Hamburg. Der Vorstandvorsitzende muss vorzeitig gehen. Gespräch über die Todesfälle im Werk, den großen Metallklau und eine Millionen-Abfindung.

Erst gab es drei Todesopfer bei einem Arbeitsunfall, kurz darauf wurden Diebstähle, Betrug und Gewinneinbußen in Höhe von 170 Millionen Euro aufgedeckt. Für den Hamburger Kupferkonzern Aurubis war 2023 ein Horrorjahr. Vorstandschef Roland Harings und zwei Vorstandskollegen müssen deshalb vorzeitig gehen, beschloss der Aufsichtsrat. Im Abendblatt-Interview sagt der 60 Jahre alte Top-Manager, warum er diese Entscheidung nicht zwingend findet. Und er sagt, warum Hamburg bei einer Millionen-Investition wenig Chancen hat.

Herr Harings, als Sie vor knapp fünf Jahren Vorstandschef von Aurubis wurden, lag der Aktienkurs bei unter 40 Euro, zuletzt waren es um die 80 Euro. Der Konzern hat beständig Rekordgewinne eingefahren. Halten Sie es angesichts dessen für gerechtfertigt, dass Sie Aurubis vorzeitig verlassen müssen?

Roland Harings: Als ich hierhergekommen bin, habe ich eine Art schlafende Schönheit vorgefunden. Ich denke, wir haben seitdem aus einem Unternehmen, das bereits gut war, aber etwas in sich geruht hat, einen globalen Spieler gemacht, der große Schritte nach vorne macht. Wir haben mit einem starken Team die Voraussetzungen für den internationalen Wachstumskurs geschaffe. Es ist eine spannende und erfüllende Zeit gewesen, die ich hier fünf Jahre hatte und wir haben immer eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat gehabt. Jedoch ist CEO immer eine Funktion auf Zeit. Was im vergangenen Jahr geschehen ist, war ein brutaler Schlag für uns alle. Die drei Todesfälle im Werk sind bis heute total schockierend und dazu kamen dann noch die Kriminalitätsfälle.

Aurubis-Chef Roland Harings: „Ich hätte gern weitergemacht“

Anders gefragt: Hätte sich ein Aufsichtsratsvorsitzender Roland Harings gegenüber einem CEO mit einer solchen Erfolgsbilanz in einer vergleichbaren Situation genauso verhalten?

Ich muss ganz klar sagen: Nein. Es hätte bestimmt auch andere Möglichkeiten gegeben. Doch wir sind Opfer von professionellen Kriminellen geworden. Meine Vorstandskollegen haben die Verantwortung in ihren Ressorts und ich die Gesamtverantwortung übernommen. Der Aufsichtsrat hätte auch anders entscheiden können. Aber, wir trennen uns im Guten und ich werde das laufende Geschäftsjahr noch abschließen.

Sie wären also gerne Vorstandschef von Aurubis geblieben?

Ja, ich hätte auf jeden Fall gern weitergemacht. Als ich als designierter Vorstandsvorsitzender im Mai 2019 kam, hatte ich für mich einen Acht-Jahres-Plan für das Unternehmen im Kopf, den ich natürlich gern zu Ende geführt hätte. Aurubis ist ein tolles Unternehmen, ganz ehrlich, ich wäre gern geblieben.

Werfen Sie sich selbst als Vorstandschef Fehler bei den Themen Arbeitssicherheit und Metalldiebstahl vor?

Arbeitssicherheit ist immer meine und Aurubis‘ Top-Priorität gewesen. Ich habe mich wirklich intensiv selbst befragt, ob ich etwas hätte besser, anders machen können und müssen. Ich habe mir, auch im Rückblick, persönlich nichts vorzuwerfen. Auch die Ermittlungen der Behörden gegen Aurubis wurden nicht weiterverfolgt. Was die Kriminalfälle im Werk angeht: Dafür gibt es grundsätzlich Verantwortungen im Unternehmen. Um es noch mal klar zu sagen, wir sind Opfer geworden, von dieser kriminellen Energie und den Innentätern waren auch wir überrascht.

„Haftstrafen hätten gern ein paar Jahre höher ausfallen können“

Bislang sind Diebstähle und Betrug mit einem Schaden in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe bekannt. Wie weitere Edelmetalle im Wert von mehr als 100 Millionen Euro verschwunden sind, ist aber immer noch offen. Sind Unternehmen und Polizei bei der Aufklärung inzwischen weitergekommen?

Die Diebstähle sind ja weitgehend aufgeklärt und juristisch aufgearbeitet. Die Haftstrafen hätten gern ein paar Jahre höher ausfallen können, aber insgesamt ist das ein gutes Beispiel für eine schnelle und erfolgreiche Strafverfolgung. Bei dem Betrugsfall haben wir unsere internen Ermittlungen abgeschlossen und die Ergebnisse an die Behörden übergeben. Wir verstehen inzwischen sehr genau, was da passiert ist, machen das aber nicht öffentlich. Die nächsten Schritte liegen nun bei der Polizei und Justiz.

An den Taten waren auch Aurubis-Mitarbeiter beteiligt. Von wie vielen Beschäftigten hat sich das Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten deshalb getrennt?

Es waren weniger als zehn. Es ist so schade, dass wir da einige, wenige Mitarbeiter hatten, die sich an kriminellen Aktivitäten beteiligt haben, bei denen ein so großer Schaden entstanden ist. Wir haben natürlich keine Garantie, dass wir alle kennen, die vielleicht nur zugeschaut haben, die mittelbar oder unmittelbar beteiligt waren. Wichtig ist, dass alle hinschauen und für die Sicherheit von Aurubis einstehen. Auch deshalb machen wir jetzt unter anderem Sensibilisierungskampagnen für alle Beschäftigten, wie man in ein kriminelles Umfeld hineingezogen werden kann.

Unmut über Millionenabfindung? „Kann ich nachvollziehen“

Sie müssen den Vorstandsvorsitz knapp drei Jahre vor Ende des Vertrags räumen, bekommen aber mehr als vier Millionen Euro Abfindung. Können Sie nachvollziehen, dass es darüber auch Unmut gibt?

Ich hätte meinen Vertrag gern erfüllt – und ja, das kann ich nachvollziehen.

Kann man sich das vorstellen wie bei einem Fußballtrainer, der vorzeitig gehen muss, aber das Grundgehalt bis zum Ende der Vertragslaufzeit weiterhin erhält?

So ist das rechtlich geregelt.

Zurück zu Ihrer persönlichen Bilanz als Vorstandsvorsitzender. Gab es Dinge, die besser hätten laufen müssen?

Es gibt da etwas, das mit meiner Persönlichkeit zusammenhängt. Ich bin halt jemand, der immer die Trommel schlägt, immer weiter neue Projekte antreibt, Dinge entdeckt, die man auch noch tun sollte. Wir hätten zwischendurch auch mal Innehalten und die großen Erfolge feiern sollen, die das Team gemeinsam realisiert hat. Auch mal Durchschnaufen, Schulterklopfen, eine Feier machen. Ich hätte die Leistungen eines großartigen Teams mehr würdigen sollen, das ist zu kurz gekommen.

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Im Stammwerk Hamburg wird gerade eine Demonstrationsanlage für das Recycling von Elektroauto-Batterien errichtet. Wie wahrscheinlich ist es, dass Hamburg auch Standort der geplanten Großanlage sein wird?

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren rund 900 Millionen Euro in die Zukunft unseres Stammwerks investiert und werden am Standort Hamburg in den nächsten Jahren weitere Hunderte Millionen investieren. Beim Standort für das Batterierecycling schlägt mein Herz natürlich für Hamburg, aber mit den aktuellen Rahmenbedingungen tun wir uns schwer.

Was genau bereitet Ihnen Sorge?

Das sind die Energiekosten. Aurubis benötigt rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche große Mengen Energie zu international wettbewerbsfähigen Kosten. Auf diese Anforderung liefert die Energiepolitik in Deutschland derzeit keine verlässlichen Antworten. Da werden irgendwelche Träume um grünen Wasserstoff formuliert, den man hinterher wieder verstromt. Kann man alles machen, ist aber international nicht wettbewerbsfähig. In Frankreich und vielen anderen europäischen Ländern wie Bulgarien, Spanien und in Skandinavien sieht das ganz anders aus. In Deutschland hat die energieintensive Industrie Wettbewerbsbedingungen, die auf Dauer nicht funktionieren werden oder unsinnige staatliche Subventionen erfordern.

Aurubis-Chef Roland Harings: Energiepreis erschwert Investition in Hamburg

Das heißt was konkret für den Standort der Batterierecycling-Anlage?

Wir sind in einem frühen Stadium der Standortfrage. Hamburg wäre aktuell auf Platz drei, Standorte in Bulgarien und Frankreich liegen ganz klar vorn. Nicht nur wegen der Energie, sondern auch wegen der Genehmigungsverfahren und der Verfügbarkeit von Industrieflächen.

Sie wünschen sich mehr Unterstützung von der Stadt?

Mit Hamburg arbeiten wir sehr eng und extrem gut zusammen. Ein Genehmigungsverfahren würden wir hier gemeinsam in vertretbarer Zeit durchbekommen. Das Problem sind die vielfältigen Klagemöglichkeiten, die so etwas in die Länge ziehen. Das führt zu Planungsunsicherheit und zu der Gefahr, dass ein Genehmigungsverfahren extrem lange dauert.

Aurubis erwägt den Bau eines eigenen Kraftwerks

Hat das langfristig Auswirkungen auf den Standort Hamburg insgesamt? Wie viel Zukunft hat das Werk?

Für das Batterierecycling bräuchten wir ohnehin mehr Platz, für die Anlage ist das Werksgelände auf der Veddel zu klein. Für das bestehende Werk bin ich weiterhin optimistisch, sonst würden wir hier nicht so viel investieren. Wir arbeiten bereits daran, alternative Energieträger wie Ammoniak und Wasserstoff einzusetzen. Ich glaube aber, dass, falls sich die deutsche Energiepolitik nicht grundsätzlich ändert, Aurubis wieder über eine eigene Stromversorgung nachdenken sollte. Wir prüfen verschiedene Optionen und es gibt freie Flächen für ein Kraftwerk in der Nähe des Werks und im Hafen. Wir sind in Gesprächen mit der Hafenbehörde HPA. Die gute Nachricht ist: Wir haben noch Zeit, die beste Lösung zu finden, weil wir mit Vattenfall einen langfristigen Stromliefervertrag mit akzeptablen Preisen bis nach 2030 haben. Und ich glaube, dass die Politik in Deutschland die lauten Schreie der Industrie eines Tages doch erhört und die Energiepolitik neu justieren wird. Vielleicht nicht die aktuelle Ampelregierung, aber wir haben ja in eineinhalb Jahren Neuwahlen.