Hamburg. Die Steuern fließen zwar verlässlicher als im Rest des Landes. Dennoch muss der Finanzsenator wohl einen ungewohnten Schritt gehen.

Dass der Motor der deutschen Wirtschaft seit Monaten kräftig stottert, macht sich in Hamburg finanziell bislang weniger bemerkbar als im Rest der Republik. Während der Bund und viele Länder wie Schleswig-Holstein mit Einbrüchen bei den Steuereinnahmen hadern, sollen diese in der Hansestadt sogar leicht steigen. Die aktuelle Schätzung sagt der Stadt im Vergleich zur Herbst-Steuerschätzung bis 2028 insgesamt Mehreinnahmen von gut 250 Millionen Euro voraus.

Wie Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) bei der Vorstellung der Prognose im Rathaus sagte, sei das vor allem auf die positive Entwicklung der Gewerbe­steuer und der Lohnsteuer in Hamburg zurückzuführen. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft läuft noch, und die Beschäftigungsquote ist weiterhin hoch. „Hamburg steht auf der Einnahmeseite und in den Konjunkturdaten stabiler da als der Bund“, sagte Dressel. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll in Hamburg in diesem Jahr real um 0,6 Prozent wachsen (Bund: 0,3) und 2025 um 1,2 Prozent (1,0). Auch Löhne und Gehälter sollen sich in Hamburg besser entwickeln.

Steuerschätzung: Trotz Mehreinnahmen herrscht „nicht eitel Sonnenschein“

Der Finanzsenator hob zudem hervor, dass es dem Senat gelungen sei, die Corona-Schulden als eines der ersten Bundesländer vollständig zu tilgen. Die ursprünglich dafür eingeplanten Zinszahlungen von 150 Millionen Euro im Jahr könnten dadurch eingespart werden, was den Spielraum erhöhe. „Dieser Dreiklang hilft uns, gut durch diese herausfordernde Zeit zu kommen“, sagte Dressel.

Dass dennoch „nicht eitel Sonnenschein“ herrscht, wie der Finanzsenator einräumte, verdeutlichen zwei andere Sichtweisen auf die Daten. Erstens: Trotz der Zuwächse gegenüber der November-Schätzung soll Hamburg mit knapp 15,3 Milliarden Euro in diesem Jahr fast 800 Millionen Euro weniger an Steuern einnehmen als noch im Vorjahr. Selbst 2025 wäre dann mit gut 16 Milliarden Euro das Niveau von 2023 noch nicht ganz wieder erreicht, bevor die Einnahmen dann bis 2028 auf 17,2 Milliarden Euro ansteigen sollen.

Entscheidend ist der „Steuertrend“ – und dort klafft eine gewaltige Lücke

Zweitens: Wie berichtet, nimmt der Senat für seine Haushaltsplanung seit dem Regierungswechsel 2011 nicht mehr die Steuerschätzung als Basis, sondern den „Steuertrend“: Dieser leitet sich aus den realen Einnahmen der vergangenen 14 Jahre ab, die in die Zukunft fortgeschrieben werden. Und demnach müssten die Einnahmen erheblich höher ausfallen als die aktuelle Steuerschätzung vorhersagt. Für dieses Jahr klafft eine Lücke von gut 350 MIllionen Euro auf, bis 2028 wächst sie auf fast 2,8 Milliarden an – insgesamt fehlen bis 2028 mehr als 7,5 Milliarden Euro im Haushalt, die im Ernstfall über Kredite besorgt werden müssten.

Ob es so kommt, sei noch offen, sagte Dressel. Bilanziell wäre aber selbst so eine gigantische Kreditaufnahme für die Stadt zu stemmen, denn sie ließe sich größtenteils durch die hohen Überschüsse ausgleichen, die die Stadt in den vergangenen Jahren erzielt hat und auf einem virtuellen „Konjunkturkonto“ verbucht hat. Dort steht noch ein Plus von 6,2 Milliarden Euro. Doch wenn die Steuern sich wirklich derart schwach entwickeln wie die Schätzer vorhersagen, müsse dieses Konto erstmals überhaupt „ins Dispo“ gehen, räumte Dressel ein.

Auch Finanzsenator Dressel für Lockerung der Bundes-Schuldenbremse

„Risiken gibt es weiter reichlich“, warnte der Finanzsenator daher und nannte beispielhaft die enormen Kostensteigerungen in den Bereichen Bauen, Personal, Energie und Flüchtlinge sowie den Haushaltsstreit in der Bundesregierung. Mit Blick auf den Entwurf des Haushalts 2025/2026, den der Senat Mitte Juni beschließen will, sei daher „keine Zeit für Wünsch-dir-was“.

Der Vorstoß der Regierungsfraktion von SPD und Grünen, die Schuldenbremse auf Bundesebene so zu lockern, dass mehr Investitionen in die Infrastruktur möglich wären, sei mit ihm abgestimmt, sagte der Senator. Er verwies darauf, dass internationale Ratingagenturen damit drohten, die Kreditwürdigkeit Deutschlands herabzustufen – und zwar nicht wegen hoher Verschuldung, sondern wegen fehlender Investitionen in die Infrastruktur.

Steuerschätzung: CDU und FDP gegen Aufweichung der Schuldenbremse

Aus Sicht von CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer darf es dagegen „keine Abstriche vom System der Schuldenbremse geben“. Die Steuerschätzung spiegele „das schwache Umfeld aufgrund der verfehlten Wirtschaftspolitik der Ampelregierung wider“. Daher müsse dringend gegengesteuert werden: „Immer nur die Steuersätze zu erhöhen, wie es Rot-Grün bei der Grunderwerbsteuer und der Kulturtaxe gemacht hat, ist dagegen der falsche Weg.“ Nötig sei vielmehr eine nachhaltige Finanzplanung.

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Auch für die FDP-Abgeordnete Anna v. Treuenfels-Frowein ist es „aus der Zeit gefallen, jetzt bei der Schuldenbremse die Bremskraft zu reduzieren“. Sie forderte: „Die Wirtschaft gehört durch einen aktiven Senat massiv angekurbelt, dann läuft auch das Konjunkturkonto wieder besser.“

Steuerschätzung: Linkspartei fordert „kräftige Investitionen“

Zustimmung zur Reformierung der Schuldenbremse kam von der Linkspartei: „Auch diese Steuerschätzung wird nur eintreten, wenn die wirtschaftliche Entwicklung wieder anspringt“, sagte ihr haushaltspolitischer Sprecher David Stoop. „Und das hängt auch davon ab, ob die öffentliche Hand wirklich Geld ausgibt. Wir brauchen jetzt kräftige Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln.“

Petra Ackmann, Landesvorsitzende des Bundes der Steuerzahler Hamburg, nannte es „ein gutes Zeichen, dass Hamburg seine in der Corona-Zeit aufgenommenen Notkredite vorzeitig zurückgezahlt hat. Das spart Zinszahlungen und schafft mehr Spielraum bei den Ausgaben.“ Auf die Steuerschätzung schaue sie dagegen eher besorgt, da einige Unternehmenssteuern rückläufig seien. Ackmann: „Wir fordern weiterhin von der Stadt Maßnahmen, die es den Unternehmen wieder möglich machen, höhere Gewinne zu erzielen. Ein Stichwort ist hier Bürokratieabbau.“