Hamburg. Joy Guinto sah auf den Philippinen keine Zukunft. An der Elbe hat sie ihre Ausbildung zur Fleischerin als Jahrgangsbeste abgeschlossen.

Jagdwurst, Schinken, Mortadella, Salami, Hamburger Gekochte: Am Anfang sei sie einfach nur perplex gewesen, wie viele verschiedene Wurstsorten es in Deutschland gibt, sagt Joy Guinto und lacht. „In meiner Heimat auf den Philippinen haben wir nur eine Sorte.“ Die heißt Longaniza und ähnelt spanischer Chorizo. Mittlerweile kennt die junge Frau das Angebot in der Frischetheke des Edeka-Markts gegenüber dem Harburger Bahnhof aus dem Effeff. Im Sommer hat sie ihre Ausbildung zur Fleischerin abgeschlossen – als Beste ihres Jahrgangs.

Joy Guinto arbeitet seit drei Jahren in Hamburg. Ganz offiziell über ein Fachkräfte-Anwerbeprogramm, das Edeka Nord 2020 gestartet hatte. Als die heute 28-Jährige über einen lokalen Arbeitsvermittler davon hörte, hat sie nicht lange überlegt. „Für viele Menschen auf den Philippinen ist es ein Traum, in Europa arbeiten zu können. Es gibt mehr Geld und bessere Aufstiegschancen“, sagt sie.

Fachkräftemangel: Von Manila an die Fleischtheke bei Edeka

Das klingt nach einem guten Match. Aber in der Praxis ist die Einwanderung von Fachkräften oft ein steiniger Weg. Auch für Joy Guinto war es nicht einfach. Probleme mit der Bürokratie in ihrem Heimatland und in Deutschland, Kosten in Höhe von 10.000 Euro für Vermittlung, Deutschkurse, Visa und Flüge sowie damals außerdem noch Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Trotzdem hat die junge Philippinin ihren Job im Kundendienst bei einer US-Firma in Manila gekündigt, ihre Eltern angepumpt und angefangen, Deutsch zu lernen. Inzwischen ist klar: Sie ist ein Glücksfall in einer Branche, in der gute Leute kaum zu bekommen sind.

An diesem Freitagvormittag steht Joy Guinto hinter der Frischetheke im E-Center am Seeveplatz in Harburg. Um sechs Uhr war Arbeitsbeginn. Gemeinsam mit ihren Kollegen, darunter ein Landsmann aus dem Edeka-Rekrutierungsprogramm, hat sie Fleisch und Wurst, Käse und Salate für den Verkauf vorbereitet und in der Auslage drapiert. Jetzt stehen mehrere Kundinnen mit ihren Einkaufswagen in der Warteschlange davor. Ruhig, konzentriert und mit einem freundlichen Lächeln packt die junge Fleischerin die Bestellungen zusammen, reicht die dicken Pakete über den Verkaufstresen. „Ich mag meine Arbeit gern“, sagt die Fleischerin, die auch viel hinter der Theke in der Vorbereitung und Zerlegung zu tun hat.

Ausbildungsstart mit einem halben Jahr Verspätung

Dabei war das eigentlich anders geplant. Joy Guinto wollte im Rahmen des Edeka-Programms eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau machen. Nachdem die deutschen Behörden das notwendige Arbeitsvisum mit der Begründung abgelehnt hatten, es gebe genug deutsche Bewerberinnen für den Beruf, sattelte die Frau kurzerhand um. Deshalb und wegen diverser anderer bürokratischer Probleme bestieg sie deutlich später als geplant mit einem Dutzend anderen jungen Frauen und Männern das Flugzeug nach Hamburg. Ein halbes Jahr nach dem offiziellen Ausbildungsstart.

Edeka-Auszubildende von den Philippinen bei der Ankunft im März 2021 in Hamburg mit Joy Guinto mittendrin (4. v. l.)
Edeka-Auszubildende von den Philippinen bei der Ankunft im März 2021 in Hamburg mit Joy Guinto mittendrin (4. v. l.) © Edeka Nord | Edeka Nord

Für Edeka ist es ein Pilotprojekt. „Wir bekommen aufgrund des Fachkräftemangels nicht mehr genug Nachwuchskräfte aus Deutschland“, sagt Michael Fink, Geschäftsbereichsleiter Personal bei Edeka Nord. 2020 hatte die regionale Gesellschaft deshalb gezielte Anwerbeprogramme für Auszubildende für die Fleischerei, die Bäckereisparte sowie als Berufskraftfahrer gestartet. 2021 und 2022 haben 85 Azubis von den Philippinen, zudem weitere aus Kenia und Marokko.

„Die Auszubildenden sind sehr fleißig und stark motiviert“, zieht der Edeka-Nord-Personalchef ein positives Fazit. Einige wenige hätten die Ausbildung wegen Heimweh abgebrochen. Von denen, die ihre Lehre bereits abgeschlossen haben, seien 80 Prozent als feste Arbeitskräfte übernommen worden. Aktuell arbeiten in dem Unternehmen mit Tochtergesellschaften 6300 Beschäftigte aus 72 Nationen.

Edeka will Anwerbeprogramme im Ausland ausbauen

In Zukunft will Edeka Nord die Anwerbe-Programme weiter ausbauen. „Wir suchen neue Agenturen für die Zusammenarbeit und überlegen gerade, ob wir Auslandsrekruiter einstellen, die sich ausschließlich um die komplette Betreuung ausländischer Arbeitskräfte kümmern können“, sagt Michael Fink. „Wir planen auch intensiveren Kontakt mit den Botschaften, ausländischen Sprachschulen und wollen die Zusammenarbeit mit dem Welcome Center, der Agentur für Arbeit und den Ausländerbehörden verstärken.

Joy Guinto hat drei harte Jahre hinter sich. Die zierliche Frau hat gelernt, Rinder zu zerlegen, deutsche Wurst zu machen und ist in die Feinheiten der Fleischwaren-Kunde eingestiegen. Alles auf Deutsch natürlich. Auch wenn sie in ihrem früheren Leben niemals auf die Idee gekommen wäre, Fleischerin zu werden, ist sie angekommen in dem Beruf und im neuen Leben in Deutschland.

Nach dem Ende der Ausbildung, die sie bei Edeka Struve in Rahlstedt gemacht hat, hat sie sich im Juli auf ihre jetzige Stelle im Harburger E-Center beworben. „Ich wohne hier ganz in der Nähe“, sagt sie. Nach den ersten Monaten in einer gemeinsamen Unterkunft, die Edeka den Azubis zur Verfügung gestellt hatte, ist sie mit ihrem Freund zusammengezogen.

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Für ihren Chef ein Glücksfall. „Wir sind sehr froh, dass sie zu uns gekommen ist“, sagt der Geschäftsführer des E-Centers, Tadeusz Chmielewski. Schon beim Start des Ausbildungsprogramms hatte er auf Nachwuchskräfte von den Philippinen gesetzt und drei Plätze angeboten. In seinem Markt arbeiten zehn der insgesamt 85 Beschäftigten im Frischebereich. „In den nächsten Jahren gehen einige in Rente. Wir brauchen neue, gut ausgebildete Leute. Aber wir finden kaum jemand aus Deutschland, der bereit dazu ist“, sagt er.

Fachkräftemangel: Kaum jemand will Fleischerin werden

Fleischereien kämpfen schon länger um die Existenz. Nicht nur die Zahl der Betriebe, auch die Zahl der Ausbildungsverhältnisse ist stark rückläufig. In ganz Deutschland haben 1990 noch 3686 Fleischer und Fleischerinnen ihre Gesellenprüfung bestanden, 2010 waren es nur noch 1867, 2021 sogar nur noch 835.

„Hamburg liegt da im bundesweiten Trend“, heißt es bei der Hamburger Innung. 2023 haben in der Hansestadt gerade mal 22 Fleischer und Fleischerinnen sowie drei Fachverkäufer ihre Ausbildung beendet. Aktuell sind 60 Fleischer und Fleischerinnen sowie 14 Fachverkäufer- und verkäuferinnen in der Lehrlingsrolle gemeldet.

Fachkräftemangel: Aufstiegschancen für die Fleischerin aus Manila

Joy Guinto verdient 2650 Euro brutto, das macht 1800 Euro netto. Während der Ausbildung hatte sie zusätzlich zum Ausbildungsgehalt von etwa 1000 Euro eine außertarifliche Zulage von 150 Euro bekommen. „Ich komme gut klar“, sagt sie. Und das, obwohl die junge Fleischerin im Moment noch die Kosten für die Vermittlung an ihre Eltern zurückzahlt. „Aber anders als die meisten anderen muss ich meine Familie auf den Philippinen nicht unterstützen.“

Und sie hat viele Pläne. Gerade ist sie in das bundesweite Mentoring-Programm „Geh deinen Weg“ von der Deutschlandstiftung Integration aufgenommen worden. Arbeitgeber Edeka setzt ebenfalls auf die Kraft aus dem Rekrutierungsprogramm. Das Unternehmen bietet mehrere Karrierewege an. „Auch die Meisterschule ist eine Option“, sagt die junge Fleischerin. Als Nächstes will sie einen B2-Deutschkurs machen. Das ist eine Voraussetzung für den Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft.