Hamburg. Die Kreuzfahrtreedereien wollten schon 2040 klimaneutral sein. Daraus wird nun nichts. Die Gründe – und wie Umweltschützer reagieren.
Lange galt die Kreuzfahrtindustrie beim Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Vorreiter in der Seefahrt. Von der allgemeinen Kritik an ihren Treibhausgasemissionen und sonstigen Umweltbeeinträchtigungen unter Druck gesetzt, fingen deutsche Kreuzfahrtreedereien noch vor der Handelsschifffahrt an, Rußpartikelfilter und Abgasreinigungsanlagen in ihre Schiffe einzubauen und den Einsatz des besonders schädlichen Schweröls als Treibstoff zu verringern.
Zeitweise überschlugen sich die Kreuzfahrtanbieter mit Neuerungen, wie beispielsweise mit besonders kraftstoffsparenden Luftblasenteppichen, auf denen die Schiffe fahren, und sie verkündeten ehrgeizige Ziele zur Klimaneutralität. Doch inzwischen sind die Träume der Ernüchterung gewichen. Die Ziele sind offensichtlich nicht haltbar. Und die Vorreiterrolle ist auch dahin. Die Handelsschifffahrt hat in Sachen Klimaschutz aufgeholt.
Aida und Tui Cruises: Hamburger Kreuzfahrtreedereien kassieren ihre Klimaziele
Praktisch gleichzeitig, aber unabhängig voneinander hatten die beiden großen Zugpferde der deutschen Kreuzfahrtbranche, Aida Cruises und Tui Cruises, noch im September 2021 verkündet, ihre Flotte würde von 2040 an klimaneutral auf den Weltmeeren unterwegs sein. Das wäre zehn Jahre vor den allgemeinen Zielen der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) der UN, die sich auf eine CO2-neutrale Schifffahrt ab 2050 verständigt hat.
Damit leiste Aida Cruises einen aktiven Beitrag zur Erreichung der Klimaziele von Paris und des European Green Deals, teilte die Reederei mit, als sie ihr Ziel ausgab. „Die Vision von Tui Cruises ist klar: Wir wollen bis spätestens 2040 unsere Flotte klimaneutral betreiben“, sagte damals auch die Umweltmanagerin von Tui Cruises, Lucienne Damm. Man feierte sich – und dann kam Corona.
Kreuzfahrtreedereien nun erst 2050 klimaneutral?
Inzwischen haben beide Unternehmen ihre hehren Ziele wieder kassiert. Beide wollen nun 2050 klimaneutral unterwegs sein – damit erfüllen sie gerade mal die Vorgaben der IMO. Von Vorreiterrolle kann keine Rede mehr sein. Stattdessen treten die Unternehmen die Flucht nach vorne an.
Als die „Ostseezeitung“ vor einigen Tagen über die verschobene Klimaneutralität bei Aida berichtete, verwies das Unternehmen auf den Nachhaltigkeitsbericht des Mutterkonzerns Carnival Corporation. „Der erklärt nachweislich, mit welchen technischen Herausforderungen ,First Mover‘ konfrontiert sind und dass allgemeine globale Rahmenbedingungen und unvorhergesehene Ereignisse, wie beispielsweise Corona, und die damit einhergehenden operativen und wirtschaftlichen Herausforderungen Einfluss auf gesteckte Ziele haben“, sagte eine Sprecherin dem Abendblatt.
Unternehmen machen fehlende Kraftstoffe verantwortlich
In dem Nachhaltigkeitsbericht heißt es: „Der aktuelle Mangel an Klarheit über den Zeitpunkt und die Verfügbarkeit kohlenstofffreier Energie im großen Maßstab und/oder Technologien zur Speicherung von Treibhausgasemissionen, die auf unseren Betrieb anwendbar sind, machen es für uns schwer, uns endgültig auf einen bestimmten Weg oder eine Zeitleiste festzulegen.“
Auch Tui Cruises räumt die Verschiebung seines großen Klimaziels ein und verweist dabei auf fehlende alternative Kraftstoffe: „Wir haben uns den Pariser Klimazielen verpflichtet und uns mehrfach 2021 in Fachgesprächen und Interviews dazu bekannt, dass wir einen klimaneutralen Schiffsbetrieb bis 2040 für möglich halten“, sagte Unternehmenssprecherin Daniela Hensel-Ettlin.
Scharfe Kritik kommt von Naturschützern
Durch den internen Entwicklungsprozess der Nachhaltigkeitsstrategie 2030 in den Jahren 2022/23 und der Klimazielsetzung im Rahmen einer Science-based Targets Initiative (wissenschaftlich basierter Ziele) habe Tui Cruises daran anschließend als Unternehmensziel das Jahr 2050 formuliert und veröffentlicht. „Dies deckt sich mit den Industriezielsetzungen (siehe IMO Greenhousegas Strategy) und spiegelt unter anderem die Prognosen in Bezug auf Entwicklung und Markthochlauf von alternativen Kraftstoffen für die Hochseeschifffahrt wider“, so die Sprecherin.
„Dass mehrere Kreuzfahrtunternehmen ihre Klimaziele kassiert und um zehn Jahre in die Zukunft auf 2050 verschoben haben, spricht nach dem ganzen Tamtam um die angebliche Nachhaltigkeit und Ambitionen in Bezug auf den Klimaschutz Bände“, kritisiert hingegen der Hafenexperte und Vorsitzende des Naturschutzbunds Hamburg, Malte Siegert.
Reedereien sollen mehr Schiffe mit neuen Motoren einsetzen
„Angesichts von Corona und den finanziellen Auswirkungen auf die Kreuzfahrtindustrie kann man zwar bedingt Verständnis haben. Wenn jetzt aber wieder eine Phase kommt, in der die Unternehmen Milliardengewinne einfahren, weil das Geschäft brummt, müssen die Verantwortlichen in den Reedereizentralen ihrer wie eine Monstranz vor sich her getragenen Selbstverpflichtung für eine frühestmögliche Klimaneutralität dann auch wieder schneller nachkommen. Das werden wir sehr kritisch verfolgen.“
Zu den Bemühungen der Reedereien müsse die verbindliche Abnahme von Landstrom – wann immer möglich – gehören. Auch eine Beimischung alternativer klimaneutraler Kraftstoffe über die ohnehin 2030 gesetzlich geforderten zwei Prozent hinaus sollte die Unternehmen nicht an der Rand der Existenz bringen, so Siegert. Zudem sollten sich die Reedereien jetzt dafür entscheiden, ihre neuen Schiffe mit Dual-Fuel-Motoren auszustatten, die künftig klimafreundlichen Sprit in Form von synthetischem Methanol oder Ammoniak verbrennen können. „Sie müssen es wirklich wollen“, lautet Siegerts Resümee.
Handelsschifffahrt setzt bereits klimaneutrales Methanol ein.
Dass es tatsächlich schon möglich ist, klimaneutrale Kraftstoffe einzusetzen, zeigen Beispiele aus der Handelsschifffahrt, die genauso unter dem Druck der IMO-Vorgaben steht wie die Kreuzfahrtindustrie. Die dänische Reederei Maersk hat vor wenigen Tagen ihr erstes mit Methanol betriebenes Containerschiff im Hamburger Hafen vorgestellt. Ein weiteres ist seit einem halben Jahr im Einsatz.
Auch die Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd lässt derzeit fünf Frachter auf Methanolantrieb umstellen. Beide Reedereien haben Verträge mit langfristigen Lieferanten. Tui Cruises wird hingegen mit „Mein Schiff 7“ im Juni sein erstes Kreuzfahrtschiff taufen, das über einen Dual-Fuel-Motor verfügt und mit fossilfreiem Kraftstoff betrieben werden kann – wie gesagt, es ist das weltweit erste Kreuzfahrtschiff.
Hapag-Lloyd und Maersk schneller klimaneutral als Aida und Tui Cruises
Aida Cruises hat so etwas noch nicht im Angebot. Das Unternehmen verweist auf seine letzten beiden Neuzugänge „Aidanova“ und „Aidacosma“, die mit Flüssigerdgas fahren. Das ist zwar nicht klimaneutral, reduziert den Ausstoß von CO2 aber um etwa 30 Prozent.
Zudem treibt Aida die Versorgung mit Landstrom während der Liegezeit in den Häfen voran.: „Alle acht Schiffe, die im Sommer ab deutschen Häfen zu Kreuzfahrten aufbrechen, können Landstrom verwenden“, sagte eine Sprecherin. Die Branche kommt mit Trippelschritten voran.
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Übrigens hat Hapag-Lloyd angekündigt, von 2045 an nur noch klimaneutrale Schiffe einzusetzen, Maersk sogar schon ab 2040. Die Frachtschifffahrt weist den Luxuslinern den Weg. Georg Ehrmann, Deutschland-Direktor des Kreuzfahrtverbands Clia ,will das nicht so stehen lassen: „Beim Vergleich von Handelsschifffahrt und Kreuzschifffahrt ist zu berücksichtigen, dass Lösungen, die im einen Sektor Anwendungen finden können, im anderen so nicht einsetzbar sind. So wird Ammoniak eine immer wichtigere Rolle bei Containerschiffen spielen, aus Sicherheitsgründen kommt dies derzeit noch für Passagierschiffe nicht in Betracht. Auch sind die logistischen Herausforderungen für die jeweiligen Kraftstoffe unterschiedlich.“
Entscheidend sei die Verfügbarkeit von nachhaltigen Kraftstoffen. Es müssten nun die Rahmenbedingungen durch die Politik geschaffen werden, damit es einen Markthochlauf für nachhaltige Kraftstoffe gebe. Ehrmann: „Auch die Hersteller sind aufgefordert, in Produktionskapazitäten für grüne Kraftstoffe zu investieren. Hier sitzen Kreuz- und Handelsschifffahrt in einem Boot.“