Hamburg. Finanzsenator wirft dem Bund vor, Solidarität mit den Ländern aufzukündigen. Warum ihm 7500 Euro pro Neuankömmling zu wenig sind.

Mit dem lieben Geld ist das ja so eine Sache. Ob man davon zu wenig oder zu viel oder gerade genug hat, kommt ganz auf die Perspektive an. Bei öffentlichen Haushalten wie dem der Stadt Hamburg ist das nicht anders. Aus Sicht von Finanzsenatoren ist das Geld immer knapp und muss unbedingt zusammengehalten werden, während Fachpolitiker und Opposition das häufig ganz anders sehen.

Dieses Szenario prägte auch die November-Steuerschätzung, die Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) am Dienstag vorgestellt hat. Die sieht auf den ersten Blick recht erfreulich aus: 464 Millionen Euro mehr soll die Stadt in diesem Jahr einnehmen, 189 Millionen mehr im kommenden Jahr, 269 Millionen mehr in 2025 und so weiter – auf insgesamt gut 1,3 Milliarden Euro bis 2027 soll sich das Plus gegenüber der letzten Steuerschätzung im Mai summieren. Das fällt bei einem Jahresetat von rund 20 Milliarden Euro zwar nicht groß ins Gewicht. Doch eine Erwähnung wären diese Zahlen wert gewesen.

Steuerschätzung: Dressel schwört auf harte Zeiten ein: „Für neue Ausgabewünsche ist kein Raum“

Andreas Dressel erwähnte sie jedoch gar nicht. Bewusst nicht, wie man wohl unterstellen darf. Denn der Finanzsenator wollte eine andere Botschaft senden. „Schwierige Perspektiven“, lautete schon die Überschrift über seiner Pressemitteilung, und „schwierig“ war auch eines der ersten Worte bei der Vorstellung der Steuerschätzung. Denn seine Rechnung ging so: Wenn man von den vorhergesagten Steuermehreinnahmen alle Belastungen aus Gesetzen abziehe, die derzeit zwischen Bund und Ländern verhandelt werden – etwas das umstrittene „Wachstumschancengesetz“ von Finanzminister Christian Lindner (FDP) – und auch die Summen, die der Bund den Ländern nur zweckgebunden zur Verfügung stelle wie Mittel zur Verbesserung der Kita-Qualität, bleibe kaum etwas übrig.

Statt eines 1,3-Milliarden-Plus‘ stünden dann nur noch Mehreinnahmen von 350 Millionen Euro für 2023 und 2024, während für die folgenden Jahre sogar ein Minus von 120 Millionen Euro zu Buche schlage. „Für den Haushalt 2025/2026 verdüstern sich die Aussichten leider weiter“, lautete daher Dressels Fazit. Der rot-grüne Senat bleibe zwar bei seinem Grundsatz, keine harten Sparlisten aufzustellen. Doch vorsichtshalber ermahnte der Finanzsenator seine Senatskollegen erneut, ihre Etats zu „bewirtschaften“ – so wird im Verwaltungsdeutsch bemäntelt, wenn geplante Ausgaben erstmal zurückgestellt werden. „Für neue Ausgabewünsche ist kein Raum.“ Auch zehnprozentige Kostensteigerungen, etwa bei den Löhnen im öffentlichen Dienst, seien kaum zu finanzieren.

Flüchtlingskosten: Finanzsenator kritisiert Bund für fehlende Solidarität mit den Ländern

Der entscheidende Parameter sei allerdings nicht die volatile Steuerschätzung., sondern der „Steuertrend“. Das ist im Prinzip eine Linie in die Zukunft, die sich aus den tatsächlichen Steuereinnahmen der Stadt in den vergangenen 14 Jahren ableitet und die die Basis für die Haushaltsplanung bildet. In den vergangenen zehn Jahren lagen die Einnahmen fast durchweg über diesen Trendwerten, sodass am Ende Geld übrig blieb und zum Beispiel Schulden getilgt werden konnten. „Konjunkturkomponente“, nennt der Senat diese bilanziellen Überschüsse, die sich mittlerweile auf 7,3 Milliarden Euro addiert haben. Doch das kehrt sich nun um.

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Vom kommenden Jahr an an klafft zwischen den Trendwerten und den progonostizierten Steuereinnahmen eine enorme Lücke: Sie wächst von 334 Millionen Euro 2024 auf mehr als 1,6 Milliarden Euro 2027 – dieses Geld fehlt dann. Auch daher sei das, was Bund und Länder bis weit in die Nacht auf Dienstag in Berlin verhandelt haben, „den Umständen entsprechend nicht zufriedenstellend“, sagte der Finanzsenator.

Hamburg gibt eine Milliarde Euro pro Jahr für Flüchtlinge aus, der Bund übernimmt weniger als 100 Millionen

Insbesondere bei den Ausgaben für Flüchtlinge hätte er sich mehr Engagement vom Bund gewünscht, betonte Dressel. Hamburg wende rund eine Milliarde Euro pro Jahr für Unterbringung und Betreuung geflüchteter Menschen auf, davon übernehme der Bund weniger als 100 Millionen Euro. „Ein Missverhältnis“, so der Finanzsenator. Die 7500 Euro, die die Ampel-Koalition künftig pauschal pro Flüchtling an die Länder zahlen will, änderten daran kaum etwas, denn sie würden nur für Neuankommende und nur ein Jahr lang gezahlt. Die Entlastung bleibe „überschaubar“, so Dressel. Da der Bund sich aus der bisherigen Bund-Länder-Solidarität „leider weitgehend verabschiedet“ habe, kämen jetzt „finanzpolitisch sehr schwere Zeiten auf uns zu“.

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Diese pessimistische Sichtweise teilte die Oppostion nicht. Der rot-grüne Senat habe „kein Einnahme-, sondern ein massives Ausgabeproblem“, so Thilo Kleibauer, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Die Steuereinnahmen der Stadt seien in diesem Jahr rund drei Milliarden Euro höher als vor fünf Jahren und würden ausweislich der Prognose weiter steigen. „Es rächt sich jetzt, dass der Senat die Ausgaben in vielen Bereichen ständig gesteigert hat, ohne Vorsorge für höhere Zinsen oder Tarifabschlüsse zu treffen.“

FDP beklagt „Jammern auf hohem Niveau“, Linke fürchtet „kräftige Kürzungen“

Die FDP-Landesvorsitzende Sonja Jacobsen ordnete es ähnlich ein: „Es ist merkwürdig, dass Senator Dressel immer über fehlenden finanziellen Spielraum klagt und die Schuld dabei beim Bund sucht. Hamburg nimmt 300 Millionen Euro mehr ein als geplant, das Jammern findet somit auf hohem Niveau statt.“ Der Bund sei den Ländern bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten einen großen Schritt entgegengekommen. Da die Einnahmen konjunkturbedingt vermutlich dennoch weniger stark sprudeln würden, müsse Rot-Grün Vorschläge machen, wo man sparen könne.

Nach Ansicht von Thomas Reich (AfD) ist die Steuerschätzung die Quittung für „unverantwortliche Politik der letzten Jahre. Insbesondere die Inflations- und Migrationskrise führen zu Ebbe in der Kasse.“ Norbert Hackbusch (Linkspartei) stellte fest: „Dressel schwört Hamburg auf harte Zeiten ein.“ Seine Befürchtung: „Es wird keinen ausreichenden Inflationsausgleich geben – weder für die Beschäftigten noch für die diversen sozialen Träger. Doch das bedeutet ganz konkret: Es drohen kräftige Kürzungen.“