Hamburg. Bei 180 von 270 Kreuzfahrtanläufen soll 2024 saubere Energie bezogen werden. Doch die Anlage in Steinwerder liefert später als geplant.
Hamburg will europaweit Vorreiter bei der Landstromversorgung von Kreuzfahrtschiffen sein, kämpft derzeit aber offenbar mit technischen Schwierigkeiten. Vor allem in Steinwerder geht es langsamer voran als erhofft.
„Die großen Schiffsmaschinen während der Liegezeit im Hafen abzustellen, wird für Kreuzfahrtschiffe künftig ganz regulär und flächendeckend an unseren Terminals möglich sein“, verspricht die Wirtschaftsbehörde. Durch „den frühzeitigen Ausbau in Hamburg und die Herstellung der erforderlichen Infrastruktur im Hamburger Hafen“ ließe sich nun „sagen, dass die Mehrheit der Kreuzfahrtschiffe während der Liegezeit nahezu emissionsfrei von Land versorgt werden kann“.
Kreuzfahrt Hamburg: Warten auf Landstrom in Steinwerder
Das klingt gut, entspricht aber zumindest für die ersten Monate der aktuellen Saison nicht der Realität, wie Recherchen des Abendblatts zeigen. Offenbar gibt es eine unerwartete Verzögerung am Terminal Steinwerder, der ursprünglich schon zum Erstanlauf der „MSC Euribia“ (8. Oktober 2023) Landstrom anbieten sollte, es bis heute aber nicht im Regelbetrieb tut. So wird das MSC-Schiff nach der Wintersaison Hamburg wieder verlassen, ohne die versprochene Lanstromanlage bisher richtig genutzt zu haben.
Noch im vergangenen Juni sagte Jens Meier, Chef der Hamburg Port Authority (HPA), anlässlich der „Euribia“-Taufe in Kopenhagen: „Wir freuen uns, dass MSC Cruises durch die Nutzung von Landstrom im Hamburger Hafen dazu beitragen möchte, unter anderem CO2-Emissionen im Hamburger Hafen zu vermeiden. Nur gemeinsam können wir die Ziele hinsichtlich Klimaschutz und Luftreinhaltung erreichen.“ Damals gingen die Beteiligten noch davon aus, dass schon wenige Monate später regelmäßig in Hamburg Strom von Land an Bord fließen wird, auch die Reederei setzte in der Kommunikation darauf. Doch daraus wurde bis heute nichts, wie MSC dem Abendblatt bestätigt. Schuld daran sei die landseitige Technik, nicht die auf dem Schiff, heißt es unter Insidern.
Kreuzfahrt Hamburg: In diesem Jahr sind 270 Anläufe geplant
In diesem Jahr sind laut HPA 270 Anläufe von Kreuzfahrtschiffen geplant. Die neue Landstromanlage in Steinwerder, die verspätet erst im Dezember mit der „AidaNova“ in den Probebetrieb gegangen ist, werde „bei 140 Anläufen für die Versorgung mit erneuerbarer Energie von Land in den Einsatz kommen“, betont die Wirtschaftsbehörde auf Abendblatt-Anfrage. Am Kreuzfahrtterminal in Altona seien „weitere 40 Anläufe für eine Landstromversorgung fest vorgesehen“. Ein insgesamt ambitioniertes Ziel, an dem zunehmend Zweifel aufkommen.
Wenn Kreuzfahrtschiffe Hamburg ansteuern, haben sie aktuell drei Optionen: Kleine Schiffe wie die „MS Hamburg“ können im Baakenhafen anlegen, mittelgroße wie die „AIidaSol“ nutzen bevorzugt das Cruise Center in Altona, für die ganz großen „Pötte“ wie „MSC Euribia“, „Queen Mary 2“ oder „AidaNova“ ist Steinwerder das Terminal der Wahl. 2025 soll dann noch eine neue Anlegestelle in der HafenCity folgen, dort, wo in Kürze das Westfield-Einkaufscenter eröffnet.
Damit Kreuzfahrtschiffe im Hafen nicht ihre Maschinen laufen lassen, um die Stromversorgung an Bord zu sichern, müssen sie an Landstromanlagen angeschlossen werden. Eine erste Anlage dafür – sie leistet elf Megawatt – wurde bereits 2016 in Altona installiert, seit 2017 können technisch geeignete und entsprechend zertifizierte Schiffe hier im Regelbetrieb versorgt werden. Das allerdings geschieht bisher keineswegs bei allen Anläufen, wie eine Auflistung des Senats als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion kürzlich ergab (das Abendblatt berichtete).
Landstrom in Hamburg: Technik muss zertifiziert werden
Konkret haben 2023 in Hamburg am bis dato einzigen Landstrom-Terminal im Regelbetrieb nur diese Schiffe tatsächlich extern Energie bezogen: „AidaSol“ (15 Anläufe mit rund 130 Stunden Versorgung), „Artania“ (ein Anlauf/sieben Stunden), „Europa 2“ (zwei Anläufe/40 Stunden), „Hanseatic nature“ (zwei Anläufe/16 Stunden), „Hanseatic spirit“ (ein Anlauf/zehn Stunden), „Island Princess“ (ein Anlauf/13 Stunden), „Mein Schiff 4“ (zwei Anläufe/22 Stunden), „Mein Schiff 6“ (ein Anlauf/13 Stunden), „Norwegian Star“ (ein Anlauf/28 Stunden), „Queen Victoria“ (ein Anlauf/zehn Stunden) und „AidaMar“ (ein Anlauf/sieben Stunden). Jedes „Anstöpseln“ an die externe Stromversorgung kostet eine bis 1,5 Stunden, sodass sich die Ladezeit in Relation zur gesamten Liegezeit etwas vermindert.
Grundsätzlich muss ein Schiff vor der ersten Landstromnutzung nicht nur bordseitig entsprechend vorbereitet sein, es muss auch eine erfolgreiche Integration inklusive Zertifizierung vorliegen. Das ist nicht so trivial wie etwa das Aufladen eines Elektroautos.
Netzfrequenz an Land in Europa und den USA unterschiedlich
Simone Maraschi, Chef der HPA-Tochter Cruise Gate Hamburg, erklärte diese Problematik so, als er vor knapp einem Jahr in einem Abendblatt-Interview noch die Steinwerder-Eröffnung für den vergangenen Herbst in Aussicht gestellt hat: „In Europa ist der Standard einheitlich, aber wenn ein Schiff kommt, das sonst nur an der US-Westküste Landstrom nutzt, muss man prüfen, ob und wie das klappt. Nicht alles ist kompatibel, aber das sollte sich mittelfristig lösen lassen, zumal fast alle neuen Kreuzfahrtschiffe in Europa gebaut werden.“
Der internationale Standard beim Landstrom (IEC/IEEE 80005-1) bezieht sich auf die Form des Steckers und der dazugehörigen technischen Infrastruktur. Die Netzfrequenz an Land liegt in Europa bei 50 Hz, in den USA bei 60 Hz. Auf Schiffen können sowohl 50 als auch 60 Hz sein. Maraschi: „Bei jedem neuen Schiff, welches an die Landstromanlage angeschlossen werden soll, muss deshalb zunächst in einem technischen Prozess das Stromnetz an Bord mit dem landseitigen Stromnetz synchronisiert werden.“
Auch in Altona hat es 2023 noch einige Fehlversuche gegeben
Das Anschließen geht selbst bei intensiver Vorbereitung manchmal schief: 2023 wurden von der HPA Fehlversuche bei „Hanseatic nature“ (vier Fehlversuche, Zertifikat erst beim fünften Versuch), „Borealis“, „AidaBella“, „AidaSol“ und „AidaMar“ (alle jeweils ein Fehlversuch) verzeichnet. Unter dem Strich galten im Februar 2024 erst elf Kreuzfahrtschiffe in Hamburg als zertifiziert und integriert. Weiteren 16 Schiffen, die Hamburg anlaufen und grundsätzlich landstromfähig sind, fehlte demnach das nötige Zertifikat, darunter vor allem den großen Steinwerder-Kreuzfahrern und eher seltenen Gästen.
Wie geht es nun weiter? Auf erneutes Nachbohren lässt sich die Behörde von Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard nur diese Aussage entlocken: „Bei der Entwicklung der Landstrom-Infrastruktur handelt es sich um einen laufenden Prozess, bei dem viel Pionierarbeit zu leisten ist. Nach wie vor handelt es sich nicht um Technologie, die einfach nur eingekauft und angeschlossen wird, sondern erstens voraussetzungsvoll ist und zweitens am lebendigen Objekt entwickelt wird. Das bringt immer wieder auch mit sich, dass Anpassungen erforderlich sind oder aber Bestandteile sich als nicht funktional erweisen.“
Landstrom für Kreuzfahrtschiffe: Behörde hofft auf Start des Regelbetriebs im Sommer
So sei es auch in Steinwerder, betont Behördensprecher Martin Helfrich: „Die dortige Technik ist installiert, wird getestet und auch an Schiffen genutzt.“ Nun würden „die letzten Schritte der aufwendigen Testprozeduren durchgeführt, während derer zum Teil auch weiterhin bereits Schiffe versorgt werden“. Man gehe nun „aufgrund der Planungen der Dienstleister und der Hamburg Port Authority davon aus, bis zum Sommer die Landstromversorgung im regelhaften Betrieb zu haben“.
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