Jahr handele es sich um dreistellige Millionensummen.
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Madsen geht aber fest davon aus, dass der Bund und die Bahn-Tochtergesellschaft DB InfraGo ihren Verpflichtungen aus dem mit Dänemark geschlossenen Staatsvertrag nachkommen werden. „Alles andere wäre den dänischen Partnern nicht vermittelbar, weil sie den wesentlich komplexeren Löwenanteil des Projektes stemmen.“
Ist es fertig, soll man in zehn Minuten mit dem Auto vom deutschen zum dänischen Ufer kommen, in sieben mit der Bahn. Was dann wohl aus der benachbarten Fähre der Vogelfluglinie wird? Das bleibt abzuwarten.