Hamburg. Gewerkschaften prangern an: In der Hansestadt wird ein Teil der Beschäftigten schlechter bezahlt als im Umland. Beispielrechnungen.

Arbeitskampf ist manchmal genau das: Kampf. An diesem Novembermorgen kämpfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes aber weniger mit den Arbeitgebern als erst mal mit dem Wetter. Als sich rund 150 bis 200 von ihnen am frühen Morgen auf dem Jungfernstieg versammeln, gehen kräftige Regenschauer herunter, es stürmt, der Wind zerrt an den Fahnen und Transparenten der Demonstranten.

„Ich kann gar nicht so schlecht arbeiten, wie ich bezahlt werde!“, steht darauf. Oder: „Rücken krumm, Taschen leer – Arbeitgeber, danke sehr!“ Mit den „Arbeitgebern“ ist in Hamburg der Senat gemeint, darüber hinaus sind es die 15 Bundesländer (Hessen ist ausgeschert) als Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Da der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) auch TdL-Vorsitzender und damit oberster Verhandlungsführer der Länder ist, gibt es gleich zwei gute Gründe für die Demonstranten, zum Gänsemarkt zu ziehen, um vor dem Amtssitz des Finanzsenators „Dressel in die Elbe!“ zu skandieren.

So geht das nun schon seit Tagen, und es dürfte noch einige Wochen so weitergehen. Denn bis zur nächsten Verhandlungsrunde in drei Wochen wollen die Gewerkschaften beinahe täglich mit Aktionen und Warnstreiks auf ihre Anliegen hinweisen. Punktuell könnten die Bürger das zu spüren bekommen, wenn etwa Kundenzentren in den Bezirken personell unterbesetzt sind, Schleusen im Hafen nicht bedient werden oder die Nachmittagsbetreuung an Grundschulen ausfällt, weil das pädagogische Personal im Warnstreik ist. Das Abendblatt stellt daher die wichtigsten Fragen und Antworten zusammen.

Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst: Worum geht es?

Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der im Frühjahr neu abgeschlossen wurde und rund 2,5 Millionen Beschäftigte bei Bund und Kommunen direkt oder indirekt betrifft, und dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), um den es jetzt geht. Diese Verhandlungen betreffen 1,2 Millionen Beschäftigte der Länder sowie knapp 1,3 Millionen Beamte, auf die das Ergebnis in der Regel übertragen wird.

In Hamburg sind etwa 41.000 Tarifbeschäftigte, 4800 Auszubildende und Nachwuchskräfte sowie indirekt 42.000 Beamte betroffen.

Was fordern die Gewerkschaften, und was bieten die Arbeitgeber?

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und der Beamtenbund dbb fordern 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Nachwuchskräfte sollen 200 Euro mehr erhalten und Auszubildende unbefristet übernommen werden. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll zwölf Monate betragen. Mitarbeiter in Stadtstaaten wie Hamburg sollen außerdem eine Zulage von 300 Euro im Monat bekommen (150 Euro für Nachwuchskräfte).

Die TdL hat bislang kein Angebot vorgelegt, aber durchblicken lassen, dass man sich „ein Volumen deutlich oberhalb des letzten TVL-Tarifergebnisses“ vorstellen könne, so Dressel.

Gibt es Hamburger Besonderheiten?

Durchaus. Denn als Stadtstaat ist die Hansestadt Land und Kommune zugleich. Daher werden in Hamburg viele Mitarbeiter nach dem TV-L bezahlt, während sie in den Umland-Gemeinden nach TVöD entlohnt werden – und damit in der Regel höher. Das mache Unterschiede von 300 bis 500 Euro im Monat aus, so die Gewerkschaften dbb und Komba, und sei ein Grund, warum oft Mitarbeiter die Hamburger Verwaltung verlassen oder gleich in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein anheuern statt in der Hansestadt – zumal das Leben hier auch noch deutlich teurer ist.

„Dies hat zur Folge, dass Hamburg in der Konkurrenz um Fachkräfte den Kürzeren zieht und ist ein wesentlicher Grund für die angespannte Personalsituation, unter der Beschäftigte und Bürger leiden“, heißt es bei Ver.di. „Mindestens 5000 Stellen“ seien in der Hansestadt daher nicht besetzt. In einem Brandbrief der Technischen Abteilung der Feuerwehr, wo etwa Mechaniker und Mechatroniker 2772 bis 3476 Euro im Monat verdienen, heißt es: „Es kommt kein Personal nach für die Mehrarbeit, die ansteht. Im Gegenteil, es verlassen uns Kollegen und Kolleginnen zu attraktiveren Arbeitgebern.“ Innerhalb des TV-L sind die Unterschiede zwischen den Ländern dagegen gering (siehe Tabelle).

Welche Unterschiede gibt es zwischen Hamburg und dem Umland?

Der Beamtenbund dbb hat für das Abendblatt dargestellt, wie sich der Unterschied zwischen den Tarifverträgen konkret auswirkt: In der Entgeltgruppe E 5, Stufe 3 (Beispiele: Schulsekretariat, Geschäftszimmertätigkeiten, Stufe drei erhält man nach dreijähriger einschlägiger Berufserfahrung) gibt es nach dem aktuellen TV-L 2957,34 Euro, nach dem TVöD dagegen 3245,11 – die Differenz vor den Tarifverhandlungen beträgt 287,77 Euro.

In der Entgeltgruppe E 9b; Stufe 3 (Beispiel: Personalsachbearbeitung in großen Dienststellen, Personalrekrutierung) ist der Unterschied noch größer: 3520,54 Euro monatlich nach TV-L stehen 3969,97 Euro nach TVöD gegenüber – eine Differenz von 449,43 Euro. In der Entgeltgruppe E 13, Stufe 3 (Beispiele: Ingenieure, Architekten, Juristen, Lehrkräfte, jeweils nicht verbeamtet) sind es sogar 644,03 Euro (4748,54 zu 5392,57 Euro) – das ließe sich selbst mit 10,5 Prozent mehr Lohn nicht ausgleichen.

Hamburg schade sich als Arbeitgeber selbst, sagt der dbb-Landesvorsitzende Thomas Treff. „Denn ohne spürbare Angleichung der Entgelte an Bund und Kommunen, werden uns viele Kolleginnen und Kollegen verlassen. Kein Wunder, wenn man für die gleiche Arbeit beim Bund oder den Kommunen dann zwischen 250 und mehr als 600 Euro pro Monat mehr verdient als in Hamburg.“

Wie wirken sich die Streiks auf die Bürger aus?

Das hängt immer davon ab, aus welchen Bereichen sich wie viele Mitarbeiter beteiligen. Wie die für Bezirke zuständige Wissenschaftsbehörde auf Abendblatt-Anfrage mitteilte, waren am Dienstag drei Standorte des „Hamburg Service vor Ort“ (früher: Kundenzentren) betroffen: Billstedt, Mitte und Süderelbe. „Termine mussten dort abgesagt werden“, so die Behörde.

In der Frühschicht habe es an diesen drei Standorten einen Terminausfall von etwa 80 Prozent gegeben. Als am Vortag in Bergedorf gestreikt wurde, habe es dagegen nur „minimale Einschränkungen“ gegeben.

Wie geht es weiter?

Für Mittwoch ruft Ver.di erneut Beschäftigte aus den Bezirksämtern, Behörden, Schulen, Feuerwehr und Landesbetrieben zum Warnstreik auf, für Donnerstag dann Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes. Am 23. November soll es „eine große Aktion“ geben, die sich an alle Beschäftigten des hamburgischen öffentlichen Dienstes richten soll.

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Die dritte Verhandlungsrunde findet vom 7. bis 9. Dezember in Potsdam statt. Er hoffe, dass die Arbeitgeber bis dahin ein verhandlungsfähiges Angebot vorlegen, sagte dbb-Chef Thomas Treff. TdL-Chef Dressel verwies dagegen auf die „dramatische Haushaltslage in vielen Ländern“. Er hoffe dennoch, „rechtzeitig vor Weihnachten“ zu einem Tarifabschluss zu kommen.