Hamburg. Präses Norbert Aust macht einen überraschenden Vorschlag bei der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns. Was dahintersteckt.
Die Veranstaltung ist für 12 Uhr angesetzt, aber schon eine halbe Stunde vorher versammeln sich zahlreiche Hamburger Unternehmer am Freitag in der Handelskammer. Selten war das Interesse an der traditionellen Silvesteransprache von Kammer-Präses Norbert Aust bei der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg so groß wie in diesem Jahr. Die 1000 Plätze im Saal sind schnell belegt, sodass zahlreiche Neuankömmlinge das Geschehen, das auf einen 500 Jahre alten Brauch zurückgeht, an Monitoren auf der Galerie verfolgen müssen.
Aust kommt den hohen Erwartungen schnell entgegen. In seiner Rede fordert er den Hamburger Senat dazu auf, eine klare Zukunftsvision für die Entwicklung der Hansestadt zu schaffen. Spätestens seit dem gescheiterten Volksentscheid zur Olympia-Bewerbung scheine es ihm häufig so, als hätte die politisch Verantwortlichen der Mut verlassen, groß und langfristig zu denken und echte Zukunftsprojekte anzustreben, sagt er vor den rund 1200 geladenen Gästen, darunter Bürgermeister Peter Tschentscher und zahlreiche Senatoren.
„Die Probleme nur in der Reihenfolge auflösen zu wollen, reicht auf Dauer nicht für eine erfolgreiche Entwicklung unseres Standorts.“ Ordentliches Regieren sei eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche Zukunft, mahnt Aust mit Blick auf einen Regierungsstil, den Bundeskanzler Olaf Scholz noch als Hamburger Bürgermeister proklamiert hatte.
Handelskammer für Olympia-Bewerbung mit Kopenhagen
Als Beispiel für eine Zukunftsvision schlägt er eine neue Olympia-Bewerbung für 2040 vor – und zwar zusammen mit der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Viel werde darüber diskutiert und Hamburg als potenzieller Austragungsort immer wieder genannt. „Ich sage allerdings: Wenn schon über Olympia nachgedacht wird, dann doch bitte gleich richtig und vor allem zukunftsgewandt“, sagt der Kammer-Präses.
In fünf Jahren werde der Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark fertig sein. Dadurch entstehe ein neuer großer Wirtschaftsraum aus Südschweden, Dänemark und ganz Norddeutschland. Hamburg werde zur südlichsten Stadt Skandinaviens. Gemurmel im Saal. „Da liegt es doch nahe, dass wir uns gemeinsam mit Kopenhagen um die Austragung der Olympischen Spiele bewerben“, sagt Aust daraufhin zur Überraschung vieler Zuhörer.
Zukunftsklausur für Hamburger Top-Entscheider vorgeschlagen
Für den Wohnungsbau fordert der Kammer-Chef bessere Rahmenbedingungen – und er plädiert für die Einrichtung von Sonderinnovationszonen in der Stadt. Bereits vor fünf Jahren habe die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer Studie der Metropolregion Hamburg attestiert, dass sie trotz großer Wachstumschancen Gefahr laufe, im Standortwettbewerb ins Hintertreffen zu geraten. Um wichtige Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen, bedürfe es eines gesellschaftspolitischen Grundkonsenses, betont er.
Aust schlägt Bürgermeister Tschentscher vor, eine sogenannte Hamburger Zukunftsklausur ins Leben zu rufen. Bei ihr sollten die Top-Entscheider aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft regelmäßig zusammenkommen, um gemeinsam Hamburgs Zukunft zu gestalten.
Kritik an der Strategie des Senats
Mehrfach lobt der Präses den Hamburger Senat für die gute Zusammenarbeit, spart an einigen Stellen aber auch nicht mit Kritik, beispielsweise als er sich mit der Stadtwirtschaftsstrategie des Senats auseinandersetzt. Diese dient eigentlich dazu, die öffentlichen Unternehmen im Sinne des Gemeinwohls zu stärken. Laut Handelskammer greift sie aber zunehmend in Bereiche der Privatwirtschaft ein. „Ich erinnere an die notwendige Aufgabentrennung von Staat und Wirtschaft, die wir in unserer Verfassung festgeschrieben haben.“ Austs Appell an Senat und Bürgerschaft: „Bitte achten Sie darauf, dass aus unserer Stadtwirtschaft keine Staatswirtschaft wird.“
Damit trifft er einen Nerv bei den Hamburger Unternehmern, die die Forderung mit viel Beifall bedenken. Ebenso bei dem Thema, auf das er immer wieder zurückkommt: den Bürokratieabbau. Er beklagt in seiner gut einstündigen Rede zahlreiche neue Gesetze und „Regulierungsungetüme“ vom Bund und EU. So könne es nicht weitergehen. „Eines der wichtigsten Grundrechte in unserer Verfassung ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das gilt auch für Unternehmerinnen und Unternehmer.“
Hamburger Verwaltungsapparat soll sparen
Zudem beklagt der Kammer-Präses den aus seiner Sicht aufgeblähten Verwaltungsapparat. Die rund 5,2 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst würden den Steuerzahler jährlich etwa 300 Milliarden Euro kosten. Eine Reduktion um nur zehn Prozent durch konsequente Digitalisierung würde jährlich 30 Milliarden Euro frei machen und dem Arbeitsmarkt dringend benötigte Fachkräfte zur Verfügung stellen.
Lacher gibt es aus dem Publikum, als Aust auf die bereits bekannte Forderung der Handelskammer zur Bereitstellung einer sogenannten Zukunftsmilliarde zu sprechen kommt. Dabei geht es um Geld, mit dem Innovationsprojekte gezielt gefördert werden sollen. Hier habe der Senat eine echte Chance vertan: „Hamburg konnte sich in diesem Jahr allein über rund 1,5 Milliarden Euro Dividendenzahlung aus ihrer Beteiligung an der Reederei Hapag-Lloyd erfreuen.“ Mit dem Geld habe Hamburg eigentlich nicht gerechnet. „Ich erlaube mir daher die Frage an den Hamburger Senat: Wo ist das Geld geblieben“, sagt Aust an Tschentscher gewandt, der mit seiner Frau zur Veranstaltung gekommen ist.
Bürgermeister Tschentscher darf nicht antworten
Er weiß natürlich, dass er darauf keine Antwort erhalten wird, denn den Senatsmitgliedern steht bei der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns traditionell kein Rederecht zu.
Für den Hamburger Hafen kündigt die Handelskammer einen eigenen Zukunftsplan an und forderte eine weitere Öffnung des Umschlaggeschäfts. Der Hafen sei das wirtschaftliche Herz der Stadt. Dieses Herz schlage aber nicht mehr im Takt der Weltwirtschaft, sagt Aust und liefert auch gleich die Begründung dafür: „Hamburg hat ein Effizienzproblem im Containerumschlag und ist für viele Verkehre zu teuer.“ Mit der geplanten Teilprivatisierung der HHLA habe der Senat das Effizienzproblem erkannt und reagiere darauf. „Aber der Einstieg der weltweit größten Linienreederei MSC bei der HHLA führt allein noch nicht zu mehr Wettbewerb im Containerumschlag.“
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Jochen Spethmann hatte die traditionelle Jahresschlussveranstaltung der Hamburger Wirtschaft eröffnet. Der neue Vorsitzende der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg erklärt dann, dass diese 2023 zum letzten Mal unter dem alten Namen stattfinde. Deutschlands älteste und größte werteorientierte Vereinigung von Kaufleuten will sich ein moderneres Image zulegen und heißt künftig „Versammlung Ehrbarer Kaufleute zu Hamburg“. Ehrbare Kaufleute setzten sich für Toleranz, Respekt und Anstand ein, betont Spethmann in seiner Ansprache. Und ebenso wie Aust verurteilt er schließlich den aus ihrer Sicht um sich greifenden Antisemitismus.
Am Ende gibt es langanhaltenden Beifall für beide Redner.