Hamburg. Nach Edelmetallklau mit Millionenschaden im Hamburger Werk trennt sich der Konzern von seinem Chef und zwei weiteren Vorständen.
Nach einer Serie von Diebstählen, einem groß angelegten Betrug sowie schweren Arbeitsunfällen müssen beim Hamburger Kupferkonzern Aurubis der Vorstandschef Roland Harings, Finanzvorstand Rainer Verhoeven und Produktionsvorstand Heiko Arnold vorzeitig gehen. Das hat der Aufsichtsrat des Unternehmens am Dienstagnachmittag in einer Ad-hoc-Mitteilung bekannt gegeben. Dort heißt es: „Der Aufsichtsrat der Aurubis AG ist mit dem Vorstandsvorsitzenden Roland Harings, dem Finanzvorstand Rainer Verhoeven und dem Vorstand Custom Smelting & Products Heiko Arnold übereingekommen, die laufenden Vorstandsverträge vorzeitig zu beenden.“
Aurubis-Aufsichtsrat: Vorstandschef Roland Harings muss zum 30. September gehen
Der Aufsichtsrat verweist in der Mitteilung ausdrücklich auf die Kriminalfälle im Hamburger Werk, die zu Einbußen in Höhe von annähernd 170 Millionen Euro geführt haben. Als Grund für die Auflösung der Vorstandsverträge nennt er zudem mehrere schwere Arbeitsunfälle mit insgesamt drei Toten im Stammwerk des Unternehmens im vergangenen Jahr. Wörtlich heißt es in der Mitteilung: „Die drei Vorstandsmitglieder tragen damit den besonderen Herausforderungen der Aurubis im abgelaufenen Geschäftsjahr Rechnung, insbesondere mit Blick auf die schwerwiegenden Betrugs- und Diebstahlsfälle im Werk Hamburg und Vorkommnisse im Bereich der Arbeitssicherheit.“
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Allerdings werden die Verträge nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Harings, seit Mitte 2019 Aurubis-CEO, soll das Unternehmen am 30. September, dem letzten Tag des laufenden Geschäftsjahrs 2023/24, verlassen. Sein Vertrag lief noch bis Mitte 2027. Finanzvorstand Verhoeven, der einen Vertrag bis Ende 2025 hatte, geht zum 30. Juni dieses Jahres. Heiko Arnold, der bis mindestens Sommer 2028 bleiben sollte, bereits Ende Februar. Der Aufsichtsrat teilte zudem mit, er habe beschlossen, „nach aktuellem Stand von der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die drei Vorstandsmitglieder abzusehen“.
Aurubis: „Keine Ersatzansprüche gegen die drei Vorstandsmitglieder“
Von den vier Aurubis-Vorstandsmitglieder bleibt demnach allein die für das Multimetall-Recycling zuständige Inge Hofkens im Amt. Sie war erst Anfang 2023 in das Top-Management des Konzerns berufen worden. Die Aufgaben von Produktionsvorstand Arnold im Vorstand werde zunächst bis 30. September das Aufsichtsratsmitglied Markus Kramer übernehmen, hieß es. Der Aufsichtsrat habe den Prozess für eine zeitnahe Besetzung der drei in den nächsten Monaten frei werdenden Vorstandsposten in Gang gesetzt.
Der Aufsichtsratsbeschluss stützt sich auf ein Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Hengeler Mueller. Sie war nach Bekanntwerden der Kriminalfälle vom Aufsichtsgremium beauftragt worden, zu untersuchen, ob Vorstandsmitgliedern Versäumnisse vorzuwerfen sind.
Aurubis fehlt Edelmetall im Wert von 169 Millionen Euro
Konkret geht es um eine ganze Reihe von Taten, die im Unternehmen lange unbemerkt blieben. Nach Angaben des Unternehmens fehlen ihm Edelmetalle im Wert von 169 Millionen Euro.
So schaffte eine Bande zwischen Anfang 2020 und Januar 2021 etwa 5000 Kilo eines Edelmetall-Zwischenprodukts mit hohem Silber- und Goldgehalt und einem Wert von etwa elf Millionen Euro vom Werksgelände. Im derzeit laufenden Prozess gegen sechs Angeklagte vor dem Landgericht Hamburg sagte einer der Männer unlängst, die Diebstahlsserie sei bereits gelaufen, als er in das System eingestiegen sei. Er und weitere Angeklagte sagten in ihren Geständnissen zudem, die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Werksgelände seien gering gewesen. Die Diebstähle flogen erst im Sommer 2023 auf.
Aurubis-Mitarbeiter in Diebstähle und Betrug verwickelt
Ebenso wie in die Diebstahlsserie waren offenbar Aurubis-Mitarbeiter in einen groß angelegten Betrug beim Ankauf von Recyclingschrott durch den Konzern verwickelt. Dabei wurden dem Unternehmen Lieferungen von Auto-Katalysatoren untergeschoben, die weit weniger Edelmetall enthielten, als die gezogenen Materialproben versprachen. Diese Proben waren zuvor manipuliert worden, Aurubis bezahlte letztlich für weit mehr Edelmetall, als es aus dem Schrott gewinnen konnte. Dass dem Unternehmen dadurch ein Schaden in Höhe eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags entstand, blieb ebenfalls lange unentdeckt.
Noch weithin ungklar sind die Hintergründe eines Schadens in dreistelliger Millionenhöhe. Vermutet wird, dass es im Werk weitere Diebstähle gab. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Beschäftigter auf frischer Tat ertappt, als er versuchte, edelmetallhaltiges Material in einem Rucksack vom Werksgelände zu schmuggeln. Der Mann und zwei weitere Tatverdächtige sollen seit August 2023 bei mehreren Diebstählen Material im Wert eines mittleren sechsstelligen Betrages entwendet haben.
Aurubis: Roland Harings war lange ein Hoffnungsträger
Arnold, Verhoeven und Harings kostet all dies nun den Job. Der Vorstandschef war 2019 zum Kupferkonzern gekommen, rückte Mitte des Jahres an die Spitze des Top-Managements. Er zeichnet unter anderem für die Expansion des Unternehmens in die USA verantwortlich. Dort errichtet Aurubis derzeit ein Recyclingwerk. Harings erklärte die Wiedergewinnung von Metallen und Edelmetallen, die von zentraler Bedeutung für die Energiewende sind, zum wichtigsten Zukunftsmarkt des Konzerns. Er bereitet unter anderem einen Einstieg in die kommerzielle Verwertung ausgedienter E-Auto-Batterien vor. Zudem treibt Aurubis den Einsatz von grünem Wasserstoff voran, der in der Produktion langfristig fossile Energieträger wie Gas ersetzen soll.
Bis zum Bekanntwerden der Kriminalfälle galt Harings daher als Hoffnungsträger für den Konzern. Sein erster CEO-Vertrag wurde vom Aufsichtsrat vorzeitig um fünf Jahre bis Mitte 2027 verlängert. Im Geschäftsjahr 2021/2022 erklomm der operative Gewinn des Unternehmens trotz Corona-Krise den Rekordwert von 532 Millionen Euro. Und die – trotz der hohen Einbußen durch die Kriminalfälle – knapp 350 Millionen Gewinn im Geschäftsjahr 2022/2023 waren immer noch eines der besten Ergebnisse in der Unternehmensgeschichte.
Als erste Konsequenz aus den Ereignissen im vergangenen „Horrorjahr“ kürzte der Aufsichtsrat den drei Vorständen das Gehalt stark ein. Harings, Verhoeven und Arnold mussten jeweils auf mehrere Hunderttausend Euro verzichten. Der Vorstandschef hatte sich bei der Bilanzvorlage im Dezember 2023 noch zuversichtlich gezeigt, „dass die Untersuchungen ergeben, dass wir hier mit allen Sorgfaltspflichten und mit aller Verantwortung das Unternehmen geführt haben“. Der Aufsichtsrat ist zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen.