Hamburg. Zahl der Auszubildenden ist um 44 Prozent gestiegen. Was der Hype mit einer Backshow im Fernsehen und Obermeisterin „Betty“ zu tun hat.
So guckt nur eine Expertin. Mit einem Blick erfasst Bettina Schliephake-Burchardt das Angebot in der Vitrine der Konditorei Herr Max am Schulterblatt: Kanadischer Cheesecake, Gebackenes Tartufo und Semi Naked Cake Schoko-Beere sorgfältig drapiert, dazu Caramelia-Taler, Petit Four mit grinsenden Osterhasen, Kussmund-Pralinen und handbemalte Motivkekse. „Betty“, wie alle die Obermeisterin der Hamburger Konditoren-Innung und Gesicht der TV-Backshow „Das große Backen“ nennen, nickt Inhaber Matthias Max anerkennend zu. Vieles kennt sie aus den sozialen Medien. „Man sieht sofort, was aus eurer Backstube kommt“, sagt sie.
Feines Backwerk ist im Trend. Nicht nur in Konditoreien, Patisserien und Cafés schwelgen Kuchenliebhaber, auch bei Instagram & Co werden kunstvoll gestaltete Kreationen gerne gezeigt, verglichen und bewertet. „Das Interesse am Backen steigt, auch bei Kindern und Jugendlichen“, sagt die Obermeisterin, die in Hamburg etwa ein Dutzend Mitgliedsbetriebe vertritt. Dass das so ist, hat auch mit ihr zu tun. Die Inhaberin von Bettys Sugar Dreams gibt Backkurse für Profis und Hobbybäcker, hat einen eigenen YouTube-Kanal und erreicht in der Backshow „Das große Backen“ ein Millionenpublikum.
Das große Backen: 90 Konditoren-Azubis in Hamburg
Mit überraschenden Folgen: Während in anderen Handwerksberufen Auszubildende dringend gesucht werden, ist die Nachfrage bei Konditoren in Hamburg größer als das Angebot an Lehrstellen. Aktuell sind bei der Innung 90 Azubis in etwa 40 Betrieben registriert, darunter die Konditorei Lindtner in Eppendorf, die Konditorei Steidl in Rahlstedt und das Café Reinhardt im Alstertal, aber auch große Hotels wie Atlantic und Vierjahreszeiten bilden aus. 2022 gab es laut Handwerkskammer 36 Ausbildungsanfänger, im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 44 Prozent und der höchste Wert seit 2014. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
„Betriebe, die als cool gelten, werden regelrecht gestürmt“, sagt Obermeisterin Schliephake-Burchardt. Ein weiterer Grund: Hamburg hat als einziges Bundesland einen aktuellen Tarifvertrag für Konditoren abgeschlossen. Darin werden auch die Ausbildungsvergütungen geregelt. Das beginnt im ersten Lehrjahr mit 700 Euro, im zweiten Lehrjahr 800 und dritten 900 Euro. „Das war ein ordentlicher Sprung.“
Giona Zecchini hat es geschafft und einen Ausbildungsplatz in der Konditorei Herr Max ergattert. Zusammen mit der zweiten Auszubildenden Emily Uelpenich steht sie in der Backstube im Schanzenviertel. Es duftet nach frisch Gebackenem. Gerade hat die 22-Jährige aus Schokolade und Sahne eine sogenannte Ganache gemacht, mit der sie jetzt drei Schokokuchen überzieht. „Ich habe schon immer gern gebacken“, sagt sie.
Studium geschmissen, Handwerksausbildung begonnen
Für ihren Traumjob hat sie ihr Lehramtsstudium nach einem Semester geschmissen. „Ich wollte in einen kleinen Betrieb, in dem man individuell arbeiten und viel lernen kann“, sagt die junge Frau, die jeden Morgen aus Bargteheide nach Hamburg kommt. Bevor sie in dem Betrieb von Matthias Max anfangen konnte, hatte sie viele Absagen kassiert. „Manche Betriebe hatten schon jemand, andere bilden gar nicht mehr aus.“ Inzwischen ist Giona Zecchini im zweiten Lehrjahr. „Es gefällt mir sehr gut“, sagt sie.
An diesem Vormittag ist viel zu tun in der kleinen Backstube. Morgens um acht Uhr bei Arbeitsbeginn hat Konditormeisterin Ronja Miksche, die das Produktionsteam mit zwei Gesellinnen und zwei Auszubildenden leitet, die Aufgaben verteilt. Emily Uelpenich, die im vergangenen Sommer ihre Lehre angefangen hat, flambiert Baiserkronen auf Maracuja-Kokos-Törtchen. Auch sie sagt, dass sie schon immer gern gekocht und gebacken hat. „Als Konditorin kann man aber noch kreativer arbeiten“, erklärt sie ihre Berufswahl.
Kekse mit der Aufschrift „FCK AFD“ sind der Renner
Torten, Törtchen, Mini-Tartes: Das Angebot in der Vitrine muss stimmen. „Einer der Favoriten ist unser Käsekuchen. Der darf nie fehlen“, sagt Matthias Max. Der Konditormeister hat seinen Betrieb 2008 eröffnet und sich über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Auch weil er für ungewöhnliche Ideen steht. Zum Beispiel Motivkekse mit der Aufschrift „FCK AFD“ auf Zuckerguss. „Die laufen gerade richtig gut“, sagt er. Dazu kommen Kundenaufträge für besondere Kreationen bei Geburtstagen, Hochzeiten und Firmenfeiern, die auch über die Internetseite bestellbar sind.
„Wir produzieren sehr arbeitsintensiv, machen noch alles selbst“, betont Matthias Max. Längst hat sich herumgesprochen, dass man bei ihm in der Ausbildung viel lernen kann – aufs Gramm genau. Viele Rezepte, die in einem Kasten in der Backstube stehen, stammen von ihm. Weiterentwicklung dringend erwünscht. „Es geht darum, die Kreativität auszuleben“, sagt der 53-Jährige. Gerade werden für das Ostergeschäft neue Pralinenvarianten in Herzform ausprobiert, mit Erdbeer und Tonka sowie mit Limetten und Basilikum. „Ich habe nur die Zutaten und die Form vorgegeben. Außerdem soll man außen sehen, was drin ist“, sagt Matthias Max. Die ersten Ergebnisse sind inzwischen im Angebot.
Eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Trotzdem sieht Konditormeister Max mit Sorgen in die Zukunft. Seine kleine Firma kämpft immer noch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie durch die langen Schließzeiten des Cafébetriebs. Dazu kommen Kostensteigerungen und Konsumzurückhaltung infolge der Inflation. Um Absatz und Umsatz seiner feinen Backkunst zu erhöhen, hat der Unternehmer im vergangenen Jahr eine Filiale in Eppendorf an der Hegestraße eröffnet.
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„Ich liebe, was ich tue, und ich will es schaffen, aber die äußeren Umstände machen es nicht einfach“, sagt er. Inzwischen hat er zig Azubis ausgebildet, viele haben sich inzwischen ein eigenes Geschäft aufgebaut. Trotzdem ist er nicht sicher, ob er in diesem Jahr wieder eine Lehrstelle besetzen kann. „Ich weiß nicht, ob ich mir das leisten kann.“ Manchmal, gibt der leidenschaftliche Konditor zu, denke er darüber nach, ob er seinen Betrieb aufgeben und sich anstellen lassen solle.
In den vergangenen Monaten haben in Hamburg einige Betriebe aufgegeben, darunter Liebes Bisschen in Ottensen oder die Bäckerei und Konditorei Stechmann in Schnelsen. Gerade hat die Zuckermonarchie auf St. Pauli angekündigt, spätestens Ende des Jahres den Betrieb einzustellen.
Das große Backen: Weniger klassische Betriebe, mehr Neugründungen
Für die Hamburger Konditoren-Obermeisterin Schliephake-Burchardt ein Alarmzeichen. „Das Konditorenhandwerk ist im Wandel.“ Während die Zahl der klassischen Konditoreien in den vergangenen Jahren eher sinke, würden vor allem kleinere Betriebe neu gegründet. „Die sind aber oft nicht so langlebig.“ Die Folge: Für den Nachwuchs in der Branche wird es schwieriger, einen Ausbildungsplatz zu finden.